Kapitel 24

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"Ich dachte wirklich, du hättest mich verlassen".
Meine Worte durchschnitten die Stille zwischen uns. Ich spürte, wie Jake sich versteifte und langsam seine Arme sinken ließ. Mir war klar, dass ich damit einen wunden Punkt bei ihm traf, doch ich musste es einfach aussprechen. Viel zu lange hatte ich meine Gedanken und Gefühle mit mir herumgeschleppt und niemanden, bis auf Lilly wissen lassen, was wirklich in mir vorging. Ich wollte Jake damit keine Vorwürfe machen, doch es war etwas, worüber wir dringend sprechen mussten.
Ich hob meinen Kopf von seiner Brust und sah ihn an. Der Blick in seinem Gesicht ging mir durch Mark und Bein, er sah aus, als hätte ich ihn geohrfeigt.
"Y/N.. wie konntest du nur glauben, ich hätte dich verlassen? Das hätte ich dir niemals angetan, schon gar nicht, nachdem ich dir gesagt habe, dass ich dich liebe und erst recht nicht, nachdem du mir gesagt hast, dass du dasselbe empfindest", während er das sagte, nahm er mein Gesicht in seine Hände und wischte mit seinem Daumen eine einzelne Träne fort, welche mir über die Wange lief. "Ich habe dir versprochen, dass wir eine Lösung finden werden, um zusammen sein zu können und dieses Versprechen gilt noch immer". Er sah mich durchdringend an, sein Gesicht nur noch wenige Zentimeter von meinem entfernt. "Vorausgesetzt, du möchtest noch immer mit mir zusammen sein..", beendete er seinen Satz zögernd und ich konnte seine Angst vor einer Zurückweisung förmlich spüren.
"Jake..", flüsterte ich seinen Namen und versuchte die richtigen Worte zu finden. Das war eine Frage, die für mich zu keinem einzigen Zeitpunkt zur Debatte gestanden hatte. So verletzt und wütend ich auch gewesen war, mir war absolut klar gewesen, dass ich ihn sofort wieder in mein Leben lassen würde, sollte er jemals zurückkehren. Dieser Zeitpunkt war nun gekommen und es stand außer Frage, ob ich mir noch immer eine Zukunft mit ihm wünschte. Das war alles, was ich jemals wollte und meine Gefühle für ihn hatten sich kein bisschen verändert, wenn überhaupt, waren sie bloß noch stärker geworden.
"Natürlich möchte ich mit dir zusammen sein", gab ich schließlich zu. Jake schien sich augenblicklich zu entspannen und ließ seufzend seine Stirn gegen meine sinken. In diesem Moment wurde mir klar, dass er mindestens genauso große Angst gehabt haben musste, mich zu verlieren, wie ich gefürchtet hatte, ihn für immer verloren zu haben.
Ich spürte Jakes Atmen auf meinem Gesicht und er war mir so nahe, dass unsere Nasenspitzen sich beinahe berührten. Ihm so nahe zu sein, brachte mich fast um den Verstand. Es machte mich nervös und gleichzeitig fühlte es sich so vertraut an. Das Ganze war doch völlig verrückt, immerhin wussten wir beide, was wir für einander empfanden. Ich wusste, wer Jake war, hatte das Gefühl, ihn schon seit Ewigkeiten zu kennen und doch war er nüchtern betrachtet quasi ein Fremder. Es gab so Vieles, dass wir noch nicht über einander wussten. Wir mussten uns noch auf so vielen Ebenen kennenlernen.
"Y/N?", durchbrach Jake meinen inneren Monolog. "Mhm?".
"Ich kann dich grübeln hören", seine Stimme war leise und rau. Das brachte mich zum schmunzeln, denn wie aufs Stichwort, bewies Jake mir, dass er mich eben doch kannte.
Sein Mund kam meinem immer näher und ich hielt den Atem an. Die Luft zwischen uns schien zu vibrieren, so elektrisierend war unsere Anspannung.
Dann endlich küsste er mich. Seine Lippen, warm und weich, schmiegten sich perfekt an meine, als wären sie nie für etwas anderes bestimmt gewesen. Überwältigt von den Gefühlen, die dieser Kuss in mir auslöste, schlang ich meine Arme um seinen Hals und zog ihn noch näher an mich, sofern das überhaupt möglich war. Erst als wir schließlich nach Luft rangen, lösten wir uns von einander.
Jake strich mir eine Strähne meiner Haare hinters Ohr und beugte sich vor, um mich erneut zu küssen.
"Es gibt einiges worüber wir sprechen sollten", platze es leise aus mir heraus, kurz bevor sich unsere Lippen erneut berührten. Am Liebsten hätte ich mich selbst dafür geohrfeigt, dass ich diesen Moment zerstörte, anstatt ihn einfach zu genießen, doch ich konnte einfach nicht vergessen, was geschehen war und wie sollte ich es überleben, mich derart auf Jake einzulassen, wenn er morgen vielleicht bereits wieder fort war? Ich brauchte Antworten und die würde nur Jake mir geben können.
Er seufzte, schloss die Augen und nickte, als hätte er bereits damit gerechnet, dass ich mich mit seiner Erklärung nicht zufrieden geben würde.
"Das hier kann nur funktionieren, wenn du ehrlich zu mir bist, Jake. Ich muss wissen, dass du morgen nicht wieder verschwunden sein wirst, sonst verliere ich wirklich noch den Verstand". Damit wollte ich ihm weder ein Ultimatum stellen, noch ihm etwas vorwerfen, ich wollte lediglich meine eigenen Grenzen abstecken. So sehr ich ihn auch liebte, ich war mir sicher, dass ich es nicht noch einmal schaffen würde, mit dieser Ungewissheit zu leben und mich monatelang zu fragen, ob es das nun endgültig war oder ob er doch plötzlich wieder vor mir stehen würde. Das würde mich und alles was zwischen uns war zerstören.
"Du weißt, dass ich dir das nicht versprechen kann". Er wich meinem Blick aus, während er das sagte.
"Dann ist das hier alles, auf was ich hoffen kann? Dich vielleicht alle paar Monate für kurze Zeit bei mir zu haben, ohne zu wissen, ob ich dich jemals wiedersehe?". Man hörte mir an, wie aufgebracht ich war, doch es war mir egal. Die Selbstverständlichkeit in seinen Worten verletzte mich, auch wenn ich wusste, dass das nicht seine Absicht war.
"Wir haben darüber gesprochen, Y/N. Du hast gesagt, du willst mit mir zusammen sein, obwohl du weißt, wie ein Leben mit mir aussehen kann". Nun sah er mich direkt an und ich konnte den Konflikt in seinen Augen sehen, den er gerade scheinbar mit sich selbst führte.
"Ja, das habe ich, weil ich dachte, wir machen das hier gemeinsam, Jake. Ich dachte wir sind ein Team und dass wir füreinander da sind. Dachtest du ich würde hier bleiben und warten, mich jeden Tag der vergeht fragen, ob du in Sicherheit bist, ob sie dich gefasst haben oder ob du überhaupt noch lebst?"
Ich rückte ein Stück von ihm ab, denn ich würde keine vernünftige Diskussion mit ihm führen können, wenn er mich berührte und mich damit immer wieder aus dem Konzept brachte.
"Ich werde nicht zulassen, dass du dein Leben wegwirfst und mit mir kommst. Sie würden dich genauso verfolgen wie mich. Das ist keine Option", er klang bestimmt, was mich noch wütender machte. Woher nahm er sich das Recht, zu entscheiden, was das Beste für mich war?
"Für mich ist das sehr wohl eine Option. So wie ich das sehe, können wir nur dann eine Zukunft miteinander haben, wenn wir zusammen sind und wie soll das funktionieren, wenn du mich immer wieder verlässt?"
Entgeistert starrte Jake mich an, bevor er aufstand und begann im Zimmer auf und ab zu laufen. Währenddessen fuhr er sich mit den Händen verzweifelt durch die Haare.
"Vielleicht ist es ein Fehler gewesen, zurückzukommen".
Ich saß da, völlig erstarrt und fühlte mich, als hätte er mir mein Herz, welches ich gerade erst zurückbekommen hatte, erneut aus der Brust gerissen. Tränen stiegen mir in die Augen, ohne das ich es hätte verhindern können.
Scheinbar begriff er, was er da gerade gesagt hatte, denn er fuhr fort.
"Ich hätte dich gehen lassen sollen. Du warst gerade dabei, wieder ein normales Leben zu führen. Es war nicht meine Absicht, alles durcheinander zu bringen".
Er wandte mir den Rücken zu und bewegte sich in Richtung Tür. Panisch sprang ich auf.
"Ein normales Leben? Ich will kein normales Leben. Ich will dich, Jake", mittlerweile schluchzte ich und sah ihn flehend an. Wenn er jetzt ging, würde es mich zerreißen.
Er drehte sich zu mir um und sah mich gequält an.
"Es tut mir leid, Y/N"
Er drehte sich wieder weg, scheinbar wollte er wirklich gehen und ich klammerte mich an jeden Strohhalm.
"Was ist mit Lilly? Sie schien irgendetwas gewusst zu haben. Sie sagte, dass du mich liebst und dass du zu mir zurückkommen würdest"
Meine Worte schienen ihn kurz aus der Fassung zu bringen, doch er fing sich schnell wieder.
"Nachdem ich beschlossen hatte, in die Mine zu gehen, musste Lilly mir versprechen, auf dich aufzupassen, sollte etwas schief laufen"
Seine Hand lag mittlerweile auf der Türklinke und ich begann am ganzen Körper zu zittern.
"Bitte, Jake.. wir finden eine Lösung, aber bitte geh nicht". Ich schlang die Arme um meinen eigenen Körper und hielt mich fest, damit ich nicht zerbrach. Tränen rannen mir unkontrolliert über die Wangen, während ich dort mitten im Zimmer stand und Jake ansah. Er stand mit dem Rücken zu mir und hatte die Stirn an die Tür gelehnt. Scheinbar mit sich ringend, schlug er frustriert mit der Faust gegen das Holz.
"Fuck", stieß er bloß hervor, dann wandte er sich wieder mir zu, durchquerte mit schnellen Schritten das Zimmer und zog mich an sich. Bevor ich mein Gesicht an seiner Brust vergrub, sah ich den Ausdruck auf seinem Gesicht. In diesem Moment war Jake mindestens genauso zerrissen, wie ich selbst. Und er weinte. Es war ein Anblick, der mir für immer in Erinnerung bleiben würde. Ihn so zu sehen, löste körperliche Schmerzen bei mir aus.
"Es tut mir so leid.. ich weiß, ich müsste durch diese Tür gehen und nie zurückkehren. Ich müsste dich dein Leben leben lassen und dafür Sorgen, dass meine Anwesenheit dich niemals wieder in Gefahr bringt, doch ich kann es nicht, Y/N. Ich dachte, wenn ich dich nur ein einziges Mal sehe, könnte ich mit allem abschließen. Ich weiß, wie egoistisch das war. Nach meiner Flucht war mir klar geworden, dass ich dir nichts bieten konnte, doch ich konnte mich einfach nicht von dir fern halten. Du bist alles, was ich habe und ich liebe dich"
Er vergrub sein Gesicht in meinen Haaren und hielt mich fest. Wobei ich wohl eher ihn hielt. Zum ersten Mal bekam ich einen Eindruck davon, wie einsam und verloren Jake sich fühlte. Wenn ich auch vor wenigen Sekunden noch gedacht hatte, er würde mich erneut verlassen wollen, so hatte er bloß versucht mich zu schützen. Vorsichtig hob ich seinen Kopf an, sodass er mich ansehen musste. Seine Augen waren gerötet und all die Verantwortung und die Sorgen, die in den vergangenen Monaten auf seinen Schultern gelastet hatten, zeichneten sich nun auf seinem Gesicht ab.
"Versprich mir, dass wir das gemeinsam durchstehen. Wir sind ein Team, Jake. Du und ich", sagte ich und sah ihm in die Augen. Es war ihm anzusehen, wie schwer es ihm fiel, doch schließlich nickte er.
Erleichtert seufzte ich auf und legte meine Stirn an seine.
"Ich liebe dich auch", flüsterte ich und legte meine Lippen auf seine.

Duskwood - The things we lost in the fire Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt