Kapitel 17

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Tag 1

Es hatte Stunden gedauert, ehe ich es geschafft hatte mich aufzurappeln und ins Bett zu gehen. Dort lag ich und hoffte, dass die Erschöpfung früher oder später die Oberhand gewinnen würde. Doch es passierte nicht. Mein bebender Körper schmerzte bereits von all dem Weinen, doch selbst wenn ich es gewollt hätte, ich hätte es nicht aufhalten können. Wozu also dagegen ankämpfen?

Tag 2

Mein Handy klingelte. Einmal, zweimal, dreimal.. Irgendwann hatte ich aufgehört zu zählen. Vermutlich war es Jessy, vielleicht auch Lilly, die noch immer das Gespräch mit mir suchte. Es hätte mir nicht egaler sein können. Ich wollte niemanden sehen und nichts hören. Ich dachte an den gestrigen Tag und wie ich gedacht hatte, ich könnte mich nicht noch schlechter fühlen. Wie ich mich doch geirrt hatte..

Tag 5

Jessy hatte, nachdem ich drei Tage lang ihre Anrufe ignoriert hatte, meine Vermieterin dazu überredet, ihr einen Zweitschlüssel zu meiner Wohnung auszuhändigen. Sie zwang mich aufzustehen und zu duschen. Anschließend kochte sie mir meine erste richtige Mahlzeit seit fünf Tagen und gab sich erst zufrieden, nachdem ich immerhin die Hälfte meines Tellers geleert hatte. Ich war wütend, dass sie mich derart bevormundete, doch die Scham, die ich empfand, weil es überhaupt notwendig war, überwog bei weitem..

Tag 6

Phil wurde aus dem Gefängnis entlassen. Ich erfuhr es von Jessy, die sich wiederholt Zugang zu meiner Wohnung verschafft hatte, nachdem sie für mich Lebensmittel eingekauft hatte. Sie versuchte mich dazu zu überreden, gemeinsam mit ihr eine Willkommen-Zurück-Party für Phil zu organisieren, doch ich lehnte dankend ab. Nach feiern war mir ganz sicher nicht zumute. Mir war klar, dass sie dachte, eine Aufgabe würde mir dabei helfen, wieder auf die Beine zu kommen, doch dafür war ich noch lange nicht bereit.

Tag 9

Heute findet Phils Party statt, zu der ich nicht gehen werde. Jessy hatte sich gewünscht, dass ich ihr zur Seite stehen würde, besonders, da Thomas, Cleo und Lilly ebenfalls nicht kommen würden. Ein kleiner Teil von mir hatte ein schlechtes Gewissen und appellierte an meine Vernunft, dass meine Freundin mich brauchte, doch es reichte nicht, um mich umzustimmen..

Tag 10

Heute war der erste Tag von vielen, an denen Jessy nicht aufgetaucht war, um mich aus dem Bett zu befördern. Vermutlich wollte sie sich das Elend nicht länger ansehen. Nicht, dass ich ihr das übel nahm. Es war nett, dass sie sich um mich sorgte, doch ich brauchte keinen Babysitter. Schon gar nicht, da Jessy immer wieder versuchte herauszufinden, was mich so aus der Bahn geworfen hatte. Wäre die Situation andersherum, würde ich wahrscheinlich auch nicht locker lassen, doch ich konnte mit Jessy einfach nicht darüber reden. Denn wenn ich anfing darüber zu reden, müsste ich mich damit auseinandersetzen und das bereitete mir mehr Angst, als ich jemals gedacht hätte..

Tag 13

Ich schaffte es seit mittlerweile zwei Tagen, eigenständig aufzustehen. Ich deutete das als erstes Zeichen der Besserung. Gegen Abend bestellte ich mir sogar eine Pizza beim Lieferservice, wobei mir der Appetit vergangen war, nachdem ich eine Nachricht von Phil erhalten hatte, in der er mich erneut auf einen Drink in der Aurora einlud. Ich ignorierte seine Nachricht. Vielleicht wollte er nur nett sein, andererseits konnte ich mir auch gut vorstellen, dass Jessy ihn darauf angesetzt hatte, mich dazu zu bringen, die Wohnung zu verlassen. Was auch immer davon zutraf, ich hatte kein Interesse..

Tag 15

Dan war offenbar seinen Rollstuhl los. Anders hätte er es sicher nicht in den zweiten Stock geschafft, um an meine Tür zu hämmern. Ich hatte so gut es ging versucht, ihn zu ignorieren, doch als ich die Tür aufriss, um ihm zu sagen, dass er mich in Ruhe lassen solle, wedelte er mit einer Flasche Jack Daniels vor meinem Gesicht herum. Welch eine Ironie des Schicksals. "Ich bin nicht hier, um zu reden, sondern, um zu trinken", hatte er gesagt. Es war eine gute Entscheidung gewesen, ihn herein zu lassen. Der Alkohol betäubte meine Gefühle und zum ersten Mal seit über zwei Wochen war der Schmerz erträglich. Darüber hinaus, half er mir zu schlafen..

Tag 16

Jessy hatte Dan eine Standpauke gehalten, weil er mir geholfen hatte, meine Sorgen in Alkohol zu ertränken. Es überraschte mich also nicht weiter, dass sie meine Bitte, mir etwas hochprozentiges Zutrinken zu besorgen, mit einem bösen Blick abschmetterte. Auch Dan hatte sich von ihr einschüchtern lassen, als ich ihn bat, wieder vorbeizukommen. "Sorry, Kleines, aber wir wissen beide, dass man sich mit Jessy nicht anlegen sollte". Verräter..

Tag 18

Der Schmerz in meiner Brust wurde wieder schlimmer. Schlimmer als je zuvor. Mit jedem Tag der verging, wurde mir mehr und mehr bewusst, was ich verloren hatte. Nämlich im wahrsten Sinne des Wortes Alles. Am Abend war ich zum ersten Mal seit meinem Einzug die Feuertreppe hinauf auf meine Dachterrasse gestiegen. Es war bereits dunkel als ich mich am Rande des Daches niederließ. Meine Beine baumelten über die Kante und die kühle Abendluft bereitete mir eine Gänsehaut. Von dort oben wirkte Duskwood so unfassbar friedlich. Ich betrachtete die Lichter, welche noch immer in den wenigen Häusern meiner Nachbarschaft leuchteten und empfand plötzlich eine unerwartete Ruhe. Das hier war nun also mein Zuhause. Auch wenn in dieser kleinen, unscheinbaren Stadt bereits furchtbare Dinge geschehen waren, hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass ich irgendwie dort hinein passte..

Tag 19

Es war der schlimmste Tag überhaupt. Zum ersten Mal stellte ich mir selbst die Frage, ob all das es überhaupt wert war. Was hatte das Leben bitte für einen Sinn, wenn ich mich für immer so zerrissen fühlen würde? Am Abend als ich erneut auf meiner Dachterrasse saß, überkam mich ein schwacher Moment, eine Minute in der ich die Kontrolle verlor und ich, ehe ich begriff, was ich tat, Jakes Nummer wählte. Ein Fehler, wie sich herausstellte. Denn das, was ich zu hören bekam, war wie ein Schlag ins Gesicht. "Kein Anschluss unter dieser Nummer"

Tag 20

Die vergangenen 20 Tage waren an mir vorbeigezogen und an die meisten davon konnte ich mich kaum noch erinnern. Ich erkannte mich selbst nicht mehr wieder, noch nie hatte ich derart die Kontrolle verloren. Dabei fühlte es sich eher an, als hätte ich jegliche Verantwortung von mir gestoßen, ebenso alle, die mir wichtig waren. Ich wusste, dass mein Verhalten mehr als unfair war und ich wollte auch nicht so jemand sein. Jemand, der alle vor den Kopf stößt, nur um zu verbergen, wie verletzt man wirklich ist. So konnte es nicht weitergehen, doch ich wusste einfach nicht, wie ich nach allem, was geschehen war, wieder die Alte werden sollte.. Der gestrige Abend hatte mir bewusst gemacht, dass Jake offenbar mit mir abgeschlossen hatte. Vielleicht war es also an der Zeit, es ihm gleichzutun.
Ich hielt es nicht länger aus. Die Decke fiel mir allmählich wirklich auf den Kopf und wenn meine Freunde sich weigerten, mir das einzige Mittel zu beschaffen, was mir helfen würde, musste ich es eben selbst in die Hand nehmen. Es war an der Zeit, Phils Einladung anzunehmen.

Duskwood - The things we lost in the fire Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt