Zögerlich klopfte ich an die Tür und es dauerte nur einen kurzen Moment, bis sie sich schließlich leicht quietschend öffnete.
„Oh, Dottie, hi!", begrüßte mich Joyce Byers fröhlich. „Jonathan hatte mir schon erzählt, dass du vorbeikommst. Wie schön, dich zu sehen!"
Sie umarmte mich herzlich und ich konnte nicht anders, als breit zu lächeln und sie ebenfalls kräftig zu drücken.
„Es ist wirklich schön, wieder hier zu sein", erwiderte ich und wir ließen voneinander ab. „Wie geht es dir?"
Joyce half mir kurz über die Türschwelle, da diese einen kleinen Absatz hatte und auch wenn ich die Hilfe eigentlich nicht brauchte, hielt ich sie trotzdem nie davon ab. Als ich das Haus betrat, kamen mir wieder die altbekannten Gerüche entgegen. Der alt-fettige Geruch von Wachsmalern, frische Holzbleistifte mit einem künstlich-riechendem Radiergummi am anderen Ende und... Zigaretten. Leider rauchte Joyce nicht wenig und meist auch im Haus, wodurch meine Klamotten nach jedem Besuch wie ein Aschenbecher rochen und sofort in die Waschmaschine geworfen werden konnten. Jedoch war es hier erträglicher, da es erstens nicht aus einer warmen, schleimigen Kehle kam und zweitens handelte es sich hier nicht um Billy, der versucht, mich von sich, auf äußerst unpassende Art und Weise, zu überzeugen.
Joyce schloss die Tür hinter uns. „Ach, mir? Mir geht's bestens."
Ich drehte meinen Kopf in ihre Richtung, zog eine Augenbraue hoch und hoffte, dass es nicht allzu seltsam aussah, da ich mir habe sagen lassen, dass ich anscheinend meine Emotionen nicht mehr allzu gut mit meinen Gesichtszügen vermitteln konnte.
„Und wie geht es Will?", fragte ich noch anschließend, während ich versuchte es so beiläufig klingen zu lassen wie möglich.
Joyce lächelte, zumindest hörte es sich so an, da sie das Geräusch machte, das ich nicht beschreiben kann, welches viele machen, wenn sie lächelten. Eine Art „hm", nur erfreut.
„Wieso fragst du ihn das nicht selbst?", schlug Joyce vor. „Er ist in seinem Zimmer und erwartet dich schon sehnsüchtig."
Ich lachte. „Ach ja? Na, dann will ich ihn nicht länger warten lassen."
„Findest du allein hin?", fragte sie sicherheitshalber und ich nickte.
„Keine Sorge, ich finde mich zurecht. Ich werde es schon merken, falls ich aus Versehen die Hintertür benutzen sollte.", bemerkte ich scherzhaft und Joyce lachte.
Ich ging den recht langen Flur entlang, bis fast zum Ende und klopfte an die Tür zu meiner Rechten. Um ehrlich zu sein, war das alles nur geraten und ich hoffte, es handelte sich wirklich um Wills Zimmer. Dann hörte ich ein zartes und doch bestimmtes „herein", öffnete die Tür und fand mich tatsächlich in seinem Zimmer wieder.
„Naaa, hast du mich vermisst?", fragte ich scherzhaft und schenkte Will ein schelmisches Grinsen.
Dieser sprang auf und kam auf mich zugelaufen. „Dottie!"
Wir umarmten uns herzlich. Auch wenn es nicht lange her war, dass wir uns gesehen hatten, hätte ich schwören können, er sei seitdem gewachsen. Mittlerweile ging er mir bis knapp über die Schulter, das war letztes Jahr noch ganz bestimmt nicht so. Immerhin wuchs Dustin kaum merklich, das war mein einziger Trost.
„Na, Kleiner?", sagte ich schließlich und ließ ihn los. „Was hast du so getrieben?"
„Ach, nichts Besonderes.", versuchte er runterzuspielen, aber ich wusste, dass er irgendwas im Schilde führte. Er ging zurück zu seinem Schreibtisch und kramte in seinem Papierchaos.
„Zum Glück kannst du nicht sehen, wie unordentlich es ist.", bemerkte Will scherzhaft und ich musste lachen.
„Sehen nicht, aber ich weiß ganz genau, dass hier, deine Star Wars Raumschiffe rumfliegen, die du letztes Jahr zu Weihnachten bekommen hast.", erzählte ich grinsend und zeigte mit dem Finger auf die Spielzeuge.
Will atmete erschrocken auf. „Aber wie...?"
Ich schnaubte belustigt. „Ich bin drangestoßen als ich reinkam."
Er atmete erleichtert auf und ich begab mich ein paar Schritte weiter in sein Zimmer. Die Luft war recht frisch, was bedeutete, dass er erst vor Kurzem gelüftet haben musste. Eine recht eigenartige Vorstellung bei einem Kind, da die normalerweise nie das Fenster aufmachten, wenn man sie nicht explizit dazu aufforderte. Auch hier lag ein leichter Geruch von Wachsmalern in der Luft, jedoch etwas stärker als in der Küche. Der Geruch kam von einem seiner Regale, in denen er sie wohl verstaut hatte. Schon seit einiger Zeit malte er lieber mit Buntstiften, doch die Wachsmalstifte behielt er trotzdem. Es war wirklich herzerwärmend, als er letztes Weihnachten mein Geschenk öffnete. Ich hatte ihm eine große Kollektion an Buntstiften geschenkt und er hatte alles stehen und liegen gelassen, um mit ihnen malen zu können. All die Star Wars Spielzeuge hatte er vergessen und wollte jeden einzelnen Stift in seinem Bild einbinden.
Viel präsenter war der Geruch von Bleistiftresten in einem Spitzer, den er wahrscheinlich auf seinem Schreibtisch stehen hatte, aber so genau konnte ich das nicht sagen.
Während Will noch in seinem Chaos nach etwas suchte, stellte ich meinen Rucksack auf den Boden, neben sein Bett und setzte mich auf eben dieses, aus Mangel an anderen Sitzgelegenheiten. Dann griff ich in meinen Rucksack, holte ein kleines Päckchen heraus und versteckte es in der Innentasche meiner Jeansjacke.
„Aha! Hier ist es ja!", rief Will als er anscheinend fündig geworden war. „Ich hatte ganz vergessen, dass ich es zum Schutz bereits in eine Mappe gelegt hatte."
Dann setzte er sich aufgeregt neben mich und blieb erwartungsvoll still. Doch dann merkte ich, wie er sich anspannte und ich drehte meinen Kopf zu ihm, der zu meiner Rechten saß.
„Will, was ist los?", fragte ich ihn besorgt. „Du weißt, dass du mit mir reden kannst, oder?"
Will nickte und schluckte. „Ich weiß nur nicht, wie ich anfangen soll."
Ich lächelte ihn an und legte meinen Arm um seine Schultern. „Die ewige Frage..."
„Ich habe das Gefühl, dass du die Einzige bist, die es jemals verstehen könnte...", begann er und ich hörte aufmerksam zu. „In der Schule, da... Sie nennen mich Zombie Boy... Und alle behandeln mich so seltsam, als sei ich anders! Ich dachte, du würdest es vielleicht verstehen, weil... naja..."
Ich seufzte, aber dann lachte ich auf und zog eine Augenbraue hoch, zumindest hoffte ich das. „Weil ich Psychic Witch bin?"
Will zögerte. Volltreffer. Er schien nach Worten zu suchen, die es bestritten oder umschrieben, aber es führte kein Weg an der eindeutigen Antwort vorbei.
„Nun ja... Ja...", sagte er schließlich und seufzte. „Wie ist das für dich?"
Er drehte seinen Kopf wieder zu mir und ich konnte mir seinen hoffnungsvollen Blick nur vorstellen. Obwohl auch das gelogen wäre, da ich nicht mal wusste, wie er aussah, aber das war eine andere Geschichte. Ich seufzte und suchte einige Zeit nach den richtigen Worten, um es nicht ganz so schlimm darzustellen. Jedoch stellte ich fest, dass es bei dem Thema keine Verharmlosung geben sollte, also beschloss ich, ganz direkt zu sein.
„Wenn ich ehrlich bin...", begann ich zögernd, doch dann wurde es mir egal. „Es ist einfach scheiße."
Will musste kurz belustigt schnauben und hörte mir weiter zu.
„Weißt du... Ich gebe mir immer die größte Mühe, so zu wirken, als wäre es mir egal, was die Leute über mich sagen, aber... Naja, größtenteils ist es auch so, da mich der Name Psychic Witch nicht sonderlich stört – ich find's eher cool – aber mich stört, was sie daraus machen. Mich stören die Theorien rund um meine Familie, wie sie versuchen anderen zu erzählen, dass meine Familie einen Mord vertuschen würde. Oder wie sie Theorien über meine Herkunft erfinden und sagen, ich sei adoptiert... Das tut weh. Es tut weh, wie die Menschen lieber ihre eigenen Geschichten erfinden und die Familien anderer in den Dreck ziehen, als einfach nett aufeinander zuzugehen und zu fragen!"
Will blieb still und hörte mir weiterhin aufmerksam zu.
„Aber mit einem liegen die anderen richtig: wir sind anders, Will. Wir sind nicht normal und das macht ihnen Angst, es macht sie eifersüchtig und neugierig und das ist... normal. Sie sind normal und das macht ihnen zu schaffen.", beendete ich meine weise Rede. „Und das Wichtigste ist, dass die unnormalen Leute zusammenhalten, okay?"
Will lächelte, machte dieses Geräusch und nickte heftig. Dann umarmte er mich von der Seite und ich drückte ihn fest an mich. Über das vergangene Jahr hatte ich ihn richtig liebgewonnen, genauso wie Dustin. Die beiden waren wie kleine Brüder für mich und ich würde alles für ihre Sicherheit geben.
„Aber kein Wort davon zu Jonathan, okay?", stellte Will klar. „Er macht sich schon genug Sorgen."
Ich nickte verständnisvoll und strich ihm über den Oberarm.
„Keine Sorge, Kleiner.", versicherte ich ihm.
„Und versprichst du mir, dass wir für immer Zombie Boy und Psychic Witch bleiben? Wie zwei Superhelden!", fragte Will hoffnungsvoll und ich konnte nicht anders, als zu lachen.
„Aber klar! Niemand kann es mit uns aufnehmen!"
Wir lachten und spaßten über verschiedene, ausgedachte Szenarien. Dann ließ Will mich los und holte das Papier raus, das er vorher so aufgeregt gesucht hatte.
„Hier, das ist für dich!", sagte er und gab mir das Blatt Papier. „Naja, jetzt ist es recht nutzlos, aber... Wenn wir es geschafft haben, dass du wieder sehen kannst, dann hoffe ich, dass es dir gefällt!"
Ich lachte und war gerührt. „Wir?"
„Na klar! Wir alle werden dir dabei helfen!", bestätigte Will, nahm meine Hand und führte sie über das Bild. „Aber ich dachte, du könntest es dir bis dahin vielleicht besser vorstellen, wenn ich mit verschiedenen Stiften male. Kannst du den Unterschied fühlen? Hier hab' ich Wachsmalstifte benutzt und hier... hier sind es nur normale Buntstifte. Vielleicht kannst du noch erraten, was für andere Stifte ich noch verwendet hab'!"
Ich lachte gerührt und musste ein paar Tränen unterdrücken. Wie herzlich kann man nur sein? Eine Weile saßen wir da, während ich die anderen Materialien erriet. Schließlich packte ich es behutsam in meinen Rucksack, räusperte mich kurz und nahm das kleine Päckchen aus der Innentasche meiner Jeansjacke.
„Ich hab auch noch was für dich...", gab ich etwas zögerlich zu und überreichte ihm das Geschenk. „Ich hoffe, du findest es nicht allzu peinlich."
Will atmete überrascht auf, nahm das kleine Geschenk an sich und packte es sofort aus. Es war eine Kassette mit einem Cover, das ich mit meinen unterdurchschnittlichen handwerklichen Fähigkeiten, die schon da waren, bevor ich blind wurde, gebastelt hatte. Dann sah er wieder zu mir auf.
„Was ist da drauf?", fragte er neugierig und inspizierte die Hülle genauer. Er schien sie in seiner Hand zu drehen, denn im nächsten Moment sagte er: „Mein eigenes Mixtape!"
Auf die Rückseite hatte ich eine Tracklist geschrieben, deren Handschrift hoffentlich nicht allzu schlimm aussah, doch habe ich mir sagen lassen, dass meine Handschrift noch recht schön war... für meine Verhältnisse.
Ich lächelte und wurde etwas rot. Nach genauerer Überlegung war es mir doch etwas unangenehm, allerdings war es nun zu spät. Der Zug war bereits abgefahren.
„Naja, so in etwa.", begann ich zu erklären. „Es sind Coversongs von meinen Schwestern und mir... Natürlich mit deinem Lieblingssong an erster Stelle."
Will war total aufgeregt und ich spürte, dass seine Freude aufrichtig war, was auch mich sehr glücklich machte.
„Kann ich sie jetzt schon hören?"
„Oh Gott, bloß nicht!"
Er lachte. „Wieso nicht?"
„Das ist peinlich!", erklärte ich ihm amüsiert. „Hör es dir an, sobald ich mit deinem Bruder weg bin, ja? Kannst du dich so lange noch gedulden?"
„Na gut.", seufzte Will.
Einen Moment später hörte ich auch schon, wie sich Jonathans Zimmertür öffnete und wie er ins Wohnzimmer ging. Dann ein paar dumpfe Stimmen und wieder Schritte, aber diesmal näherten sie sich und machten vor Wills Tür Halt. Ein leises Klopfen. Will bat ihn herein.
„Dottie?", fragte Jonathan zögerlich, kurz bevor er mich sah. „Ach, da bist du ja! Warum hast du nicht gesagt, dass du schon da bist?"
Ich stand auf und nahm meinen Rucksack. „Ich wollte noch kurz mit Will quatschen und sehen wie's euch so geht."
Auch Jonathan machte dieses lächelnde Geräusch. „Na dann, bist du bereit?"
Ich nickte und warf noch einen kurzen „Blick" zu Will. „Wir sehen uns, ja?"
Will stand auf und nickte eifrig. „Mach's gut, Dottie!"
Zum Abschied wuschelte ich ihm nochmal durch die Haare und verließ dann schließlich das Zimmer. Jonathan schloss die Tür und wollte gerade etwas sagen, da unterbrach ihn eine mir sehr bekannte Musik. „Should I Stay or Should I Go" lief in recht hoher Lautstärke, jedoch nicht von The Clash, sondern von den Lockwood Sisters...
Frechheit!
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Ich bin Dottie || Billy & Eddie Stranger Things Fanfiction
FanfictionDottie hat tatsächlich Superkräfte, aber nur wenige wissen davon. Die meisten denken, ihre Superkraft sei zu laufen und sich zu verhalten wie jeder andere, obwohl sie blind ist. Aber nur ihre Freunde und ihre Familie wissen, was für Kräfte sie wirk...