Kapitel 8

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Ich erkannte Jessys Auto, als ich in die Straße einbog, in der Cleo wohnte. Ich parkte neben Jessy und sah, dass sie auf mich wartete. Ein kleiner Stein fiel mir vom Herzen, denn ich war froh, den anderen nicht allein gegenübertreten zu müssen. Nicht weil ich Angst vor ihnen hatte oder ähnliches. Es war mir einfach schon immer unangenehm gewesen, alleine bei solchen Verabredungen aufzutauchen. Als ich ausstieg, verriegelte ich meinen Wagen und ging auf Jessy zu. Sie stand auf dem Bürgersteig und lächelte mich an. Sie bemühte sich, stark zu sein, doch mittlerweile kannte ich sie gut genug, um zu wissen, dass dieses Lächeln nur eine Fassade war. Ich bewunderte sie dafür, ganz ehrlich. Dafür, dass sie noch die Kraft hatte, mir ein Lächeln vorzuspielen, nur damit ich mir keine Sorgen machte. Ich erwiderte ihr Lächeln, denn ich wollte ebenso wenig, dass sie sich um mich sorgte. Gemeinsam klingelten wir und Cleo öffnete uns die Tür. Sie wohnte in einem recht modernen Mehrfamilienhaus relativ nah am Stadtzentrum von Duskwood.
Cleo begrüßte uns mit einer etwas verhaltenen Umarmung und bat uns herein. Irgendwas an ihrem Verhalten wirkte distanziert, ich schob es jedoch auf die Tatsache, dass wir uns heute zum ersten Mal sahen. Sie führte uns ins Wohnzimmer, wo Dan und Thomas bereits auf uns warteten. Ähnlich wie Jessy und Cleo, sahen auch sie ziemlich mitgenommen aus. Im Gegensatz zu mir, hatte vermutlich keiner von ihnen in der letzten Nacht ein Auge zugemacht. Thomas hob zur Begrüßung die Hand und nickte uns zu. Eine herzliche Begrüßung hatte ich von ihm ehrlich gesagt auch nicht erwartet, dafür standen wir uns einfach nicht nahe genug. Ganz im Gegenteil zu Dan, der mich breit angrinste und mit seinem Rollstuhl auf uns zugerollt kam. Er drückte kurz Jessys Hand und warf ihr einen Blick zu, bevor sie an ihm vorbei ging und sich zu Cleo und Thomas auf das Sofa setzte. Diese Geste war für jemanden wie Dan ziemlich ungewöhnlich und einen Moment lang fragte ich mich, ob die Beiden vielleicht doch noch eine Möglichkeiten finden würden, ihr geplatztes Date nachzuholen. Beide hatten sich ein kleines Happy End definitiv verdient.
Dan trat mir mit seiner Schuhspritze sanft gegen mein Schienbein und holte mich somit in die Realität zurück. "Na sie mal einer an, wenn das nicht unsere Oberdetektivin ist", noch immer grinste er mich an und ich hatte keinerlei Zweifel daran, dass er sich ernsthaft darüber freute, mich zu sehen. Seine offene, lustige Art war ansteckend, weshalb auch ich mir ein kleines Grinsen nicht verkneifen konnte. "Jack Daniels, wie ich sehe, bist du noch immer ganz der Alte", stichelte ich. "Worauf du Gift nehmen kannst, Kleines. So schnell bringt mich nichts aus der Ruhe", er zwinkerte mir zu und ließ mich dann an sich vorbei, damit ich ebenfalls Platz nehmen konnte. Ich konnte nicht genau sagen, woran es lag, aber die Spannungen im Raum waren beinahe mit Händen zu greifen.
"Danke, dass ihr so kurzfristig Zeit gefunden habt, ich weiß es war für uns alle eine anstrengende Nacht, aber ich denke, wir sollten über das reden, was passiert ist", begann ich die Konversation.
Cleo war die erste, die auf meine Worte reagierte. "Damit hast du vermutlich recht. Ich weiß nicht, ob Jessy dir bereits erzählt hat, was geschehen ist, nachdem wir den Kontakt zu dir verloren hatten..?", fragend blickte sie zu Jessy, die bestätigend nickte. "Jessy hat mir von eurer Rückkehr nach Duskwood erzählt. Ich bin wirklich froh, dass es euch gut geht und ihr heile zurückgekommen seid", beantwortete auch ich ihre Frage. "Was war bei dir gestern Nacht los, Y/N? Nachdem du uns gesagt hast, Alan habe Hannah befreit, konnten wir dich nicht mehr erreichen", meldete auch Thomas sich nun zu Wort. Alle Augen waren nun auf mich gerichtet und Jessy warf mir einen mitleidigen Blick zu. Ich war wirklich nicht scharf darauf, die ganze Geschichte erneut zu erzählen, doch die Anderen mussten erfahren, was wirklich passiert war. Also erzählte ich auch ihnen von meinem Ausflug in die Mine und davon, dass ich Richy gerettet hatte. Auch, dass ich anschließend die Nacht im Krankenhaus verbracht hatte, aus dem ich mich schließlich selbst entlassen hatte, gab ich kleinlaut zu. "Hab doch gewusst, dass du aus dem gleichen Holz geschnitzt bist, wie ich", Dan zwinkerte mir zu und spielte damit eindeutig auf meine Stadtpauke ihm gegenüber an, die ich ihm gehalten hatte, als er aus dem Krankenhaus abgehauen war. "Das war wirklich leichtsinnig von dir, Y/N", kam es von Cleo. "Ich weiß, aber ich konnte nicht länger tatenlos herumsitzen. Ich wollte Jake helfen". Ich sah auf meine Hände, während ich das sagte. "Aber er war nicht dort?", hakte Thomas nach. "Nein, ich konnte ihn nicht finden. Ich weiß nicht, was mit ihm passiert ist. Ich kann ihn auch nicht erreichen.". Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Ich wollte nun wirklich nicht mit den Anderen über Jake sprechen. "Aber was ist mit Hannah, wie geht es ihr?"
"Sie haben sie in ein Krankenhaus nach Colville gebracht, um sie ausreichend versorgen zu können. Sie ist erschöpft und völlig durcheinander. Sie wird zurzeit untersucht und psychologisch betreut. Nur die engsten Familienangehörigen dürfen zu ihr. Trotzdem werden Cleo und ich später auch nach Colville fahren, mal sehen was sich machen lässt", beantwortete Thomas meine Frage. Seine Worte hatten einen wütenden Unterton, was ich verstehen konnte, er wollte schließlich einfach nur seine Freundin sehen, nachdem er wochenlang gehofft hat, sie lebend zu finden. Trotzdem konnte ich den düsteren Blick, den er mir aus dem Augenwinkel zuwarf nicht richtig deuten.
"Sie wird wieder, da bin ich mir sicher. Hannah ist stark, genauso wie wir, hat sie die ganze Zeit über nicht aufgeben", sagte ich und versuchte die Anderen damit etwas aufzubauen, was jedoch nicht den gewünschten Effekt erzielte. "Wisst ihr was mit Richy passiert ist?", fragte ich deshalb schnell.
Thomas schnaubte wütend und Cleo legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter.
"Er lebt. Alan Bloomgate hat uns erzählt, dass er medizinisch versorgt wird. Allerdings hat er seine Taten gestanden. Sie werden ihn festnehmen, sobald sein Zustand stabil ist", sagte Cleo. Ich nickte wissend. Mir war klar gewesen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Richy für das, was er getan hatte, ins Gefängnis musste, ziemlich hoch war, trotzdem bereitete mir die Vorstellung, Richy hinter Gittern zu sehen, Bauchschmerzen. "Als würde das jemals ausreichen. Du hättest ihn dort unten lassen sollen", kam es plötzlich von Thomas. Fassungslos sah ich ihn an. "Das kannst du unmöglich ernst meinen, Thomas".
"Oh und wie ernst ich das meine. Er ist ein Verräter. Hast du etwa vergessen, was er uns alles angetan hat? Vor allem Hannah?", fuhr er mich an. "Natürlich hat sie das nicht vergessen. Als könnte irgendjemand von uns jemals vergessen, was geschehen ist. Aber er war unser Freund. Und auch wenn er schlimme Dinge getan hat, ist es völlig unangemessen, ihm den Tot zu wünschen", mischte sich nun auch Jessy ein. Ihre Augen schimmerten und ich wusste, wie sehr Thomas Worte sie verletzt hatten, denn mir ging es ähnlich. "Komm schon Thommyboy, ich hab ihm 'ne Kugel verpasst und er wird eingebuchtet, ich finde das ist doch schonmal ein Anfang", versuchte Dan die Situation zu entschärfen. Noch immer sah ich Thomas völlig entgeistert an. "Ich bin mir sicher, Jessy hat euch erzählt, weshalb Richy es getan hat. Es ist furchtbar, dass er Hannah entführt hat und sie all die Zeit über solche Angst habt hat. Aber ich glaube Richy, dass er ihr niemals etwas tun wollte. Keinem von uns".
"Seine Absichten sind mir völlig egal. Bloomgate soll ihn bloß weit genug wegsperren, wenn ich ihn jemals wiedersehe, kann ich für nichts mehr garantieren". Thomas Worte hallten durch das Wohnzimmer. Kurz war es still, bis auf ein leises Schluchzen, was über Jessys Lippen kam.
"Achja? Und was genau macht dich dann so viel besser als ihn, Thomas? Rache wird dir überhaupt nichts bringen. Sie wird dich auffressen, nichts weiter". Mir war klar, dass Thomas sich von mir und auch von niemand anderem überzeugen lassen würde, doch ich konnte einfach nicht hinnehmen, was er gesagt hatte. Er hatte jedes Recht wütend zu sein, immerhin hatte er mehrere Wochen um das Leben der Frau gebangt, die er liebte. Und dass einer seiner Freunde dahintersteckte, machte es umso schlimmer, doch ich wusste, dass der Hass, den Thomas nun in sich trug, uns alle auseinanderreißen konnte.
"So, wie du redest, scheinst du ihm anscheinend bereits verziehen zu haben, Y/N. Du solltest dir vielleicht überlegen, auf welcher Seite du stehst", blaffte er mich an. "Ich kann Thomas da nur zustimmen. Ich will Richy nie wieder sehen, was er getan hat, ist einfach unverzeihlich. Mir egal, was aus ihm wird, Hauptsache, er kommt nicht zurück", kam es von Cleo.
"Hört ihr euch eigentlich selbst zu? Und von was für Seiten reden wir hier überhaupt? Es gibt keine Seiten, ihr alle seid meine Freunde! Richy wird für seine Taten geradestehen, das ist auch mehr als richtig so. Trotzdem habe ich beschlossen ihm zu verzeihen. Er wollte sich dort unten aus Schuldgefühlen umbringen, ist euch das klar? Richy, mit dem ihr seit Jahren befreundet wart. Wie kann euch das alles nur so kalt lassen?", während ich das sagte, stand ich auf und begann im Zimmer auf und ab zu laufen. Dieser Streit entwickelte sich in eine gefährliche Richtung. "Ich sehe das genauso, wie Y/N. Natürlich dürft ihr sauer sein, das sind wir alle. Aber das hier ist nicht der richtige Weg. Wir müssen versuchen, das alles hinter uns zu lassen.", Jessys Stimme war brüchig und sie musste sich offenbar zusammenreißen, nicht vollends die Fassung zu verlieren.
"Niemand verlangt von euch, dass ihr weiterhin mit Richy befreundet bleibt. Aber ihr müsst die Sache hinter euch lassen. Hannah braucht euch, um über all das hinwegkommen zu können. Glaubst du wirklich, dein Hass hilft ihr dabei, Thomas?"
Thomas ignorierte Jessy und mich und seine nächsten Worte, rissen mir ein einziges großes Loch in die Brust. "Y/N, ist dir eigentlich klar, wen du da verteidigst? Er hat Hannah entführt und uns alle glauben lassen, sie könnte jede Sekunde sterben! Er ist Schuld daran, dass du nicht weißt, was mit Jake ist. Er ist Schuld, dass du ihn verloren hast!", seine Stimme wurde immer lauter und er sah mir direkt in die Augen, als er das sagte. "Hey Alter, das geht jetzt wirklich zu weit", warf Dan dazwischen, doch ich überging ihn. "Du bist so ein Arschloch, Thomas. Du hast absolut keine Ahnung, wovon du redest! Aber wenn du schon so anfängst, dann hätte es Jake ohne Richy auch niemals in unserem Leben gegeben!", schrie ich ihn an. Am liebsten hätte ich ihm eine verpasst, so wütend und verletzt war ich. "Ach darum geht es hier also. Dir ist alles recht, solange du bloß deinen Hacker an deiner Seite hast. Sind wir anderen dir wirklich so egal? Wir sind deine Freunde und wir haben dir die ganze Zeit vertraut", schrie er zurück. Mittlerweile war auch Thomas aufgestanden und auf mich zugekommen, doch ich dachte nicht einmal daran, zurückzuweichen. Uns trennten nur wenige Zentimeter von einander, während wir uns wütend anstarrten. "Soll das ein schlechter Scherz sein? Natürlich seid ihr mir nicht egal. Glaubst du ich hätte sonst all die Wochen versucht euch zu beschützen und Hannah zu finden? Weißt du, Thomas, gerade du solltest hier lieber nicht die Moralapostel spielen, schließlich warst du es, der mich angefleht hat, mich auszuliefern, damit du Hannah zurück bekommst. Du warst bereit mich in den Tot zu schicken und willst mir jetzt etwas von Freundschaft und Vertrauen erzählen". Endlich konnte ich das aussprechen, was mir schon die ganze Zeit über durch den Kopf gegangen war. Wenn wir über Verräter sprachen, sollte Thomas sich gefälligst auch selbst auf die Liste setzen.
Gerade wollte er etwas erwidern, doch ich hob die Hand. "Was auch immer du noch zu sagen hast, spar es dir. Ich bin hier fertig". Ich drehte mich um, schnappte meine Schlüssel vom Couchtisch und stürmte Richtung Wohnungstür. Gerade als ich sie aufriss, ertönte Jessys zitternde Stimme hinter mir. "Y/N, warte!"

Duskwood - The things we lost in the fire Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt