Kapitel 25

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"Wie geht es jetzt weiter?". Mein Kopf lag auf Jakes Brust und er hatte einen Arm um mich gelegt. Nach unserer Auseinandersetzung hatte ich ihn nach Nebenan geführt. Seitdem lagen wir auf dem Bett und keiner von uns hatte bisher auch nur ein Wort gesagt. Draußen dämmerte es bereits und ich konnte meine Augen kaum noch offen halten, doch es gab so Vieles, über das wir sprechen mussten.
"Um ehrlich zu sein.. ich weiß es nicht", kam es von Jake und es war ihm anzuhören, wie sehr es ihn frustrierte, keine Lösung für unsere Situation zu haben. Auch für mich war all das noch neu. Theoretisch wusste ich, was es für ihn bedeutete, auf der Flucht zu sein. Praktisch hatte ich allerdings keine Ahnung, worauf es wirklich ankam und auf was genau wir achten mussten. Fest stand bloß, dass seine Verfolger auf keinen Fall erfahren durften, dass er hier bei mir war.
"Wirst du hier bleiben? Ich meine, wo warst du denn, bevor du hergekommen bist?". Ich wollte ihn nicht bedrängen, doch ich hatte so unfassbar viele Fragen.
"Ich bin erst seit ein paar Tagen wieder in der Gegend. Die ganze Zeit über habe ich versucht, so gut es ging Abstand zu halten. Ich wollte dich keiner unnötigen Gefahr aussetzen und.. ehrlich gesagt hatte ich geglaubt, es wäre besser für dich, wenn ich nicht zurückkehren würde. Doch dann fand ich die Nachrichten, die du mir geschickt hattest und ich konnte lesen, was die anderen in Nachrichten über dich schrieben. Zu lesen, wie sehr du unter meiner Abwesenheit leidest, hat es mir unmöglich gemacht, dich weiterhin zu meiden".
Ich hob den Kopf und sah ihn an. "Du hast meine Nachrichten erhalten?", fragte ich verwirrt.
"Ich habe sie auf deinem Handy gesehen", erklärte er mir, dann fuhr er fort. "Ich hätte schon viel früher Kontakt zu dir aufgenommen, doch sie waren überall, Y/N. Sie haben dich auf Schritt und Tritt beobachtet und nur darauf gewartet, dass du ihnen auch nur den kleinsten Hinweis auf meinen Verbleib lieferst". Wenn sie mich die ganze Zeit überwacht hatten, wieso war mir das nicht aufgefallen? So gern ich mir auch eingeredet hätte, dass ich es bemerkt hätte, rückblickend musste ich mir eingestehen, dass ich seit Jakes Verschwinden an nichts mehr Interesse gezeigt hatte. Ich war unaufmerksam geworden. Doch während ich darüber nachdachte, fiel es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen. Als ich nach Duskwood gekommen war, waren mir im Café Regenbogen zwei seltsame Männer begegnet und nun kamen, seit ich meinen Job bei Phil angefangen hatte, jeden Abend ebenfalls zwei Männer in die Bar. Wäre ich aufmerksamer gewesen, wäre es mir vermutlich schon viel früher klar geworden, doch nun war ich mir sicher, dass es sich bei diesen Männern um Jakes Verfolger handelte.
"Aber wieso ausgerechnet jetzt? Schließlich sind sie immer noch hier, was hat sich also verändert?"
Er antwortete nicht sofort, scheinbar wollte er seine Antwort genau abwägen.
"Sie werden nachlässig. Das soll jetzt wirklich nicht unsensibel klingen, aber im Grunde hat dein Verhalten es mir möglich gemacht, zurückzukommen. Offenbar war es auch für Außenstehende offensichtlich genug, wie schlecht es dir geht, sodass sie sich sicher waren, dass du keinerlei Kontakt zu mir hast. Wie auch immer wir nun beschließen weiterzumachen, wir müssen alles dafür tun, diesen Schein aufrecht zu erhalten"
Der Gedanke, dass Jakes Sicherheit und unsere gemeinsame Zukunft gewissermaßen in meiner Verantwortung lag, bereitete mir Bauchschmerzen. Wie sollte ich seine Verfolger bloß glaubhaft täuschen? Schließlich hatte ich in den letzten Wochen keine Rolle gespielt, denn all das war echt gewesen. Jetzt, wo er endlich bei mir war, erschien es mir unmöglich auch nur annährend überzeugend so zu tun, als würde ich noch immer trauern.
"Und wie sollen wir das anstellen?", ich hörte selbst, wie unsicher ich klang.
Jake drückte mir sanft einen Kuss auf die Schläfe. Als ich daraufhin meinen Kopf zu ihm drehte, bereitete sich bereits eine Röte auf seinen Wangen aus. Für ihn war das hier genauso ungewohnt, wie für mich, wenn nicht sogar noch mehr. All das war noch völlig neu für uns, denn bisher hatte unsere Beziehung, wenn man es denn so nennen konnte, nur auf virtuellem Wege existiert. Ihn jetzt hier neben mir zu spüren und solch kleine Gesten auszutauschen, war sowohl angsteinflößend als auch aufregend. Es war das, was wir uns die ganze Zeit über gewünscht hatten und doch war nie klar gewesen, ob es jemals dazu kommen würde.
"In erster Linie müssen wir dafür sorgen, dass sie keinen Verdacht schöpfen. Das bedeutet du musst deine gewohnten Tagesabläufe unbedingt beibehalte, also zur Arbeit gehen und deine Freunde treffen. Wenn du jetzt plötzlich zu Hause bleibst und alle anderen meidest, würden sie wissen, dass etwas nicht stimmt."
Das war leichter gesagt als getan. Jetzt wo Jake endlich bei mir war, wollte ich ihm am Liebsten nie wieder von der Seite weichen, aus Angst, jede noch so kleine Trennung von ihm könnte für immer sein. Natürlich wusste ich, dass er Recht hatte. Seine Verfolger waren nicht dumm, wenn ich mich jetzt auffällig verhielt, würden sie ihn schnappen. Das konnte ich unter keinen Umständen riskieren. Abgesehen davon fing ich an, mich an das Leben, welches ich mir gerade aufbaute, zu gewöhnen. Da unklar war, wie lange ich es noch so leben konnte, wollte ich so viel Zeit wie nur möglich mit den Menschen verbringen, die mir am Herzen lagen. Doch nicht nur Jessy, Lilly und Dan zählten zu meinen Freunden. Trotz allem was geschehen war betrachtete ich auch Richy noch immer als meinen Freund und auch wenn sich ein Teil von mir noch immer dagegen sträubte, ich musste mich bald der Realität stellen und ihn besuchen. Das hatte ich ihm versprochen und ich würde ihn nicht im Stich lassen. Und dann war da noch Phil. Er war mein Arbeitgeber, doch mittlerweile war auch er mehr als nur ein guter Bekannter für mich. Es machte mir Spaß mit ihm zu arbeiten und er hatte es in den letzten Wochen geschafft, mich immerhin für wenige Stunden von meiner Trauer abzulenken, wofür ich ihm sehr dankbar war.
"Wobei ich ehrlich sagen muss, dass es mir lieber wäre, wenn du gewisse Leute weniger häufig sehen müsstest", riss Jake mich aus meinen Gedanken und es war, als hätte er gehört, was mir durch den Kopf ging.
"Mir war nicht klar, dass Phil noch immer ein solcher Störfaktor für dich ist", erwiderte ich vorsichtig. Natürlich wusste Jake, wo ich arbeitete. Als gäbe es irgendetwas auf dieser Welt, was ich vor ihm hätte geheimhalten können. Nicht, dass das meine Absicht gewesen wäre.
"Ich fürchte, das wird sich niemals ändern". Seine Worte waren voller Verbitterung und ich konnte es ihm nicht einmal wirklich übel nehmen. Er hatte gelesen, wie Phil damals versucht hatte, bei mir zu landen. Jake musste einfach verstehen, dass da absolut nichts war, worüber er sich sorgen müsste.
"Hör mal.. seit ich wieder Kontakt zu Phil habe, hat er sich wirklich zurückgehalten. Er weiß, dass es jemanden gibt, über den ich nicht hinweg bin und ich bin mir ziemlich sicher, dass er mich auch zukünftig mit diesem Thema verschonen wird. Und selbst wenn nicht.. es könnte tausend Phils auf der Welt geben, ich würde mich trotzdem jeder Zeit wieder für dich entscheiden, Jake. Also mach dir bitte keine Sorgen". Ich sah ihm in die Augen, während ich das sagte, damit er sehen konnte, wie ernst es mir war. Einen Moment erwiderte er meinen Blick stumm, dann seufzte er schließlich und nickte. Jetzt, wo das endlich geklärt war, gab es nur noch ein Thema, über welches wir sprechen mussten.
"Was ist mit Lilly und Hannah?", fragte ich vorsichtig, schließlich war Jakes Beziehung zu seinen Halbschwestern deutlich schwieriger. Jake schüttelte den Kopf.
"Es ist zu gefährlich sie einzuweihen. Wir wissen ja selbst noch nicht einmal, wie es weiter geht, sie also in die ganze Sache hineinzuziehen, würde alles nur unnötig kompliziert machen".
Mir war nicht wohl bei dem Gedanken, Lilly anzulügen. Sie war zu einer meiner engsten Vertrauten geworden und ihr nun vorzuenthalten, dass ihr Bruder zurück war, bedeutete einen furchtbaren Verrat gegenüber meiner Freundin. Allerdings blieb mir nichts anderes übrig, als Jakes Wunsch zu respektieren. Wenn ich wollte, dass das mit uns funktionierte, ohne dass er ständig verschwand, dann würde ich mich an seine Spielregeln halten müssen.
"Okay", flüsterte ich. Die Müdigkeit gewann mittlerweile die Oberhand und konnte nicht länger gegen die Erschöpfung ankämpfen.
"Versprich mir, dass du noch hier bist, wenn ich aufwache", bat ich Jake. Andernfalls würde ich keine Ruhe finden.
Sanft nahm er meinen Kopf in seine Hände und drehte mein Gesicht zu sich, bevor er mir einen leichten Kuss auf die Lippen drückte.
"Ich verspreche es"

Duskwood - The things we lost in the fire Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt