Kapitel 13

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Zwei Tage waren vergangen, seit ich von meinem Verhör mit Alan zurück ins Hotel gefahren war. Zwei Tage, in denen ich es nicht geschafft hatte, mein Zimmer zu verlassen. Ich hatte mich von Pizza ernährt, die ich mir hatte liefern lassen und war all meinen Kontakten so gut es eben ging aus dem Weg gegangen. Nur Jessy hatte ich eine Nachricht zukommen lassen, dass ich ein paar Tage für mich brauchen würde und sie sich keine Sorgen machen sollte. Seit dem hatte ich mich im Bett verkrochen, denn mir fehlte nicht nur die Kraft, sondern auch der Wille, mir Gedanken darüber zu machen, wie es mit meinem Leben weiter gehen sollte. Jake hatte sich noch immer nicht bei mir gemeldet, doch damit rechnete ich mittlerweile auch nicht mehr. Zu Beginn meiner mir selbst auferlegten Isolation hatte ich gefühlt alle zwei Minuten auf mein Handy gesehen, in der Hoffnung, er würde sich nun doch endlich melden. Doch die Stunden zogen an mir vorbei und auch der letzte Hoffnungsschimmer war irgendwann erloschen. Jake war fort und er würde nicht zurückkommen. Je eher ich lernte das zu akzeptieren, desto besser. Ich hatte mittlerweile seit 12 Stunden nicht mehr geweint. Meine Tränen waren aufgebraucht und die gähnende Leere, die ich empfand, ließ keinen Platz für andere Gefühle. Meine Gefühle zu verdrängen war vermutlich nicht der klügste Schachzug, doch es war das Einzige, was mich derzeit am Leben hielt.
Darüber, wie lange ich mich noch verkriechen wollte, hatte ich mir noch keinerlei Gedanken gemacht, schließlich hatte ich alle Zeit der Welt. Ich hatte nichts, wohin ich hätte zurückkehren können. Mein altes Leben hatte ich nach und nach aufgegeben, als ich angefangen hatte, nach Hannah zu suchen. Auch wenn es naiv von mir gewesen war, hatte ich die ganze Zeit über gehofft, dass Jake und ich einen Weg finden würden, um eine gemeinsame Zukunft miteinander zu haben. Je stärker meiner Gefühle ihm gegenüber wurden, desto sicherer war ich mir, dass ich nicht mehr ohne ihn leben wollte. Aus unerklärlichen Gründen hatte es für mich einfach nicht zur Debatte gestanden, dass Jake einfach verschwinden würde, sobald alles vorbei war. Ich vertraute ihm bedingungslos und hatte wirklich gedacht, dass er dasselbe empfand, wie ich. Warum also hatte er mich verlassen, nachdem er zugegeben hatte, dass er mich liebte? Wollte er sich damit bloß weiterhin mein Stillschweigen erkaufen, um seine eigene Sicherheit zu gewährleisten? Vielleicht liebte er mich auch, und wollte bloß einen glatten Schnitt setzen, weil es für uns beide zu gefährlich war. So sehr ich mich auch bemühte, eine Rechtfertigung für sein Verhalten zu finden, es änderte nichts an der Tatsache, dass ich mir einfach so furchtbar dumm vorkam. Ich hatte alles für einen völlig Fremden riskiert. Ich hatte ihm mein Herz geschenkt und hätte mein eigenes Leben für das Seine gegeben. Und was hatte ich nun davon? Fakt war, dass er weg war und ich besser schnell einen Weg finden musste, damit zu leben, bevor es mich endgültig zerstörte. Da Jake beschlossen hatte, kein Teil meines Lebens mehr zu sein, hatte er auch keinerlei Mitspracherecht mehr darüber, wie ich beschloss damit umzugehen.
Und nun war ich hier in Duskwood, hatte alles verloren und es sah ganz danach aus, als würde ich all meine Ersparnisse auf den Kopf hauen, um mich in diesem Motel zu verkriechen und mich von Fast Food zu ernähren. Wenn das mal keine tollen Aussichten waren.

Es war bereits später Nachmittag, als es an meiner Tür klopfte. Ich dachte jedoch nicht daran, darauf zu reagieren, weshalb ich es so gut es eben ging ignorierte. Ein erneutes Klopfen ließ mich genervt die Augen verdrehen, wer auch immer das war, sollte bitte einfach wieder gehen.
"Y/N, ich weiß, dass du da bist, also mach die Tür auf". Es war Jessy, eindeutig und auch, wenn sie meine Freundin war, wollte ich einfach nur meine Ruhe haben. Ich lag also weiterhin im Bett und starrte Richtung Tür, als sie erneut gegen das Holz hämmerte. "Y/N wenn du nicht sofort diese verdammte Tür öffnest, dann breche ich sie auf, das verspreche ich dir!", rief sie diesmal mit erhobener Stimme. Ich wollte nicht, dass sie das ganze Motel unterhielt, also stand ich genervt auf, ging zur Tür und riss sie auf.
"Was willst du, Jessy? Ich bin zur Zeit wirklich nicht in der Stimmung für Besuch". Sie sah mich mit zusammengekniffenen Augen an, bevor sie sich wortlos an mir vorbei ins Zimmer drängte. Ohne auf mich zu achten, ging sie hinüber zu den Fenster, schob die Vorhänge beiseite und riss die Fenster auf. Ich hielt mir schützend die Hände vor mein Gesicht, um nicht vom Sonnenlicht geblendet zu werden.
"Hier drin kann ja kein Mensch vernünftig atmen", sagte sie, als sie meinen verständnislosen Blick bemerkte. Sie musterte mich von oben bis unten und sah mich schließlich besorgt an. Ein wenig schämte ich mir für mein Erscheinungsbild, denn ich hatte mich in den vergangenen Tagen ziemlich gehen lassen.
"Was ist los mit dir Y/N? Seit zwei Tagen habe ich nichts von dir gehört"
Ich war völlig sprachlos, was dachte Jessy sich bloß dabei, einfach hier hereinzustürmen und mich zu verurteilen, nur weil ich mich ein paar Tage lang nicht gemeldet hatte. Ich war immer noch eine erwachsene Frau, die sehr wohl auf sich selbst aufpassen konnte.
"Es ist wegen Jake, oder?", platze es auch ihr heraus. "Was ist passiert, Y/N?", fragte sie ernst.
"Nicht alles, was in meinem Leben passiert, hat mit Jake zu tun", entgegnete ich trotzig und verschränkte die Arme vor der Brust. "Mag sein, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass das hier mit ihm zu tun hat. Seit du bei Alan Bloomgate warst, hab ich nichts mehr von dir gehört. Was hat er dir erzählt?", Jessy war besorgt, was ich ihr hoch anrechnete, doch ich brauchte und wollte ihre Hilfe in dieser Situation einfach nicht. Nichts was sie sagen würde, könnte mir das, was geschehen war, erträglicher machen.
"Hör mal Jessy, danke, dass du extra herkommen bist, um nach mir zu sehen, aber das ist wirklich nicht nötig. Es geht mir gut". Ich setzte ein falsches Lächeln auf, doch sie schien mich zu durchschauen.
"Ich sehe, dass es dir nicht gut geht, Y/N. Und du musst nicht darüber sprechen, bevor du dazu bereit bist, aber ich kann nicht zulassen, dass du dich selbst verlierst". Ihr Blick wurde weich und sie kam auf mich zu. Sie legte mir sanft eine Hand auf die Schulter bevor sie weiter sprach. "Hör zu.. die letzten Wochen waren hart und du hast Schlimmes durchgemacht. Seit du in Duskwood bist, geht es dir zunehmend schlechter. Ich bin froh, dass du hier bist, aber vielleicht ist es an der Zeit nach Hause zu fahren, Y/N. Ein wenig Normalität wird dir bestimmt guttun". Ich entzog mich ihrer Berührung und ging hinüber zum Bett. Dort ließ ich mich seufzend nieder und ließ den Kopf sinken. "Ich kann nicht nach Hause, Jessy".
Ich wollte wirklich nicht darüber sprechen, doch die Worte kamen aus mir heraus, ehe ich es verhindern konnte. Sie nahm neben mir Platz und sah mich fragend an. Ich wich ihrem Blick aus, während ich weitersprach. Jetzt konnte ich auch genauso gut mit offenen Karten spielen, immerhin war Jessy zur Zeit die einzige Bezugsperson, die mir geblieben war.
"Es gibt nichts wohin ich zurück könnte. Meine Wohnung wurde vermutlich mittlerweile zwangsgeräumt und ich habe meinen Job verloren, noch bevor ich in Duskwood angekommen bin. Alles was ich besitze befindet sich in diesem Zimmer und in meinem Auto. Zurzeit ist das hier mein Zuhause, Jessy".
Entsetzen bildete sich auf ihrem Gesicht. "Was? Aber was ist mit deiner Familie?" Ich schüttelte den Kopf. "Warum hast du denn nichts gesagt? Ich hätte dir doch helfen können?"
"Du musst dir wirklich keine Sorgen machen, ich habe alles unter Kontrolle. Ich hatte ohnehin nicht vor, Duskwood so schnell wieder zu verlassen", versuchte ich sie zu beruhigen. "Aber was hast du denn jetzt vor? Wirst du für immer in Duskwood bleiben?" Definitiv würde ich dort bleiben. Dass ich diese Entscheidung wegen Jake getroffen hatte, musste sie ja nicht wissen, denn ich wusste selbst, wie verzweifelt das klingen würde. Und auch wenn es armselig war, so wüsste Jake immerhin jederzeit, wo er mich finden würde.
"Das ist der Plan. Ich habe nicht vor, irgendwo anders hinzugehen", erwiderte ich entschlossen.
Es folgte ein Moment des Schweigens, und ich konnte Jessys Hirn beinahe arbeiten hören.
"Dann werden wir dir eine Wohnung suchen. Und einen Job. Und denk gar nicht daran, mir zu widersprechen"

Duskwood - The things we lost in the fire Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt