Kapitel 5: Stolz und Vorurteil

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Nach der furchtbaren Party von gestern Abend, erschien mir die Schule wie eine Erleichterung. Ich ging über den Parkplatz, auf dem sämtliche Schüler, sowohl von der Middle School als auch von der High School, mit ihren Autos oder in Schulbussen ankamen. Klar, leise war es hier auch nicht, aber immerhin dröhnte keine Musik und blockierte meinen Hörsinn. Zu meinem Bedauern, musste ich zugeben, dass mir das Gespräch mit Billy nicht aus dem Kopf ging. Doch das Schlimmste war, dass er recht hatte. Und mir das einzugestehen war so schwierig, dass ich noch immer nach Ausreden suchte, die das Gegenteil bewiesen, doch hatte es keinen Zweck. Ich war schon immer versessen darauf gewesen, allein klarzukommen, da ich davon ausging, dass ich immer auf mich selbst gestellt sein würde. Aber dem war nicht so. Ich hatte viele Menschen um mich herum, die mir helfen wollten, doch wies ich sie so oft ab, dass sie irgendwann nicht mehr fragten. Und wer konnte es ihnen schon übelnehmen?
Meine selbstkritischen Gedanken wurden abrupt unterbrochen, als sich ein Arm um meinen Nacken warf und mich zum dazugehörenden Körper zog.
„Na, Schwesterchen?", sagte Francesca in einem Ton, der nichts Gutes heißen konnte. „Wie geht's dir so, nach deiner ersten Party? Ach warte! Ich weiß es ja! Schließlich musste ich dich nach Hause bringen, nachdem dubeschlossen hast, ne Bitch zu sein und mir die Party zu versauen."
Ich stöhnte genervt auf und befreite mich aus ihrem Griff. „Was kann ich denn dafür, dass ich kein Auto fahren kann?"
„Eine Menge. Wärst du nicht so ein Schwächling, hätten wir all diese Probleme nicht!", warf Francesca mir vor, wie sie es oft tat, wenn ich ihr mit meinem Handicap zur Last fiel. Ich antwortete nicht darauf, denn es hatte sowieso keinen Zweck. Nochmal nahm sie mich in den Arm, diesmal fester.
„Ich habe gesehen, wie du mit Billy geflirtet hast, Schwesterherz.", flüsterte sie mir bedrohlich ins Ohr und Cordelia gackerte im Hintergrund. „Also, wehe du lügst mich noch einmal an, ja?"
Francesca stieß mich von ihr weg und die Zwillinge gingen kichernd weiter.
Ich seufzte und musste mich zusammenreißen, um nicht zu weinen. Zu versuchen, es zu erklären, wäre nutzlos, sie würde mir sowieso nicht zuhören.
„Wir haben wohl beide ziemlich beschissene Geschwister, was?", hörte ich eine mir bekannte Stimme sagen. Es war Max Hayfield, Billys kleine Stiefschwester. Mit lässigem Schritt kam sie auf mich zu. Die Reifen ihres Skateboards, das sie sich wahrscheinlich unter den Arm geklemmt hatte, klackerten. Sie war die neue Schülerin in Dustins (und Wills, Lucas und Mikes) Klasse und eine neue Freundin von ihnen. Ich hatte sie nur flüchtig kennengelernt und noch nie wirklich die Chance gehabt, mit ihr zu reden.
„Hey, Max.", grüßte ich sie und schnaubte belustigt. „Ja, da bist du nicht die Einzige."
Einen Moment blieb sie still. „Warum lässt du sie dich so behandeln? Warum schlägst du nicht zurück?"
„Keine Ahnung, um ehrlich zu sein.", gab ich zu. „Ich will es nicht noch schlimmer machen, weißt du? Und außerdem sind meine anderen Schwestern wundervoll. Das gleicht es ganz gut aus und macht es erträglicher."
Max kicherte. „Ja, das glaub ich dir. Ich wünschte, das könnte ich auch von mir behaupten."
Dann gingen wir beide langsam weiter. Ich konnte spüren, wie sie etwas sagen wollte, aber noch nach den richtigen Worten suchte. Sie zögerte.
„Stimmt es, was deine Schwester gesagt hat?", fragte sie schließlich und mein Herz schlug schneller.
Ich schluckte. „Ich meine... Er hat versucht mit mir zu flirten, aber ich habe ihn abgewiesen, wie ich es auch davor schon viele Male getan habe. Also nein, ich habe nicht mit ihm geflirtet."
„Aber magst du Billy?", wollte sie wissen und sie hörte sich so an, als ob sie die gängige Antwort von mir erwarten würde. „Er ist ziemlich beliebt bei den Mädchen, weißt du?"
Ich nickte. „Ja, ich weiß, aber... Sagen wir es so: ich hasse ihn nicht, aber er geht mir mächtig auf den Senkel! Nein heißt nein und nicht ‚frag doch einfach nochmal'. Wie er mit Frauen umgeht, ist alles andere als vorbildlich und erstrebenswert... und er trägt zu viel Parfum."
Max musste lachen und steckte mich an. Ich mochte die kleine und sie tat mir leid. Ich wollte mir gar nicht erst vorstellen, wie Billy ihr das Leben zur Hölle machte.
„Du bist um einiges sympathischer als ich dachte.", gab Max zu. „Naja, du kannst immerhin nicht von seinem Aussehen geblendet werden, wie die anderen. Übrig bleibt nur seine beschissene Persönlichkeit. Und gut sieht er trotzdem nicht aus, keine Ahnung was die anderen so toll an ihm finden... ew."
Da wir beide zu früh für die Schule waren, hatten wir noch genügend Zeit, redeten über Billy und machten Späße. Schließlich erzählte ich ihr von der Halloween Party und sie lachte auf.
„Hat er echt gedacht, er würde dich damit rumkriegen?", fragte Max ungläubig.
Ich nickte. „Ich sag es dir: der Typ hat keine Selbstachtung."
Sie stimmte eifrig zu und erzählte mir, wie er sich zu Hause verhielt. Recht beiläufig erwähnte sie etwas, das sie anscheinend nicht sagen wollte und fuhr fort, ohne dem Thema Bedeutung zuzuschreiben. Als ich das hörte, schluckte ich. Billy tat mir leid. Es erklärte, warum er so war wie er war, jedoch rechtfertigte es das nicht.
Schließlich sah Max auf die Uhr. „Oh, wir müssen bald los!"
„So spät schon?"
„Ja, die Zeit verging wirklich schnell.", sagte sie und zögerte kurz. „Danke... Dottie. Ich hab das echt gebraucht, weißt du? Ich habe niemanden, mit dem ich darüber reden, oder fluchen, kann. Danke für's Zuhören."
Ich lächelte sie warm an und nickte. „Keine Ursache. Du kannst immer zu mir kommen, wenn du dich über deinen Bruder auslassen möchtest."
Max kicherte nochmal und verabschiedete sich anschließend.
Auch ich machte mich auf den Weg zum High School Gebäude. Ich hatte noch genügend Zeit, um bei meinem Spint vorbeizuschauen, schließlich musste ich mein Geschichtsbuch noch holen. Vorsichtig drängte ich mich durch die ganzen Schüler, die ebenfalls auf dem Weg in ihre Klassen waren.
Ich schloss meinen Spint auf und wollte gerade mein Buch rausholen, da hörte ich wieder zwei bekannte Stimmen. Ein Deja-Vu.
Es waren Tommy und Billy, das Dreamteam, das das Schlechteste ineinander hervorrief und unterstützte. Wieder konzentrierte ich mich auf ihre Unterhaltung. Zuerst ging es um Basketball, da sie beide dem Basketballteam angehörten, doch dann wurde es interessant.
„Und? Hast du sie letzte Nacht endlich flachgelegt?", fragte Tommy schelmisch.
Billy lachte. „Nein. Nein, das habe ich nicht."
„Was? Wieso nicht? Das war die perfekte Chance, sie abzufüllen!"
„Ach, das ist nicht mein Stil."
Was ist nicht dein Stil? Logik?"
„Vergewaltigung."
„Scheiße Mann, so mein ich das doch gar nicht."
„Ich helf' ihr nicht erst, nur um sie dann abzufüllen. Das ist kranke Scheiße. Sie lag weinend auf dem Boden und brauchte Hilfe, also hab ich ihr geholfen. Sie wird schon noch zu mir kommen, wenn sie erfährt, dass ich es war. Wirst schon sehen."
„Ach ja? Und wie soll sie es erfahren?"
„Sie hört doch gerade zu, stimmt's, Dot?"
Mein Herz blieb stehen. Ich schluckte. Er wusste es. Naja, wirklich unauffällig war es nicht, dass ich wie versteinert an meinem Spint stand und nichts tat. So ein Mist! Noch dazukam, dass sich Schuld in mir ausbreitete. Er hatte mir geholfen und dann musste er sich anhören, wie ich ihm sagte, dass das einzig Gute an ihm sein Aussehen war.
Meine Gedanken wirbelten und schon spürte ich, wie sich schwere und schnelle Schritte näherten und neben meinem Spint Halt machten. Der Geruch seines würzigen Parfums stieg in meine Nase. Doch diesmal war es dezenter und äußerst angenehm. Er schien gelernt zu haben, dass man keine ganze Flasche am Tag brauchte. Ich wusste nicht genau, mit welchem Geruch es sich vermischte, doch es roch beinahe süßlich. Auch der Aschenbecher-Geruch war nicht mehr so stark und nur im Hintergrund.
Schließlich seufzte ich, nahm mein Geschichtsbuch und schloss den Spint.
„Na?", sagte Billy amüsiert und ich konnte mir vorstellen, dass er das gehässigste und selbstzufriedenste Grinsen auf den Lippen hatte, das ein Mensch nur haben konnte. „Leute zu belauschen, gehört sich nicht, das weißt du doch, oder?"
Ich wollte etwas Schlagfertiges sagen, jedoch brachte ich kein Wort hervor. Das war so ziemlich, einer der peinlichsten Momente meines Lebens. Doch Billy hatte den Spaß seines Lebens.
„Ich erlaube dir, mir zu danken.", sagte er schließlich, nachdem er seinen Monolog über das Belauschen abgeschlossen hatte, bei dem ich nach dem ersten Satz bereits abgeschaltet hatte.
Wieder wollte ich etwas sagen, doch konnte es nicht. Mein Herz schlug so schnell und schwer, dass es schwierig war, gleichmäßig zu atmen. Meine Hände schwitzten und ich musste die ganze Zeit mein Geschichtsbuch, das sehr dick war, umpositionieren, damit es nicht herunterfiel.
Billy wartete auf eine Reaktion, doch es kam keine. Stattdessen bekam ich Panik.
„Wir sehen uns! Tschüss!", sagte ich hastig und machte mich aus dem Staub, ohne auf eine Antwort zu warten. Hatte bisher noch niemand einen Ratgeber darüber veröffentlicht, wie man mit solchen Situationen umging? Noch nie hatte ich so starke Probleme, die richtigen Worte zu finden, wie in den Gesprächen mit Billy. Er war so eigenartig. So schamlos, dass man auf alles vorbereitet sein müsste, um schlagfertig antworten zu können.
Immerhin hatte ich jetzt meine Lektion erhalten und hoffte, daraus zu lernen.

Ich bin Dottie || Billy & Eddie Stranger Things FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt