Kapitel 2

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Der Kies knirschte unter meinen Reifen, als ich meinen Wagen am Rande des Parkplatzes am Grimrock zum Stehen brachte. Unzählige Einsatzfahrzeuge waren bereits hier abgestellt worden, doch von den Einsatzkräften war weit und breit niemand zu sehen. Trotzdem beschloss ich, dass es klüger war, mich zunächst unauffällig der Mine zu nähern. Also orientierte ich mich an den Wegweisern und machte mich mit schnellen Schritten abseits des Wanderweges durch den Wald auf den Weg. Laut Alan waren es circa 800 bis 900 Meter, ich durfte also keine Zeit verlieren. Zu meinen Füßen knackten Äste unter meinem Gewicht und ich nahm hier und da ein Rascheln wahr. Unter anderen Umständen hätte es mir vermutlich furchtbare Angst bereitet, nachts allein durch den Wald zu irren, doch durch die Ereignisse der letzten Wochen war die Angst zu einem ständigen Begleiter geworden, sodass mir solch ein nächtlicher Sparziergang durch den Wald nichts mehr ausmachte. Was mir jedoch etwas ausmachte, war diese furchtbare Stille, die dafür sorgte, dass ich meinem Gedankenkarussel völlig ausgeliefert war. Ich gab mir Mühe nicht den Verstand zu verlieren und mich meinen düsteren Gedanken so gut es eben ging zu entziehen, doch die Sorge um Jake erdrückte mich beinahe. Was wenn ich ihn nun für immer verlor? Allein die Vorstellung verursachte einen stechenden Schmerz in meiner Brust. Das durfte einfach nicht geschehen, nicht noch einmal. Nachdem er untergetaucht war, hatte die Angst, dass er womöglich für immer fort war, mein ganzes Denken eingenommen und ich hatte es nur mit Lillys Hilfe geschafft, mich an jeden Strohhalm der Hoffnung zu klammern. Die Erinnerung schnürte mir die Luft zu, weshalb ich sie schnell beiseite schob. Zum Trübsal blasen war nun keine Zeit, also versuchte ich mich ausschließlich auf den Weg der vor mir lag zu konzentrieren.
Ich lief schon eine ganze Weile und kurz hatte ich Bedenken, dass ich mich vielleicht verlaufen haben könnte, als ich plötzlich all die blinkenden Lichter in nicht allzu großer Entfernung vor mir auftauchen sah. Allmählich nahm ich auch die Geräuschkulisse wahr, die von der Lichtung zu mir in den Wald drang. Je näher ich kam, desto lauter wurde das Stimmengewirr. Nur noch wenige Meter lagen vor mir und als ich die Lichtung schließlich erreichte bot sich mir ein erschreckendes Schauspiel. Ich blieb am Waldrand versteckt hinter einem Gebüsch stehen und versuchte mir zunächst einen Überblick zu verschaffen. Noch nie in meinem ganzen Leben hatte ich eine derartige Menge an Einsatzkräften aus Polizei, Krankenwagen, FBI und.. Feuerwehr gesehen. Was machte die Feuerwehr dort? Ich ließ meinen Blick über die Lichtung wandern und fand meine Antwort schließlich, als ich sah, dass aus einer Stelle im Boden dichter, dunkler Rauch aufstieg. Das konnte unmöglich etwas Gutes bedeuten, besonders deshalb, weil dieser Eingang zur Mine definitiv nicht mehr zur Verfügung stand. Meine Gedanken überschlugen sich, denn ich brauchte dringend einen neuen Plan. Zwar war Plan A auch nicht besonders ausgereift gewesen, da ich bis zu diesem Moment nicht einmal gewusst hatte, wie ich an den ganzen Polizisten vorbei in die Mine gelangen sollte, aber das spielte nun ohnehin keine Rolle mehr. Okay, tief durchatmen Y/N, du musst jetzt dringend einen klaren Gedanken fassen. Das FBI war noch vor Ort, was möglicherweise bedeutete, dass sie Jake noch nicht gefasst hatten. Ich hatte also noch eine letzte Chance ihn zu finden. Dieser Eingang zur Mine war versperrt, ich würde mir also ein Beispiel an Jake nehmen und mir über den anderen Eingang einen Zugang verschaffen. Glücklicherweise hatte Jake mir verraten, wo sich dieser befand, sodass ich kurzerhand die Koordinaten bei Google Maps eingab. Zu Fuß würde ich demnach ungefähr zwanzig Minuten brauchen, wenn ich jedoch rannte, konnte ich die Zeit vielleicht halbieren. Mein Auto würde mir in diesem Fall ohnehin nichts nützen. Ohne noch länger zu überlegen, rannte ich durch den Wald in die Richtung, die mir die App angezeigt hatte. Während ich lief, wählte ich Jakes Nummer, in der Hoffnung, er würde rangehen, doch leider ging direkt die Mailbox ran. Das bedeutete, dass er entweder keinen Empfang hatte oder sein Handy ausgeschaltet war. Beide Möglichkeiten bereiteten mir gleichermaßen Sorgen. Wenn Jakes Handy abgeschaltet war, bedeutete das, dass ich ihn nicht erreichen können würde, was es mir beinahe unmöglich machen würde, ihn zu finden. Sollte er jedoch keinen Empfang haben.. dann bedeutete das, dass er sich vermutlich noch in der Mine befand. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr wurde mir klar, dass dieses Szenario wohl doch das Schlimmere war. Dort unten schien offenbar ein Feuer ausgebrochen zu sein und ich konnte nur hoffen, dass Jake weit genug davon entfernt war. Angetrieben von der Angst, zwang ich mich noch schneller durch den Wald zu rennen. Immer wieder blieb meine Kleidung an kleinen Ästen oder Dornen hängen, sodass meine Bluse bereits nach kurzer Zeit etliche Löcher aufwies und ich spürte die vielen kleinen Kratzer auf der Haut. Ein paar Mal wäre ich beinahe hingefallen, da ich nicht darauf achtete, wo ich hintrat. All das war mir egal, denn ich wollte einfach nur zu Jake.
Ich rannte ununterbrochen und allmählich fiel mir das Atmen schwer. Meine Lungen brannten und ich sah vereinzelt bereits kleine schwarze Punkte in meinem Sichtfeld auftauchen. Doch Ausruhen war nun wirklich keine Option. Ein Blick auf meinen Display verriet mir, dass ich in ungefähr 400 Metern mein Ziel erreichen würde. Ich musste also nur noch ein wenig länger durchalten.

Als ich schließlich den Mineneingang erreichte, stellte ich mit Erleichterung fest, dass das FBI scheinbar noch nicht hier aufgetaucht war. Immerhin etwas, was nach Plan verlief. Bei dem Mineneingang handelte es sich um eine Öffnung in der Felswand, die stark einem Höhleneingang ähnelte. Der Boden zu meinen Füßen war mit Steinen gepflastert und ließ darauf schließen, dass dieser Eingang früher recht häufig genutzt wurde. Als ich gerade die Mine betreten wollte, schwankte ich einen Augenblick, denn die Erschöpfung machte sich nun deutlich bemerkbar. Mein Atem ging noch immer stoßweise und mein Herz raste, weshalb ich mir einen kurzen Moment erlaubte, mich mit den Händen auf meinen Knien abzustützen und tief durchzuatmen. Ich würde niemandem eine Hilfe sein, wenn ich hier und jetzt kollabierte.

Schließlich hatte ich mich wieder etwas gefasst und betrat die Mine. Schon nach wenigen Metern war es so stockfinster, dass ich meine Handytaschenlampe einschalten musste, um zu sehen, wohin ich lief. Nun begann der wirklich problematische Teil meines Vorhabens. Im Gegensatz zu Jake hatte ich nämlich nicht einmal eine veraltete Karte, denn ich hatte überhaupt keine. Es würde also vermutlich an ein Wunder grenzen, sollte ich jemals wieder das Tageslicht erblicken. Das würde mich allerdings nicht davon abhalten, Jake zu suchen. Ich warf einen letzten Blick auf mein Handy, doch noch immer keine Nachricht von ihm. Ich atmete noch einmal tief durch und verschwand dann in der Dunkelheit.

Duskwood - The things we lost in the fire Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt