Kapitel 10

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Ich stand am Fenster, die Vorhänge zur Seite geschoben und betrachtete den Himmel. Es war noch dunkel draußen, doch am Horizont über Duskwoods Wäldern begann sich der Himmel allmählich zu verfärben. Bald würde die Sonne aufgehen. Mein Telefon verriet mir, dass es fünf Uhr früh war, was bedeutete, dass ich bereits seit über einer Stunde wach war. Ich hatte gehofft, dass der Schlaf mir die nötige Kraft geben würde, um den heutigen Tag zu überstehen, doch da hatte ich mich wohl geirrt. Bereits zwei Stunden nachdem ich eingeschlafen war, schreckte ich aus dem ersten Albtraum hoch. Ich war schweißgebadet gewesen und hatte das Licht angeschaltet, um mich zu vergewissern, dass ich all das bloß geträumt hatte. Nachdem ich mir ein Glas Wasser geholt hatte, hatte ich versucht wieder einzuschlafen, was sich jedoch schwieriger gestaltet hatte, als gedacht. Immer wieder war ich eingenickt, nur um kurz danach erneut aufzuwachen. Meine Gedanken ließen mich nicht zur Ruhe kommen und auch dieser hartnäckige Husten hielt mich wach, weshalb ich also gegen vier Uhr beschlossen hatte, aufzugeben. Und seit dem stand ich dort am Fenster und dachte nach. Ich versuchte meine Erinnerungen zu sortieren, um mich so gut wie möglich auf das Gespräch mit Alan vorzubereiten. Ich würde darauf achten müssen, ihm nicht zu viel zu erzählen, besonders in Bezug auf Jake. Andererseits konnte er sich vermutlich denken, dass das FBI wegen Jake an der Eisenbruchmine aufgetaucht war. Daher war es umso wichtiger, dass ich erfuhr, was Alan wusste. Er war der Einzige, der mir die nötigen Informationen liefern konnte. In dieser Hinsicht war er meine letzte Hoffnung, denn ich wusste nicht, mit wem ich sonst sprechen konnte.
Während ich dort stand, beobachtete ich, wie der zunächst schwarze Himmel erst einen dunkelblauen Farbton annahm, bevor sich einzelne orange und lila Töne dazu mischten. Seufzend lehnte ich meine Stirn gegen das kühle Fensterglas und schloss die Augen. Es war noch zu früh, um zur Polizeiwache zu gehen, doch ich konnte nicht länger tatenlos herumstehen und warten, weshalb ich beschloss duschen zu gehen und mich fertig zu machen.

Ich hatte mir eine Menge Zeit im Badezimmer gelassen, trotzdem saß ich bereits um sieben Uhr komplett fertig auf dem Bett und band mir meine Schuhe. Trotz meiner emotionalen Verfassung hatte ich versucht, das Beste aus mir herauszuholen. Meine Haare fielen mir in Wellen über die Schultern, ich hatte Make-Up aufgetragen und mit meinem Outfit war ich so zufrieden, wie es eben ging. Ich hatte mich für ein dünnes, schwarzes Sweatshirt und eine dunkle Skinny-Jeans entschieden. Es war zwar Mai, doch die warmen Temperaturen ließen noch auf sich warten. Ich steckte mir mein Handy in die Hosentasche, griff mach meinem Autoschlüssel und machte mich auf den Weg zu meinem Auto.

Ich parkte in der Nähe der Polizeiwache. Zwar war es noch immer zu früh, allerdings hatte mein Magen während der Fahrt angefangen, ziemlich laut zu knurren und als ich mich nicht einmal mehr daran erinnern konnte, wann ich das letzte Mal etwas gegessen hatte, beschloss ich, mir zunächst etwas zum Frühstück zu besorgen. Ich machte mich zu Fuß auf den Weg Richtung Innenstadt. Die meisten Geschäfte waren noch dunkel, vermutlich würden sie erst im Laufe des Vormittags öffnen. Als ich jedoch am Café Regenbogen vorbeikam, konnte ich sehen, dass sie bereits geöffnet hatten. Sowohl Cleo als auch Jessy hatten dieses Café bereits erwähnt und da ich mich in Duskwood wirklich nicht gut auskannte, entschied ich mich, nicht weiter zu suchen.
Ich betrat das Café und ein Duft von frisch gemahlenem Kaffee stieg mir in die Nase. Sehnsüchtig atmete ich den köstlichen Geruch ein. So ein Kaffee war genau das, was ich nach dieser nervenaufreibenden Nacht brauchte. Ich trat näher an den Tresen und eine Frau mittleren Alters wünschte mir mit einem freundlichen Lächeln einen guten Morgen. Einen Augenblick betrachtete ich das Angebot aus verschiedenen Gebäckstücken, bevor ich mich schließlich für einen Latte Macchiato und ein beleget Brötchen entschied. Ich zahlte und machte mich mit meinem Tablett auf zu einem Tisch, der direkt am Fenster stand. Von dort aus konnte ich beinahe die gesamte Fußgängerzone überblicken und verstand, dass die Tratschtante Miss Sully sich genau diesen Ort ausgesucht hatte, um die Leute zu beobachten. Als der erste Schluck des heißen Kaffees meine Hals hinunterrann, blieb mir kurz die Luft weg. Ich versuchte so unauffällig wie möglich zu husten, denn ich wollte mir selbst nicht eingestehen, dass ich wohl länger mit den Auswirkungen der Rauchvergiftung zu kämpfen haben würde, als ich mir selber einredete. Bereits in der Nacht hatte ich öfter das Gefühl gehabt, nicht richtig atmen zu können, doch ich verdrängte den Gedanken.
Während ich vorsichtig aß, schaute ich den wenigen Menschen zu, wie sie an mir vorbei liefen. Ich malte mir aus, dass sie gerade auf dem Weg zur Arbeit waren und fragte mich, ob auch sie manchmal das Gefühl hatten, ihr Leben sei vollkommen außer Kontrolle geraten. In Momenten wie diesen, wünschte ich mir für einen kurzen Augenblick, ich hätte niemals auf Thomas' Nachricht reagiert. Dann wäre ich jetzt vermutlich auch auf dem Weg zur Arbeit und die Welt wäre für mich in Ordnung. Das war natürlich vollkommener Unsinn, das wusste ich, doch manchmal hatte auch ich meine schwachen Momente. Mein Leben war auch vor Hannahs Verschwinden nicht wirklich das gewesen, was ich als 'in Ordnung' bezeichnen würde. Ich arbeitete als Lektorin in einem kleinen Verlag in Corfield. Ich hatte meinen Job geliebt, doch abgesehen davon gab es in meinem Leben nichts, was mich erfüllte. Auch wenn ich unvorstellbar wütend auf Thomas war, durch seine Nachricht hatte ich erst angefangen richtig zu leben. Ich meine ich war 22 Jahre alt und lebte quasi nur für meinen Job. Nach Feierabend kehrte ich in mein kleines Zwei-Zimmer-Apartment zurück und gelegentlich traf ich mich nach der Arbeit mit Kollegen auf ein paar Drinks. Als Freunde würde ich sie deshalb noch lange nicht bezeichnen, denn wir hatten uns nicht wirklich etwas zu erzählen. Alles hatte sich geändert, als Jessy, Richy und die Anderen in mein Leben getreten waren und auch wenn der Schmerz, den ich nun empfand beinahe unerträglich war, würde ich meine Entscheidung nicht rückgängig machen wollen. Zum ersten Mal hatte ich echte Freunde gefunden und dann war da noch Jake.. Noch nie hatte ich so tiefe Gefühle für einen anderen Menschen empfunden, wie für ihn, weshalb es für mich auch definitiv keine Option war, ihn aufzugeben. Dieser Gedanke holte mich zurück in die Realität. Ich hatte nicht gemerkt, wie sehr ich meinen Gedanken nachgehangen hatte, doch der Rest meines Kaffees war bereits kalt und ich hatte nicht einmal bemerkt, dass noch weitere Kunden das Café betreten hatten. Schnell trank ich aus, brachte mein Tablett zurück zum Tresen und verabschiedete mich. Auf dem Weg nach draußen stieß ich mit zwei Männern zusammen. Sie trugen dunkle Kleidung und musterten mich einen Augenblick. Ich murmelte ein verlegenes "Entschuldigung" und verschwand dann durch die Tür. Irgendetwas an ihrer Erscheinung kam mir seltsam vor, doch wahrscheinlich war ich durch unsere Ermittlungen allmählich paranoid geworden.

Auf dem Weg zurück zur Polizeistation schickte ich Jessy ein kurzes Lebenszeichen von mir und setzte sie über meine heutigen Pläne in Kenntnis. Bevor sie antworten und es mir ausreden konnte, steckte ich mein Handy wieder weg und setzte meinen Weg fort.

Ich betrat die Polizeiwache, in der bereits angeregtes Treiben herrschte. Sowohl von außen als auch von innen wirkte es wie eine typische Kleinstadtwache. Gegenüber der Tür befand sich die Anmeldung, die durch zwei Beamte besetzt war. Links von mir führte eine Glastür in einen weiteren Raum, in dem ich mehrere Arbeitsplätze mit Schreibtischen ausmachen konnte. Etwas verunsichert stand ich im Eingangsbereich. Meine Nerven spielten verrückt, denn auch, wenn Alan am Telefon freundlich zu mir gewesen war und ich das Gefühl hatte, dass wir eine gewisse Vertrauensbasis geschaffen hatten, machte ich mir Sorgen. Meine Aussage würde Auswirkungen auf uns alle haben, wenn ich meine Worte nicht mit Bedacht wählte.
Einer der beiden Polizeibeamten hinter der Anmeldung sah mich erwartungsvoll an. Ich atmete also noch einmal tief durch und trat dann näher an ihn heran.
"Guten Morgen, mein Name ist Y/N Y/L/N. Ich bin hier, um mit Alan Bloomgate zu sprechen. Es geht um eine Aussage zum Fall von Hannah Donfort"

Duskwood - The things we lost in the fire Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt