Kapitel 7: Billy, wach auf!

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Seit zwei Tagen hatte ich schon nichts mehr von Nancy gehört. An diesem Punkt wusste wahrscheinlich nicht mal Sauron, wo sie steckte und was sie vorhatte. Ein ungewöhnlicher Anruf hatte mich stutzig gemacht und mein Gefühl bestätigt.
„Hallo, Dottie! Hier ist Karen!", hörte ich die vertraute Stimme von Karen Wheeler (Nancys Mom) am anderen Ende der Leitung sagen. „Ich wollte nur mal nachfragen, wie es dir und Nancy so geht."
Mehrmals blinzelte ich. Nancy war nicht bei mir und ich hatte schon seit dem letzten Mal, als sie mich besuchte, nichts mehr von ihr gehört. Sie verheimlichte mir etwas und ging mir in der Schule aus dem Weg, so viel war klar. Aber warum? Ich wusste, dass sie einen guten Grund dafür haben musste, also deckte ich sie. Ich hab definitiv noch was gut bei ihr!
„Oh, hallo Karen!", begrüßte ich sie. „Nancy ist gerade unter der Dusche, soll ich ihr später sagen, dass Sie angerufen haben?"
„Unter der Dusche?"
„Äh... ja, lustige Geschichte...", log ich und gab mein Bestes. „Wir haben uns Pommes gemacht und als sie die Ketchupflasche benutzen wollte, ist sie explodiert... Sie sah aus, als hätte sie in einem Horrorfilm mitgespielt!"
Karen Wheeler lachte. „Das kann ich mir gut vorstellen! Dann will ich euch nicht noch länger aufhalten. Habt eine schöne Nacht!"
Ich bedankte und verabschiedete mich. Erleichtert legte ich auf. Wo steckte sie nur?
All das geschah vorgestern. Ich hatte gehofft, Nancy in der Schule zu begegnen, doch wurde ich enttäuscht. Besorgt und ein wenig genervt suchte ich Dustin auf, der mir auch nicht weiterhelfen konnte... oder wollte. Die gesamte Zeit versicherte er mir, dass alles gut sei und ich mir keine Sorgen machen müsse. Am Arsch! Was verheimlichten sie mir?
Im Schutz der Dunkelheit, machte ich mich noch am selben Abend auf den Weg zu Will. Ich hatte etwas gespürt, von dem ich dachte, es sei für immer verschwunden. Elfie. Und sie war bei Will, ich konnte es ganz genau fühlen. Doch wie war das möglich? Ich würde es schon früh genug herausfinden.
Entschlossen lief ich aus unserer Einfahrt. Endlich konnte ich meine Fähigkeiten einsetzen, um den Weg zu finden. Leider war das nicht immer möglich, wie an dem Nachmittag mit Billy. Ich konnte meine Kräfte nicht einfach so einsetzen und riskieren gesehen zu werden. Zum Glück wohnten wir am Waldrand und ich konnte, ohne Angst zu haben, sofort beginnen.
Augen schließen. Tief ein- und ausatmen. Konzentration. Elektrizität in meinen Adern. Ein Kribbeln in den Fingerspitzen. Eine zunehmende Flamme in meiner Brust. Die Welt wurde lauter. Mein Gefühl klarer. Der Weg deutlicher. Und los.
Ohne zu zögern rannte ich in den Wald hinein. Ich wusste ganz genau, welchen Weg ich nehmen musste. Ich spürte jeden Stock und jeden Stein, der sich mir in den Weg stellte. Mit Leichtigkeit sprang ich über kleine Bäche hinweg und zum ersten Mal, seit einer langen Zeit, konnte ich mich daran erinnern, wie es war, zu sehen. In Momenten wie diesen, war ich dankbar um meine Kräfte, doch hätte ich sie erst gar nicht gehabt, könnte ich noch sehen und sie wären nicht mal von Nöten gewesen.
Schwer atmend kam ich endlich am Ziel an. Entschlossen sprang ich auf die kleine Veranda, landete etwas lauter, als geplant und klopfte an die Tür.
„Will? Bist du da?", fragte ich laut, doch dann zögerte ich. „Elfie? Ich weiß, dass du hier bist... wollt ihr mir nicht endlich erzählen, was los ist?!"
Ruckartig öffnete sich die Tür. „Dottie?"
„Steve?"
„Du solltest gar nicht hier sein!"
„Entschuldigung?"
Empört zwängte ich mich an ihm vorbei ins Haus.
„Dottie!", rief Dustin verwundert auf. „Du solltest doch zu Hause bleiben, wie ich es dir gesagt habe!"
„Ach ja? Du hast mir also nur gesagt, ich solle mir einen entspannten Abend machen und mich von dem ganzen Billy-Drama erholen, damit ich euch nicht in die Quere komme? Bei was überhaupt?!"
„Ihr habt sie abgewimmelt?", hörte ich Max ungläubig fragen.
„Moment mal!", sagte ich verwirrt. „Ihr weiht Max ein, aber mich wollt ihr loswerden? Nichts für Ungut, Max."
„Schon okay."
„Wo ist Elfie?", fragte ich fordernd.
Mike seufzte. „Sie ist gerade gegangen."
„Warum? Kann mir endlich jemand erklären, was hier los ist?"
Dustin nahm meine Hand und führte mich zu einem Tisch. „Hör zu, Dottie. Du setzt dich jetzt besser hin. Und du musst wirklich gut zuhören, wir müssen uns beeilen!"
„Zuhören kann ich gut.", sagte ich knapp und setzte mich schließlich.
Dustin erzählte mir alles. Nancy und Jonathan wollten das Institut verpetzen, Will wurde von dem „Mind Flayer" besessen und diente ihm als Spion, der Mind Flayer konnte aber keine Hitze ab und deswegen grillten Joyce, Jonathan und Nancy jetzt Will, damit er befreit wird. Dustin hatte versehentlich einen Baby-Demogorgon großgezogen und ihm Schokoriegel gefüttert, bis dieser dann seine Katze aufgefressen hat. Bob, der feste Freund von Joyce, war tot und wurde von „Demohunden" ebenfalls aufgefressen. Elfie war die ganze Zeit am Leben und hat mit Sheriff Hopper in einer Hütte im Wald gewohnt, ist dann für ein paar Tage verschwunden und ist jetzt wohl ein Punk geworden und das alles während der Mind Flayer eine Armee aus „Demohunden" zusammengestellt hat und diese nun angriffen, was aber verhindert werden konnte, wenn Elfie das riesige Portal schloss, das sich unter dem Labor des Instituts befand.
Was?
Und wieso habe ich nichts davon mitbekommen? Wie viel konnte in ein paar Tagen passiert sein? Würde ich nicht wissen, dass all das wirklich existierte und es in diesem sehr speziellen Fall tatsächlich Sinn machte, würde ich Dustin sofort ins Krankenhaus bringen und ihn auf eine Gehirnerschütterung und Drogen untersuchen lassen. Doch leider würde ein toxikologischer Bericht nichts nützen, da ich wusste, dass es wahr sein musste. Ja, Dustin erfand sehr gerne dramatische und verwirrende Geschichten, doch war ich mir sicher, dass dies keine solche war.
Einen Moment überlegte ich und seufzte schließlich.
„Und was an dieser Geschichte rechtfertigt es, mich anzulügen?"
Dustin blieb einen Moment still. „Naja, wir... wir wollten dich nur beschützen und nicht unnötig in Gefahr bringen, weißt du?"
Ich schnaubte und konnte spüren, wie mir Tränen in die Augen stiegen. Wie konnte das nur sein?
„Aber... Ich hätte helfen können!", argumentierte ich frustriert. „Ich habe übernatürliche Fähigkeiten, ihr habt es doch selbst gesehen! Ich kann die Struktur, Bewegung und Art von Molekülen manipulieren, ich kann kämpfen, ich kann telepathisch kommunizieren, ich... ich..."
Doch dann dämmerte es in mir. Ich konnte all das, ja, aber nur eingeschränkt seit meiner Erblindung. Das, was ich erschaffe oder verändere kann ich zwar fühlen und hören, aber eben nicht sehen. Auch meine Kräfte haben ihre Grenzen und funktionieren nicht ohne Bedingungen. Ich konnte mich nicht darauf konzentrieren, etwas zu erschaffen und gleichzeitig fühlen wo genau sich etwas bewegte. Ich müsste auf gut Glück handeln und dafür war das Risiko zu hoch, einen meiner Freunde zu treffen, als dass ich es hätte eingehen können. Also kurz gesagt: ich war nutzlos. Und das wussten sie auch.
„Dottie, du...", begann Dustin vorsichtig und nahm meine Hand. „Du bist uns unglaublich wichtig und wir wollen nicht, dass dir etwas passiert."
„Wohl eher, dass ich nicht im Weg rumstehe oder euch zur Last falle."
Dustin war empört. „Sag das nie wieder! Dottie, du –"
„Hey, wir haben Besuch.", sagte Steve plötzlich. „Es ist dein Verehrer, Dottie. Was will der denn hier?"
„Er ist wegen mir hier.", meinte Max genervt.
Steve seufzte. „Wartet hier und haltet die Klappe. Ich regle das."

Steves berühmte Worte „ich regle das" waren überzeugender als das, was dann tatsächlich geschah. Brutal schlug Billy auf Steve ein, bis dieser bewusstlos am Boden lag, und ließ sich nicht davon abhalten, bis Max ihm Beruhigungsmittel mit einer Spritze injizierte. Meine erste Frage war jedoch, warum so eine Spritze hier überhaupt rumlag, zwischen Zeitschriften und Zigarettenpackungen? Nicht sonderlich sanitär aber immerhin nützlich für die gegebene Situation. Zuletzt machte Max Billy noch klar, sich nicht mit ihr anzulegen, indem sie mit einem Nagel-Baseballschläger auf den Boden, in unmittelbarer Nähe zu seinen Kronjuwelen, einschlug, bevor er schließlich bewusstlos wurde.
Dieser Tag konnte nicht noch verrückter werden. Also half ich den Kids dabei, den bewusstlosen Steve ins Auto zu tragen, mit dem sie sich gleich auf den Weg machen wollten, ein anderes Portal inmitten eines Kürbisfeldes abzufackeln. An dieser Stelle hatte ich bereits aufgehört, Fragen zu stellen. Wir stiegen alle ein, auch wenn es auf der Rückbank, zu viert, ein wenig kuschelig wurde. Max ist gefahren und bis zu diesem Tag, hielt ich es nie für eine gute Idee, selbst zu fahren, doch erschien mir dies, in dem Moment, als die bessere Wahl. Ich versuchte zwischen Dustin und der Autotür Halt zu finden und mich irgendwo festzuhalten, als –
Ein Schauer lief mir über den Rücken und meine Nackenhaare stellten sich auf. Wieder blitzten „Bilder" vor meinen Augen auf, doch war es eher ein Gefühl.
Billy. Bewusstlos. Demohunde. Das musste der Mind Flayer sein, der mir sagte, was er vorhatte. Er war in meinem Kopf.
Panisch atmete ich auf und Dustin zuckte zusammen. „Dottie, was ist passiert?"
„Ich... Ich muss...", stammelte ich außer Atem. „Anhalten!"
Ruckartig kam das Auto zum Stehen. Ich merkte, wie alle Augen auf mich gerichtet waren.
„Billy. Der Mind Flayer weiß Bescheid. Ich muss zurück."
Hastig stieg ich aus dem Auto und ignorierte Dustins und Max' verwirrte Proteste. Ich drehte mich noch einmal zu ihnen um, bevor ich die Autotür schloss.
„Ihr schafft das auch ohne mich, das habt ihr schon immer. Aber Billy braucht mich jetzt."
„Bitte sei vorsichtig, Dottie!", sagte Dustin besorgt. „Wir sehen uns nachher, ja?"
Ich lächelte. „Ja, bis später."
Schnell schloss ich die Tür und hörte, wie sie mit quietschenden Reifen davonfuhren. Zum Glück konnte ich wieder meine Fähigkeiten einsetzen, um zurückzufinden. Hoffentlich war es noch nicht zu spät.

Billy war deutlich schwerer als er aussah. Schwer atmend zerrte ich ihn hinter mir her und versuchte ihm möglichst nicht den Arm auszukugeln. Ich konnte die Demohunde bereits hören, als ich mich mit Billy durch den Wald schleppte. Klar, sich im Haus zu verbarrikadieren wäre auch eine Möglichkeit, doch war es zu eng, um zu kämpfen und sich orientieren zu können. Wären wir dortgeblieben, hätte ich Billy verletzt und gerade war er meine oberste Priorität.
„Komm schon, Billy! Wach endlich auf! So ein Scheißdreck!", fluchte ich erschöpft vor mich hin.
Die Erde bebte förmlich, als die Demohunde auf uns zukamen. Schnell versuchte ich, Billy an einen Baum zu lehnen und stellte mich schützend vor ihn, bereit zu kämpfen. Mein Herz raste und ich hörte das Blut in meinen Ohren rauschen. Das letzte Mal, als ich solch eine Angst hatte, wurde ich blind. Doch diesmal, würde ich nicht denselben Fehler machen und meine Gegner unterschätzen. Dieses Mal würde ich nicht verlieren.
Ich hatte meine Schuhe und Socken ausgezogen, damit ich die Vibrationen im Boden besser spüren konnte. Es war nun komplett still, doch konnte ich das leise Atmen eines Demohundes vernehmen, der links von mir zum Sprung ansetzte. Absichtlich drehte ich ihm ein wenig den Rücken zu... es funktionierte. Er sprang, doch ließ ich einen langen Felsen aus dem Boden schießen, der ihn durch die Luft fliegen ließ.
Der Startschuss war nun gefallen (im wahrsten Sinne des Wortes) und die Schlacht begann. Sie griffen von allen Seiten an und schon bald, lernten sie, wie sie meine Schwächen ausnutzen konnten. Sie griffen nicht mehr vom direkten Boden an, sondern von Baumstümpfen oder Steinen, wodurch es mir immer schwerer fiel, ihre Bewegungen zu spüren. Jeden Angriff, der darauffolgte, konnte ich nur knapp abwehren und leider nicht, ohne auch selbst verletzt zu werden.
Ihre Klauen rissen tiefe Wunden in meinen rechten Oberarm und meine linke Flanke. Benommen stolperte ich zurück und versuchte mich auf den Beinen zu halten. Adrenalin sei Dank, sonst wäre ich vor Schmerz ohnmächtig geworden. Hoffentlich schaffte Elfie es bald, das Tor zu schließen. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich noch durchhalten könnte.
„Billy! Jetzt wach endlich auf, du mieser Mistkerl! Warum musstest du auch hierherkommen? Wenn wir hier jemals lebend rauskommen, schwöre ich dir, reiß ich dir jedes Arschhaar einzeln aus!", drohte ich verzweifelt und frustriert, während ich noch damit beschäftigt war, die Demohunde abzuwehren, um seinen Arsch zu retten.
„WACH. ENDLICH. AUF!"
„Dot?"

Ich bin Dottie || Billy & Eddie Stranger Things FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt