Ich war wie erstarrt. Wer war diese Person und wie zum Teufel war sie dort hinauf gekommen? Jede einzelne meiner Alarmglocken schrillte, denn wer auch immer mitten in der Nacht dort oben auftauchte, wollte ganz sicher nicht bloß nett plaudern. Panische blickte ich mich um, während die dunkle Gestalt mit ruhigen, bedächtigen Schritten immer näher kam. Ich blickte nach rechts, wo die Feuertreppe hinunter zu meiner Wohnung führte. Würde ich es rechtzeitig schaffen? Keine Ahnung, aber ich musste es versuchen, also nahm ich all meinen Mut zusammen und rannte die wenigen Meter, bis ich den Treppenansatz schließlich erreichte. Gerade als ich ein Bein über die Kante setzen wollte, fing die Gestalt hinter mir plötzlich an, zu sprechen.
"Bitte, geh nicht". Es war der Moment, in dem mein rationales Denken sich vollends verabschiedete, denn ich hielt tatsächlich inne. Ich wusste nicht genau, was es war, aber da war etwas in seinen Worten, dass mir das Gefühl gab, nicht in Gefahr zu sein. Der Klang seiner Stimme war tief und rau, doch was mir für immer in Erinnerung bleiben wird, ist die unendliche Traurigkeit, die in diesen drei kleinen Worten steckte. Vorsichtig setzte ich meinen Fuß wieder ab und drehte mich langsam zu ihm um, nur um festzustellen, dass er mir nicht gefolgt war. Er stand noch immer an der selben Stelle wie zuvor, die Schultern schlaff durchhängend und das Gesicht zu Boden geneigt, sodass ich ihn noch immer nicht sehen konnte. Ich war mir sicher, seine Stimme noch nie zuvor gehört zu haben und doch kam sie mir seltsamerweise vertraut vor.
Ich rührte mich keinen Millimeter vom Fleck, stand einfach nur da und wartete darauf, was als nächstes geschehen würde, noch immer bereit, sofort die Flucht zu ergreifen.
Seine nächsten Worte schlugen in mir ein, trafen jeden Nerv und ließen den Boden unter mir gefährlich schwanken.
"Ich weiß, so hatten wir beide uns unser erstes Treffen nicht vorgestellt..", er ließ den Satz unbeendet und hob vorsichtig die Hände um sich ganz langsam seine Kapuze vom Kopf zu streichen.
Ein Teil von mir hatte es vermutlich schon geahnt, doch nun war ich mir absolut sicher. Ich kannte weder seine Stimme, noch sein Gesicht und doch wusste ich ganz genau, wer dort vor mir stand. Ich ging auf ihn zu, fast so als wäre er ein Magnet, der mich anzog und blieb etwa zwei Meter entfernt vom ihm stehen. Er sagte nichts, sah mich einfach nur an, während ich versuchte, die Fassung zu bewahren. Ich beobachtete ihn, wie er dort stand, der Blick in seinem Gesicht, voller Angst, vor meiner Reaktion. Doch wie sollte ich schon reagieren? Er war von einer Sekunde auf die nächste verschwunden, hatte sich kein einziges Mal gemeldet und mich in dem Glauben gelassen, er würde nie zurückkehren, während ich in meiner Trauer und meinem Schmerz beinahe ertrunken wäre. Doch ich hatte überlebt, hatte gelernt zu schwimmen und es geschafft, mein Leben, so gut es eben ging, wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Nun stand er vor mir. Beinahe drei Monate waren vergangen, seit er in die Mine gegangen und verschwunden war. Fast drei Monate, seit er mir seine Liebe gestanden und mich anschließend verlassen hatte. In diesem Augenblick fühlte ich vermutlich jede Emotion, die ein Mensch nur fühlen kann, angeführt von Schmerz, Erleichterung, Verwirrung, Verzweiflung und Wut. Ich war wütend, dass er zu keinem Zeitpunkt versucht hatte, Kontakt zu mir aufzunehmen, erleichtert, dass er lebte und verzweifelt, weil ich nicht wusste, was ich nun tun sollte. Doch da war noch ein weiteres Gefühl, von dem ich mir selbst nicht eingestehen wollte, dass ich es fühlte. Angst. Jetzt, da er vor mir stand, hatte ich furchtbare Angst, dass es wieder passieren würde. In der einen Sekunde war er noch da, versprach mir eine gemeinsame Zukunft und im nächsten Augenblick war er fort. Ich wusste, dass ich es kein weiteres Mal überstehen würde, ihn zu verlieren, denn so sehr ich ihm alles vorwerfen wollte, was er mir angetan hatte, so gern ich ihn fort geschickt hätte.. ich liebte ihn. In diesem Moment vermutlich noch mehr, als jemals zuvor.
"Was tust du hier, Jake?". Von all den Fragen, die mir durch den Kopf schossen, war es ausgerechnet diese, die mir über die Lippen kam. Meine Stimme klang erschöpft, denn so sehr ich auch versuchen wollte, die Mauern, die ich um mich herum errichtet hatte, aufrechtzuerhalten, ein Blick von ihm hatte ausgereicht, um sie alle zum Einsturz zu bringen.
Ich sah ihn direkt an, während ich auf eine Antwort von ihm wartete und er erwiderte meinen Blick, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Ich wartete und wartete, doch nichts von ihm kam. Es war ihm anzusehen, dass er verzweifelt versuchte, die richtigen Worte zu finden. Als ich das Schweigen nicht länger aus aushielt, nickte ich bloß leicht und versuchte die Tränen wegzublinzeln, die sich in meinen Augen sammelten. Dann nahm ich das letzte bisschen Kraft, welches mir geblieben war, drehte mich um und ging.
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Duskwood - The things we lost in the fire
FanfictionDiese Geschichte basiert auf dem gleichnamigen Spiel "Duskwood" von Everbyte. Meine Geschichte beginnt im Anschluss an Episode 10. Mir gehören weder die Figuren noch die ursprüngliche Idee des Spiels. Es handelt sich hierbei lediglich um eine Fanfic...