Kapitel 9

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Tränen brannten in meinen Augen, als ich durch das Treppenhaus nach draußen auf die Straße stürmte. Noch immer hallten Thomas Worte durch meinen Kopf. "Er ist Schuld, dass du ihn verloren hast". So wütend ich auch auf Thomas war, ein Teil von mir hatte panische Angst, dass er Recht haben könnte. Hatte ich Jake wirklich verloren? Als ich vergeblich versuchte mit meinen zitternden Fingern mein Auto aufzuschließen, holte Jessy mich ein.
"Y/N bitte warte doch", kam es von ihr und sie legte mir eine Hand auf die Schulter. Ich schüttelte den Kopf und vermied es, mich umzudrehen. Sie sollte mich so nicht sehen. "Es tut mir leid, Jessy, aber ich kann da nicht wieder hoch. Das was Thomas gesagt hat..", meine Stimme brauch und mein Autoschlüssel fiel mir aus der Hand. Ich wollte mich danach bücken, doch Jessy war schneller. "Das erwarte ich doch überhaupt nicht von dir. Ich bin hier, weil ich zu dir halte. Du hast absolut Recht, mit dem was du gesagt hast. Und ich weiß, dass Thomas dich gerade sehr verletzt hat". Vorsichtig fasste sie meinen Ellenbogen und drehte mich zu sich herum. Als sie mein Gesicht sah, schloss sie mich schnell in ihre Arme. "Psst, ist ja gut", sagte sie, während ihre Hand behutsam meinen Rücken streichelte. Sie ließ mich einfach weinen und meine Tränen tropften auf ihren hellblauen Pullover, der sich unter den Tropfen dunkel färbte. "Hör mal, egal was kommt, wir beiden bleiben Freunde, ja?", sie schob mich ein Stück von sich um mich anzusehen. Ich nickte bloß, da der Kloß in meinem Hals es mir unmöglich machte ihr zu antworten. Noch einmal drückte sie mich fest an sich, dann ließ sie mich gehen und gab mir meinen Autoschlüssel. "Hör mal, ich denke du brauchst gerade etwas Zeit für dich. Du solltest ins Motel fahren und dich ausruhen, okay? Wir hören uns morgen. Aber melde dich bitte, wenn du mich brauchst", sie sah mich besorgt an, als ich die Tür öffnete. "Ich glaube du hast Recht, danke Jessy. Dasselbe gilt auch für dich, ja? Pass auf dich auf". Jessy nickte und ich stieg ein. Erneut sah ich zu, wie sie in ihren Wagen stieg und davon fuhr. Wie gelähmt saß ich dort und versuchte zu realisieren, was dort oben gerade geschehen war. Alles ging einfach nur schief. Richy war der Mann ohne Gesicht gewesen. Jake ist verschwunden und nun bricht der einzige Freundeskreis, den ich jemals hatte auseinander. Dabei sollte doch endlich alles gut werden, sobald wir Hannah gerettet hatten. Erst als auch die letzte Träne getrocknet war, startete ich den Motor und fuhr zurück ins Motel.

Auf dem Weg vom Auto zu meinem Zimmer vibrierte plötzlich mein Handy. Eigentlich hatte ich wirklich nicht das Bedürfnis nach einer Konversation, doch eine leise Stimme in meinem Kopf hielt den letzten Funken der Hoffnung am glühen, dass es vielleicht doch Jake war, der sich endlich meldete. Natürlich war dem nicht so, trotzdem war ich etwas überrascht, Dans Namen auf meinem Display zu sehen. Wenn er jetzt den Streitschlichter spielen wollte, konnte er es sofort vergessen, dazu war ich absolut nicht bereit. Stattdessen offenbarte er mir etwas, womit ich wirklich nicht gerechnet hatte.

DAN
online

Hey Kleines, du hast wahrscheinlich grad keine Lust zu quatschen, aber ich wollte dir noch erzählen, dass ich heute Morgen bei der Polizei war. Wegen Phil, du weißt schon. Ich denke, ich hab's in Ordnung gebracht, zumindest schien mir dieser Alan zu glauben

Das ist super, Dan! Heißt das, sie lassen Phil gehen?

Na das hoff ich doch. Die Polizei weiß ja mittlerweile auch, was wirklich passiert ist. Also ist Phil fein raus

Ich bin wirklich erleichtert Dan, danke, dass du mir Bescheid gesagt hast

Kein Ding. Lass den Kopf nicht hängen, Kleines und meld' dich bald wieder

Klar mache ich

Dan ist offline

Ich war wirklich erleichtert, immerhin eine gute Nachricht. Phil hatte lange genug unschuldig im Gefängnis gesessen. Ich war froh, dass Dan sich gemeldet hatte, doch ich brauchte jetzt wirklich Zeit für mich.
Ich schloss die Tür hinter mir, streifte mir die Schuhe von den Füßen und ließ sie mitten im Zimmer liegen. Mir fehlte die Kraft, mich noch länger auf den Beinen zu halten, weswegen ich mich aufs Bett fallen ließ, ohne mir auch nur die Jeans auszuziehen. In diesem Moment war mir alles egal und nichts schien mehr einen Sinn zu haben. Ich rollte mich also in die Decke ein und ließ meinen Tränen diesmal freien Lauf. Vor Jessy hatte ich wirklich noch versucht mich zusammenzureißen, was mir eher weniger gelungen war. Doch jetzt, wo ich allein war, sah ich keinen Grund mehr dazu. Die Enge in meiner Brust war von einem unangenehmen Druck zu einen pochenden Schmerz geworden. Der Streit mit Thomas und Cleo hatte mir zugesetzt. Ich wusste, dass ich in dieser Angelegenheit unmöglich allen gerecht werden konnte und doch hatte ich zumindest auf ein wenig Verständnis gehofft. Jessy hielt zu mir und ich wusste, dass Dan sich so gut es ging aus der ganzen Sache heraushalten würde. Er hatte vermutlich eine ganz eigene Meinung dazu, würde aber nicht zulassen, dass wir uns deswegen zerstritten. Thomas und Cleo hingegen hielten so verbissen an ihren Rachegelüsten fest, dass ich sie kaum wieder erkannte. Thomas war bisher schon öfter aus der Reihe getanzt, aber dass nun auch Cleo, die sonst immer versuchte, die Dinge nüchtern zu betrachten, sich gegen mich wandte, kam unerwartet. Und was war mit Lilly? Was würden sie ihr erzählen? Ich konnte mir vorstellen, dass Lilly auch nicht begeistert davon sein würde, dass ich beschlossen hatte Richy zu verzeihen, was meine Angst, auch sie zu verlieren, nur noch verstärkte. Sie und Jessy waren meine engsten Freundinnen geworden und ich wollte nicht, dass auch nur eine von ihnen aus meinem Leben verschwand..
Verschwand... genau wie Jake. Tiefe Schluchzer, wie ich sie von mir selbst noch nie gehört hatte, drangen aus meiner Kehle, als ich an ihn dachte. Wo war er bloß und wieso meldete er sich nicht? Ich nahm mein Handy in die Hand und öffnete unseren Chat. Noch immer war er nicht online gekommen oder hatte mir ein Lebenszeichen von sich zukommen lassen. Während ich weinte, scrollte ich durch unseren Chatverlauf und mein Blick blieb an seiner letzten Nachricht an mich hängen.

JAKE
offline

Y/N
Ich liebe dich

Ich liebe dich auch, Jake

Meine Lippen bebten, als ich die Nachricht immer und immer wieder las. Er liebte mich. Niemals hätte ich damit gerechnet, dass er mir diese Nachricht schreiben würde, und doch hatte er es getan. Ich erinnerte mich daran, dass mein Herz einen Schlag ausgesetzt hatte, als ich es gelesen hatte. Mir war ziemlich schnell klar geworden, dass ich Gefühle für diesen anonymen, mysteriösen Hacker entwickelte. Ich hatte es erst bemerkt, als es bereits zu spät gewesen war. Jedes Mal, wenn sein Name auf meinem Bildschirm aufgetaucht war, hatte es in meinem Körper angefangen zu kribbeln und eine angenehme Wärme durchströmte mich. Oft hatte ich mich gefragt, wer hinter der verzerrten Stimme und dem dunkeln Hoodie steckte, und auch wenn ich noch immer nicht wusste, wie er aussah, hatte ich das Gefühl, Jake schon ewig zu kennen. Ich vertraute ihm bedingungslos und wusste, dass er dasselbe empfand. Die ganze Zeit über hatte er sich um mich gesorgt und war meinetwegen zurückgekommen, nachdem er untertauchen musste. Doch wo war er jetzt? Hatte ich ihn in der Mine wirklich für immer verloren? Oder hatten sie ihn womöglich gefasst? Ich war alles andere als religiös, doch als ich dort weinend im Bett lag, betete ich, dass er in Sicherheit war und dass er lebte. Natürlich gab es noch eine dritte Möglichkeit. Doch allein daran zu denken, versetzte mir einen weiteren Stich. Vielleicht hatte er sich auch einfach gegen mich entschieden. Jemand wie Jake, der schon so lange auf der Flucht war und auf beständige Kontakte verzichtete hatte, war vielleicht einfach nicht bereit dazu, sich auf etwas wie das, was zwischen ihm und mir entstanden war, einzulassen. Ich verdrängte den Gedanken sofort, das würde Jake mir doch niemals antun, oder? Nicht nachdem er mir gesagt hatte, was er für mich empfand.. Das hoffte ich zumindest und zu diesem Zeitpunkt, war diese Hoffnung alles, was mir von ihm geblieben war. Ich beschloss daran festzuhalten.
Das Treffen mit den Anderen hatte mir nicht die Antworten geliefert, die ich mir gewünscht hatte. Ich musste also einen anderen Weg finden. Schon als ich überlegte, wusste ich bereits, was ich tun würde. Am nächsten Tag würde ich sofort zu Alan Bloomgate fahren. Es war an der Zeit, dass ich meine Aussage machte, viel zu lange hatte ich es vor mir hergeschoben und jetzt war der richtige Zeitpunkt gekommen. Wenn mir jemand genaueres sagen konnte, dann vermutlich er.
Ich spürte, wie die Erschöpfung die Oberhand gewann. Die Tränen wurden weniger und meine Augenlider schwer. Bevor ich einschlief tippte ich noch eine letzte Nachricht an Jake.

JAKE
offline

Bitte komm zu mir zurück. Ich liebe dich, Jake. Immer.

Duskwood - The things we lost in the fire Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt