Kapitel 3

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Als ich die erste Weggabelung erreichte, fluchte ich. Woher zum Teufel sollte ich nur wissen, für welchen Weg ich mich entscheiden sollte? Verzweifelt rief ich Jakes Namen, doch wie auch schon bereits bei den letzten Malen als ich das tat, kam keine Antwort. Noch immer hatte ich die Hoffnung, dass er mich vielleicht hören würde und ich ihn somit finden konnte. Doch ich war ziemlich leichtsinnig gewesen, denn das Ganze gestaltete sich deutlich schwieriger als bisher angenommen. Für wenige Sekunden schloss ich die Augen und entschied mich schließlich dazu, den linken Weg zu wählen. Ich lief weiter und ein Schauder durchfuhr meinen Körper. Dort drin war es unglaublich kalt und feucht. Überall tropfte Wasser von der Decke und das Platschen der Tropfen hallte in den Gängen wider. Die ganze Zeit über hatte ich ein mulmiges Gefühl im Bauch, ich würde es nicht direkt als Angst bezeichnen, allerdings bin ich ein ziemlich schreckhafter Mensch und wäre in diesem Moment jemand plötzlich vor mir aufgetaucht, hätte ich vermutlich den Schreck meines Lebens erlitten. Vor jeder Abzweigung atmete ich also einmal tief durch und leuchtete mit meiner Taschenlampe vorsichtig um die Ecke, stets auf alles gefasst.

Ich wusste nicht, wie viel Zeit bereits vergangen war, seit ich die Mine betreten hatte, doch ich lief weiter. Immer wieder rief ich Jakes Namen, nur um immer wieder aufs Neue enttäuscht zu werden. Was wenn er gar nicht mehr hier war? Dann war es völlig umsonst, dass ich hier herumirrte, doch in diesem Fall hätte Jake sich doch sicherlich bei mir gemeldet, um mir zu sagen, dass er in Sicherheit war, oder? Zumindest redete ich mir das ein. Ich konnte jetzt nicht einfach umdrehen, denn ich konnte und wollte nicht das Risiko eingehen, ihn hier im Stich zu lassen. Er war dort in diese Mine gegangen, damit mir nichts zustieß. Dasselbe tat ich nun für ihn. Außerdem war da noch dieses Feuer. Ich musste herausfinden, was in dieser Mine passiert war, denn wenn ich nicht etwas Entscheidendes verpasst hatte, dann befand sich auch Richy noch dort. Ja Richy hatte Fehler gemacht, Fehler die uns alle betrafen und schwerwiegende Konsequenzen mit sich zogen, trotzdem war ich nicht bereit ihn dort unten sich selbst zu überlassen.

Kurze Zeit später erreichte ich einen Schacht. Als ich hineinblickte, stellte ich erleichtert fest, dass er genauso aussah, wie der, den Jake für mich fotografiert hatte. Entweder gab es hier viele solcher Schächte oder ich hatte wie durch ein Wunder tatsächlich den richtigen Weg gewählt. Ich entschied mich dafür, auf Letzteres zu hoffen, doch es würde sich vermutlich bald herausstellen, ob ich Recht hatte. Denn nun musste ich, genau wie Jake zuvor auch, völlig im Dunkeln diese Leitern hinabsteigen. 70 Meter hatte er gesagt. Das war wirklich verdammt tief und ich spürte, wie meine Beine anfingen zu zittern, als ich mich zum Klettern bereit machte. Ich stecke mein Handy in die Hosentasche. Nun war es dunkel und ich tastete blind nach den ersten Sprossen der Leiter, dann stellte ich vorsichtig einen Fuß darauf. Stück für Stück kletterte ich mit zittrigen Fingern die erste Leiter hinunter. Als ich schließlich auf dem ersten Absatz ankam, atmete ich erleichtert aus. Ich war zwar erst ungefähr drei Meter in den Schacht hinabgestiegen, doch ich verbuchte es trotzdem als kleinen Teilerfolg. Immerhin war ich noch nicht abgestürzt. Sollte eine der Leitern nachgeben, eine Sprosse fehlen oder sich lösen, dann wars das vermutlich mit mir. Nach allem, was ich durchgemacht hatte, wollte ich auf keinen Fall zulassen, dass ich nun in dieser Mine abstürzen und sterben würde. Ich beschloss also mich zusammenzureißen und endlich weiterzumachen. Zudem motivierte mich der Gedanke, dass Jake erst vor kurzem selbst an genau dieser Stelle gewesen war, zusätzlich. Noch nie waren wir uns so nah gewesen.
Leiter für Leiter stieg ich hinab in die Dunkelheit, bis ich schließlich wieder festen Boden unter meinen Füßen spürte. Es hatte eine gefühlte Ewigkeit gedauert, doch ich war tatsächlich unversehrt unten angekommen. Schnell zog ich mein Handy hervor und schaltete die Taschenlampe wieder ein, um meinen Weg fortzusetzen. Schon nach wenigen Metern stieg mir ein beißender Geruch in die Nase und es war eindeutig Rauch. Ich war also tatsächlich auf dem richtigen Weg.
Mit jedem Meter, den ich ging, wurde der Rauch dichter und meine Augen begannen zu tränen. Auch jetzt rief ich immer wieder nach Jake, doch die Luft dort unten war furchtbar schlecht, auch ohne den dunklen Rauch, der meine Lungen füllte, sodass ich immer häufiger husten musste. In einer Hand das Handy mit der Taschenlampe, in der anderen der Ärmel meiner Bluse, den ich mir vor den Mund presste, ging ich weiter. Mir war durchaus bewusst, dass es eine dumme Idee war, doch wenn Jake noch dort war, musste ich ihn schleunigst finden. "Jake!", schrie ich, doch alles was ich hörte, war mein eigenes Echo, das von den Wänden widerhallte. Immer mehr Tränen sammelten sich in meinen Augen, doch diesmal nicht nur durch den Rauch, sondern vielmehr vor Verzweiflung. Die letzten Wochen waren die Hölle gewesen, doch noch nie hatte ich mich so sehr gesorgt, wie in diesem Augenblick um Jake. Ihm durfte nichts zustoßen, das würde ich nicht ertragen können..

Ich bog um eine Ecke und der Rauch war mittlerweile so dicht, dass ich trotz meiner Taschenlampe beinahe gar nichts mehr sehen konnte. Plötzlich war die Kälte, die ich anfangs gefühlt hatte, verschwunden. An ihre Stelle war eine beinahe unerträgliche Hitze getreten, die mit jedem Schritt heißer wurde. Dann schließlich sah ich die Flammen und rannte darauf zu. Ich hatte also den Ursprung des Rauches erreicht. Soweit ich es beurteilen konnte, war es so gut wie unmöglich an diesen Flammen vorbeizukommen. Sie hatten bereits viele Holzkisten verschlungen, welche auf dem Boden links von mir standen und das Feuer breitete sich allmählich über die Kabel an der Decke und die vereinzelten Holzbalken aus. Einen Augenblick lang überlegte ich, ob ich wieder umkehren sollte, doch dann sah ich hinter den Flammen eine Gestalt an die Wand gelehnt auf dem Boden sitzen..

Duskwood - The things we lost in the fire Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt