Kapitel 11

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"Haben Sie einen Termin", fragte er mich. Sein Name war Officer Brown, zumindest stand es so auf seinem Namensschild. "Ähm.. nein.. ich", stammelte ich vor mich hin. Ich war nervöser als ich zugeben mochte, besonders deshalb, weil ich noch nicht wusste, welche Konsequenzen für mich aus der ganzen Geschichte resultieren würden. Immerhin hatte ich mich wiederholt in die Arbeit der Polizei eingemischt. Soweit ich wusste, nannte man so etwas Behinderung der Justiz.
"Es tut mir leid, aber Officer Bloomgate ist zur Zeit sehr beschäftigt. Ich kann Ihnen gerne einen Termin..", weiter kam er nicht, denn hinter mir ertönte eine mir bereits bekannte Stimme. "Y/N?", es war Alan Bloomgate höchstpersönlich. Ich drehte mich zu ihm um und da stand er. Zum ersten Mal nahm ich ihn richtig wahr. Bei unserem letzten Aufeinandertreffen auf der Lichtung war ich nicht dazu in der Lage gewesen, doch jetzt fiel mir auf, wie jung er tatsächlich war. Schätzungsweise würde ich sagen, um die 30. Er hatte kurzes, dunkles Haar und selbst durch die Uniform, die er trug, konnte ich sehen, dass er ziemlich muskulös war. Rein optisch betrachtet war er definitiv attraktiv, was mich jedoch nicht weiter kümmerte.
"Miss Y/L/N wollte mit Ihnen sprechen, aber ich war gerade dabei ihr zu erklären, dass sie dafür einen Termin benötigt", kam es von Officer Brown hinter mir, während ich Alan noch immer aufmerksam musterte. "Schon okay, ich habe sie gebeten zu kommen. Ich werde mich persönlich darum kümmern", gab Alan seinem Kollegen unmissverständlich zu verstehen. Dieser nickte bloß und zuckte mit den Schultern, bevor er sich wieder seinem Computer zuwandte.
Alan legte mir eine Hand auf den Rücken und führte mich durch den Flur auf der rechten Seite. Normalerweise wäre mir eine solche Berührung von einem fremden Mann unangenehm gewesen, doch ich spürte, dass er es nicht aus fragwürdigen oder gar unangemessenen Hintergründen tat. Es war als wollte er mich.. beschützen? So kam es mir zumindest vor. Sobald wir ein paar Meter gegangen waren und die Tür hinter uns zugefallen war, ließ er die Hand sofort sinken und ging auf Distanz. Ich wusste nicht recht, wie ich das Gespräch mit Alan anfangen sollte, doch diese Sorge nahm er mir augenblicklich ab. "Ich hatte nicht damit gerechnet, Sie so schnell hier anzutreffen, Y/N. Als ich mich im Krankenhaus nach Ihnen erkundigt habe, sagte man mir, sie würden noch einige Tage dortbleiben müssen". Ich spürte seinen prüfenden Blick auf mir und in diesem Augenblick fand ich meine Schlagfertigkeit wieder. "Nun ja, ich schätze Sie wissen genauso gut wie ich, dass es dazu in Anbetracht der Umstände nicht gekommen wäre". Genauer wollte ich auf die Umstände meiner Entlassung aus dem Krankenhaus nicht eingehen, doch das musste ich auch nicht, denn Alan konnte sich ohnehin denken, was passiert war. Er öffnete eine Tür zu unserer Linken und ließ mich eintreten. Ich hatte damit gerechnet, von ihm in einen Verhörraum gebracht zu werden, doch offensichtlich handelte es sich bei diesem Zimmer um sein Büro. "Setzen Sie sich. Möchten Sie etwas trinken? Ich habe Ihnen schließlich einen Kaffee versprochen", er sah mich fragend an und ich nickte. Damit ich richtig funktionierte, war Kaffee unverzichtbar. Ich sah zu, wie er zu einer kleinen Theke an der gegenüberliegenden Wand ging. Dort nahm er eine Thermoskanne und schenkte die dunkle Flüssigkeit in eine Tasse, welche er mir anschließend reichte. Ich nickte ihm dankbar zu, dann sah ich mich in dem Raum genauer um. Der Schreibtisch, an dem wir nun saßen, befand sich mittig im Raum. Rechts und links von uns standen mehrere Aktenschränke auf denen sich unzählige Unterlagen stapelten. Als ich an Alan vorbei sah, entdeckte ich an der Wand hinter ihm eine Pinnwand, welche mit vielen Fotos und Hinweisen gefüllt war, die offenbar zu Hannahs Fall gehörten. "Ich würde das Ganze hier gerne inoffiziell handhaben", sagte Alan und holte mich damit zurück in die Gegenwart.
"Soll heißen?", entgegnete ich argwöhnisch. Ich wusste nicht genau, was ich von der Situation halten sollte. "Soll heißen, dass ich Ihre Aussage nicht länger benötige, um die Ermittlungen voranzutreiben, geschweige denn, den Fall zu lösen. Das ist bereits geschehen. Mr. Roger hat uns gegenüber eine Aussage getätigt, in der er gestanden hat, für die Entführung von Miss Donfort verantwortlich zu sein. Ich möchte lediglich die Zusammenhänge verstehen, aber dafür benötige ich ihre Hilfe". Während er sprach, lehnte er sich lässig in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Bedeutet das, dass meine Freunde und ich keine Konsequenzen befürchten müssen, wenn ich mit offenen Karten spiele?". Das konnte doch nur ein Trick sein, oder? Zumindest traute ich dem Ganzen nicht so recht.
"So in der Art. Ich weiß, dass Sie alle nur versucht haben, Ihre Freundin zu finden. Allerdings verstehe ich nicht so ganz, welche Rolle Sie bei alledem spielen. Und wie kam es dazu, dass sich ein gesuchter Hacker unter Ihnen befindet?"
Alles klar, da war also der Haken an der Geschichte. Doch wenn wir hier scheinbar verhandeln würden, dann zu meinen Bedingungen.
"Ich bin gerne dazu bereit, Ihnen zu sagen, was ich weiß, Alan. Aber ich werde mit Ihnen nicht über Jake sprechen. Wenn es das ist, was Sie wollen, dann ist dieses Gespräch hier und jetzt vorbei", gab ich ihm klar zu verstehen. Unter keinen Umständen würde ich Jake verraten.
Eine Weile sah er mich direkt an und ich hielt seinem Blick stand. Ich versuchte ihn zu durchschauen und herauszufinden, was wirklich seine Absichten waren, doch irgendwas an Ihm und an der Art und Weise, wie er mit mir umging, löste in mir das Gefühl aus, dass ich ihm vertrauen konnte, dass ich ihm sogar vertrauen wollte. Doch Alan war Duskwoods Polizeichef, im Zweifelsfall würde er sich immer auf die Seite des Rechts schlagen. Zumindest würde vermutlich jeder normale Polizist so handeln. Doch nachdem, was ich bereits über ihn erfahren hatte, war Alan kein normaler Polizist. Er hatte dafür gesorgt, dass sein Freund, der seit vielen Jahren verschwunden war, für tot erklärt worden war, nur um diesem einen letzten Gefallen zu tun. Das einzige Wort, was mir dazu einfiel, war Loyalität. Ich wusste, dass ich Alan gegenüber ehrlich sein musste, wenn auch ich Informationen von ihm erhalten wollte. Ich konnte also nur hoffen, dass seine Loyalität weit über Freundschaften hinausging.
"Nun gut. Dann fangen wir doch am Besten ganz am Anfang an. Soweit ich mitbekommen habe, sind Sie erst später zur Gruppe dazugestoßen. Wie kam es dazu?", begann Alan sein inoffizielles Verhör.
"Tja das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Es fing damit an, dass Thomas Miller mich kontaktierte. Er sagte, er habe meine Nummer von seiner vermissten Freundin zugeschickt bekommen, allerdings als diese bereits verschwunden war"
"Miss Donfort soll also eine Nachricht mit Ihrer Nummer verschickt haben, während sie bereits entführt wurde?", fasste er meine Aussage noch einmal zusammen. "Wieso sollte sie so etwas tun? In einem solchen Fall hätte sie doch wohl eher die Polizei informiert, meinen Sie nicht?"
"Glauben Sie mir, diese Frage stelle ich mir schon seitdem alles angefangen hat. Ich kenne Hannah nicht und hatte noch nie von ihr gehört, bevor ich in all das hineingezogen wurde. Ich kann mir also beim besten Willen nicht erklären, vorher Sie meine Nummer haben sollte", entgegnete ich wahrheitsgemäß, während Alan mich verwirrt ansah. "Hinzu kommt außerdem, dass die Nachricht mit meiner Nummer angeblich kurz darauf verschwunden war, ich kann Ihnen also nur das sagen, was mir selbst auch erzählt wurde", gab ich zu.
"Also schön, lassen wir das fürs Erste mal so stehen. Sie haben sich also dazu entschieden, diesen eigentlich fremden Leuten dabei zu helfen, ihre Freundin zu finden. Dabei sind sie an einige Dateien und Hinweise gelangt, die selbst uns, der Polizei, für lange Zeit verborgen blieben. Wie genau haben Sie das angestellt?". Mir war klar gewesen, dass diese Frage nicht lange auf sich warten lassen würde, und es war vermutlich die gefährlichste Frage, die er mir stellen konnte.
"Nun ja, in erster Linie hat uns eine gute Kommunikation untereinander ziemlich geholfen. Wir haben versucht, die letzten Tage vor Hannahs Verschwinden so gut es eben ging zu rekonstruieren, um herauszufinden, wie es zu der Entführung kam. Die Leute in Duskwood scheinen ziemlich gesprächig zu sein, aber das muss ich Ihnen vermutlich nicht erzählen". Das war nicht gelogen, doch es war auch nur ein Teil der Wahrheit. Natürlich war mir klar, dass Alan sich damit nicht zufrieden geben würde.
"Bei Ihren 'Ermittlungen' sind Sie einer ganz bestimmten Spur gefolgt. Nämlich der, des Mannes ohne Gesicht. Wieso?"
Damit hatte er mich kalt erwischt. Die Polizei wusste tatsächlich ziemlich viel über unsere Ermittlungen. Abstreiten würde mir in diesem Fall also wenig nützen, doch es gab einfach Dinge, die ich ihm nicht sagen konnte, einfach, weil es mir nicht zustand.
"Nun ja, wir fanden heraus, dass Hannah sich vor ihrem Verschwinden ebenfalls mit dieser Legende befasst hat. Es schien mit einem Vorfall aus der Vergangenheit zusammenzuhängen. Wir folgten also dieser Spur, welche uns schließlich zu Michael Hanson führte", entgegnete ich vorsichtig. Damit hatte ich eigentlich schon zu viel gesagt. Unmöglich konnte ich Alan von Jennifers Unfall erzählen und dass Hannah und Amy dafür verantwortlich gewesen waren. Ich wusste nicht, wie viel er darüber bereits wusste, und ich war definitiv nicht die richtige Person dafür, diese Bombe platzen zu lassen. Ich fühlte mich, als würde ich über Tretminen laufen und jeden Moment könnte mir alles um die Ohren fliegen.
Alan sah mich an, sein Blick war unergründlich und ich hätte zu gern seine Gedanken lesen können, um mich auf seine nächsten Fragen vorbereiten zu können.
Ich war fest davon überzeugt, dass er näher auf den Vorfall eingehen würde, doch entgegen meiner Erwartungen wechselte er plötzlich das Thema.
"Sie sind also davon ausgegangen, dass Michael Hanson Hannah Donfort und auch Amy Bell Lewis entführt hat. Ist Ihnen zu keinem Zeitpunkt in den Sinn gekommen, dass der Täter sich unter ihren eigenen Freunden befinden könnte?". Alans Frage kam unerwartet, weshalb ich zunächst nicht wusste, was ich darauf antworten sollte.
"Doch natürlich. Zu Beginn unserer Ermittlungen versuchte ich so neutral wie möglich auf die Dinge zu blicken, immerhin konnte jeder hinter der Entführung stecken, aus welchen Gründen auch immer. Allerdings war für mich ziemlich schnell klar, dass niemand aus der Gruppe der Täter sein kann, zumindest bis...", meine Gedanken schweiften ab, als ich in meiner Erinnerung Richy auf dem Boden liegen sah, während ihm Blut aus dem Mund lief.
"Bis?", hakte Alan vorsichtig nach. Er drängte mich nicht, vermutlich wollte er mich bloß zurück in die Realität holen.
"Bis Richy vor meinen Augen angegriffen wurde. Mir wurde erst hinterher klar, dass das, was ich sah, nicht zum üblichen Vorgehen unseres Täters passte. Da dachte ich zum ersten Mal darüber nach, dass Richy vielleicht hinter allem stecken konnte. Allerdings hielt ich es für mehr als unwahrscheinlich, schließlich war er unser Freund", gab ich schließlich zu und spürte wieder den vertrauten Stich in meiner Brust. Alan nickte verständnisvoll, bevor er erneut das Thema wechselte.
"Sie sollten vielleicht wissen, dass, es sich bei der Todesursache von Amy Bell Lewis, entgegen aller Vermutungen, nicht um Mord, sondern um Suizid handelte. Mr. Roger hat diesbezüglich bereits eine Aussage getätigt", offenbarte mir Alan. Auf diesem Themenumschwung war ich nicht vorbereitet gewesen, weshalb meine Reaktion mich verriet. Alan sah mir sofort an, dass mir diese Information nicht neu war.
"Es sollte mich vermutlich überraschen, dass Sie dies bereits wissen, tut es aber nicht. Wissen Sie, mir ist durchaus bewusst, dass Sie an solche Informationen nicht ohne Hilfe gelangen konnten. Ich bin mir bewusst, dass ich Sie und Ihre Ermittlungen von Anfang an unterschätzt habe, aber manche Dinge überschreiten auch Ihre Fähigkeiten".
Er hatte mir keine direkte Frage gestellt, doch ich wusste, worauf er als nächstes hinaus wollte. Jake. Letzten Endes lief es immer wieder auf Jake hinaus. Doch in dieser Angelegenheit war nicht Alan auf Antworten angewiesen, sondern ich.

Duskwood - The things we lost in the fire Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt