Kapitel 18

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Ich betrachtete das rege Treiben im Inneren der Aurora. Obwohl es mitten in der Woche war, war die Bar gut gefüllt und ich sah, das Phil einiges zutun hatte. Seit mehreren Minuten stand ich draußen vor der Tür und versuchte mich zusammenzureißen. Es war doch gar nicht so schwer, immerhin war es bloß eine Bar und vermutlich würde mich niemand bemerken. Das versuchte ich mir zumindest einzureden. Mit meinem Oversized Hoodie und meinem zerzausten Dutt war ich ziemlich underdressed unterwegs, doch es war nun ohnehin zu spät, um sich darüber Gedanken zu machen. Ich atmete ein letztes Mal tief ein, bevor ich die Tür öffnete und eintrat.
Ich nahm das Stimmengewirr um mich herum kaum war, den Geruch von Alkohol, welcher in der Luft lag, dafür umso mehr. Zielstrebig ging ich mit schnellen Schritten auf die Bar zu, dabei vermied ich jeglichen Blickkontakt mit anderen Gästen. Ich setzte mich auf einen der letzten beiden freien Hocker an der Theke und beobachtete Phil. Er stand mit dem Rücken zu mir und mixte gerade ein Getränk. In Beiden Händen hielt er je eine Flasche und ließ die Flüssigkeiten in einen Mixbecher fließen. Anschließend schüttelte er den Becher und goss das fertige Getränk in ein Cocktailglas. Ich war beeindruckt davon, wie professionell er wirkte.
Offenbar hatte er mich zuvor nicht bemerkt, denn seine Augen weiteten sich, als er den Cocktail zwei Plätze weiter einem jungen Mann über die Theke zuschob und sich unsere Blicke dabei kurz begegneten. Scheinbar erkannte er mich von meinem Profilbild wieder, welches ich im Chat verwendet hatte, denn er kam auf mich zu. "Ich hatte nicht erwartet, dass du meine Einladung doch noch annehmen würdest", begann er unser Gespräch und grinste mich dabei etwas zu selbstbewusst an.
"Ich wusste nicht, dass deine Einladung ein Verfallsdatum hat", erwiderte ich ungerührt. "Oh keineswegs. Ich bin bloß etwas überrascht, das ist alles. Was darf ich dir denn bringen?", fragte er mich und lächelte mich dabei an, als würde ihm meine alleinige Anwesenheit den gesamten Abend versüßen. Sein durchdringender Blick war mir beinahe etwas angenehm, weshalb ich an ihm vorbei in Richtung einer Wodkaflasche nickte. "Wodka on the Rocks, bitte". Ich merkte selbst, wie monoton und kühl meine Stimme klang, doch Phil ließ sich davon nicht sonderlich beeindrucken. "Liebend gern", erwiderte er stattdessen, nahm ein kleines Glas, füllte es mit Eiswürfeln und stellte es vor mir auf der Theke ab. Anschließend griff er nach der Flasche und sah mir direkt in die Augen, während er die klare Flüssigkeit in mein Glas goss. Es war als würde sein Blick mich durchbohren und ich hatte Angst, dass er sehen könnte, was tatsächlich in mir vorging. Zu meiner Erleichterung rief in genau diesem Augenblick einer der Gäste Phils Namen und wank ihn zu sich und seinen Freunden an den Tisch. Phil wandte den Blick von mir ab und gab dem Fremden durch ein kurzes Nicken zu verstehen, dass er sofort bei ihm sein würde. Er verschloss die Flasche und wollte sich gerade umdrehen, um sie zu den anderen zurück in das Regal zu stellen, als ich nach der Flasche griff und sie aus seinem Griff befreite. Ich stellte sie vor mir ab, legte den Kopf schief und schenkte Phil das bezauberndste, falsche Lächeln, das ich aufbringen konnte. Scheinbar erzielte ich damit den gewünschten Effekt, denn Phil konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und überließ mir tatsächlich die Flasche. "Ich mag Frauen, die sich nehmen, was sie wollen". Mit diesen Worten ließ er mich an der Theke zurück. Für gewöhnlich hätte mich ein solch offensiver Anmachspruch angeekelt, doch tatsächlich war es mir egal. So wie alles andere in letzter Zeit.
Ich nahm mein Glas und sobald die kalte Flüssigkeit meine Kehle hinunterrann, entspannte ich mich beinahe augenblicklich. Ich leerte den Inhalt in einem Zug und war so frei, mir selbst nachzuschenken. So handhabte ich es auch jedes weitere Mal, bis die Flasche bereits zur Hälfte geleert war. Phil hatte noch immer alle Hände voll zutun und warf mir lediglich ab und zu einen argwöhnischen Blick zu, worauf ich allerdings nur ein ausgelassenes Grinsen erwiderte. Tatsächlich erfüllte der Wodka bereits seinen Zweck. Ich spürte seine betäubende Wirkung in jeder Faser meines Körpers und, was viel wichtiger war, in meinem Kopf. Zur Abwechslung hatte sich das Chaos in meinem Inneren beruhigt und alles, was davon übrig war, verdrängte ich. Dafür war morgen wieder ausreichend Zeit, jetzt aber brauchte ich eine Auszeit von meinen Gefühlen.

Duskwood - The things we lost in the fire Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt