13. Januar 1985
„Dottie?"
...
„Dottie, bitte kommen, hier spricht Dustin, over!"
Verschlafen blinzelte ich mehrmals. Der Schneesturm schlug so laut gegen meine Fensterscheibe, sodass ich das Funkgerät erst spät wahrnahm. Ich gähnte und streckte mich kurz. So ein Mittagsschlaf tat echt gut, doch befürchtete ich, dass es bereits Abend war.
„Ich wiederhole: Dottie, bitte kommen! Hier spricht Dustin. Over!"
Hastig stand ich auf und nahm das Funkgerät von meinem Schreibtisch.
„Dustin? Hier ist Dottie. Ist was passiert? Over.", meldete ich mich schließlich.
„Na Gott sei Dank, Dottie!", sagte Dustin erleichtert. „Wir dachten schon, der Schneesturm hätte dich auch erwischt!"
„Was heißt hier auch? Ihr wart doch nicht etwa draußen?!"
Einen Moment herrschte Funkstille.
„Dustin?"
Immer noch nichts.
„Dustin Henderson, bitte kommen oder ich komme höchstpersönlich bei dir vorbei!"
„Naja, wir waren nicht draußen... Aber eventuell sind wir noch draußen."
„Sag mal, tickst du noch –"
„Nicht ausflippen!"
Ich schnaubte und atmete durch.
„Ich will doch sehr hoffen, dass ihr gerade von jemanden in Sicherheit gebracht werdet! Dieser Schneesturm ist kein Witz! Was habt ihr euch nur dabei gedacht?! Wer ist noch alles dabei?"
Einen Moment war es ruhig.
„Nur Mike und Lucas sind noch hier...", log Dustin offensichtlich. „Naja und Mr. Clarke wird gleich von einem Krankenwagen abgeholt."
Schockiert schluckte ich. Was hatten sie nur wieder angestellt?
Ich atmete tief durch. „Dustin Henderson, du hörst mir jetzt zu. Lüg mich nicht an, um Will in Schutz zu nehmen, ja? Ich weiß ganz genau, dass er bei dir ist. Und ich möchte jetzt, dass du mir erklärst, was in aller Welt so wichtig ist, dass es nicht bis morgen hätte warten können?!"
Mit klopfendem Herzen wartete ich auf eine Antwort. Diese Kinder raubten mir noch den letzten Nerv. Kaum verging ein Tag, an dem ich mir keine Sorgen um sie machte. Aber diesmal ging es zu weit. Schon vor ein paar Tagen wurde ein schlimmer Schneesturm angekündigt und er war sogar noch schlimmer, als die Experten angenommen hatten. Die Telefonleitungen waren gefroren und der Strom war sogar für eine Zeit ausgefallen. Dieser Sturm war kein Scherz und trotzdem hatten diese Kinder nichts Besseres zu tun, als sich erneut in die Gefahr zu stürzen. Und warum war überhaupt Mr. Clarke bei ihnen? Naja, ich sollte nicht so tun, als wäre ich bei diesem Sturm nützlich gewesen.
Gerade, als ich fragen wollte, ob ihm auch schon der Mund zugefroren sei, meldeten sie sich schließlich.
„Dottie? Dottie, hier ist Will.", hörte ich eben diesen sagen. „Es tut mir leid, ich... Wir haben eine Schatzkarte von Bob gefunden, die er hinterlassen hat, als er den AV Club gegründet hat... Dem sind wir nachgegangen, Mr. Clarke kam uns zur Hilfe und hat sich dabei verletzt. Aber du musst dir keine Sorgen mehr machen, der Krankenwagen ist da und bringt uns wieder nach Hause. Over..."
Verwirrt blinzelte ich mehrmals. Eine Schatzkarte? Nun verstand ich. Will hatte Bobs heldenhaften Tod noch nicht verkraftet. Oft hielt ich ihn im Arm und tröstete ihn. Er weinte oft deswegen, doch wusste ich nicht, was ich tun sollte, also hielt ich ihn einfach fest und ließ ihn erzählen. Ich konnte verstehen, warum Will nicht bis morgen warten wollte. Der kleine musste in seinem jungen Alter schon viel zu viel durchmachen. Traurig blinzelte ich die Tränen weg, die langsam aufstiegen und versuchte positiv zu klingen.
„Oh Will...", begann ich. „Das Wichtigste ist, dass ihr alle in Sicherheit seid. Kommt gut nach Hause, ja? Und meldet euch, wenn ihr da seid. Ihr seid mir welche..."
Funkstille. Ich seufzte. „Over."
„Hier ist Dustin. Wir haben verstanden! Over!"
Amüsiert kicherte ich. Immerhin ging es ihnen gut und ich konnte mich wieder beruhigen. Ich setzte mich wieder gemütlich auf mein Bett und hielt das Funkgerät in der Hand. Einen Moment überlegte ich. Sollte ich? Ja, warum nicht? Ich konzentrierte mich und änderte die Frequenz mit meiner Gedankenkraft.
„Billy? Hier ist Dottie. Bitte kommen!", sagte ich zunächst zögerlich. Einen Augenblick geschah nichts. Vielleicht war es auch eine dumme Idee. Vermutlich fand er das Ganze kindisch. Doch dann meldete er sich.
„Dot? Hier ist Billy. Was gibt's?", sagte er ein wenig außer Atem. Vermutlich hatte ich ihn beim Muskeltraining gestört. „Ist was passiert?"
„Nein, ich... Stör ich gerade?"
„Keine Sorge. War gerade mit Training fertig."
„Oh, gut zu hören!"
„Also...? Was ist?"
„Ich wollte nur fragen, ob bei dir und deiner Familie alles in Ordnung ist? Du weißt schon... wegen dem Sturm."
„Ja, ja bei uns ist alles in Ordnung, wieso?"
„Ach, nur so. Die Kinder waren schon wieder in Schwierigkeiten. Deswegen dachte ich, ich frage mal nach."
„Oh, achso. Was haben sie denn diesmal angestellt?"
„Eine Schatzsuche."
„Mitten im Schneesturm?"
„Yup..."
Ich musste grinsen. Sogar Billy fand es zu gefährlich und dabei war er von der Sorte „No risk, no fun". Noch immer heulte der Wind und ließ mein Fenster beben. Einen Moment blieb es still und wieder fand ich mich in meinen Gedanken versunken. In letzter Zeit dachte ich oft nach. Über mich selbst, meine Kräfte und darüber, wie ich für alle anderen bloß eine Last war. Wie konnte es nur sein, dass Elfie ein riesiges Portal zum Upside-Down schließen konnte, während ich Probleme hatte, ein paar Demohunde abzuwehren? Und wäre Billy nicht rechtzeitig aufgewacht, wäre ich noch dabei draufgegangen! Ganz zu schweigen davon, dass auch Billy gestorben wäre. Ständig machte ich mir selbst Vorwürfe und fühlte eine Niedergeschlagenheit, die mich beinahe erstickte.
„Dot?"
Doch zum Glück war da noch Billy. Er kannte zwar die ganze Geschichte, doch redete er selten darüber. Es war äußerst erfrischend, mal nicht daran erinnert zu werden, wie ein kleines Mädchen wieder die Welt gerettet hat, während man selbst die meiste Zeit nicht mal von der Bedrohung wusste, weil sie einen „bloß beschützen" wollten. Um diesen Gedanken zu entfliehen, schlief ich oft, hörte Musik oder redete mit Billy. Doch heute war einer dieser Tage, an dem die ersten beiden Optionen nicht halfen, also versuchte ich es mit Letzterem.
„Dot!"
Ich zuckte zusammen. „J-ja? Tut mir leid, hast du was gesagt?"
„Nein.", meinte Billy knapp. „Du aber auch nicht."
Ich seufzte. „Tut mir leid, ich... ich habe nur nachgedacht."
„Über was?"
„Ach, nicht so wichtig. Ich will dich nicht damit belasten."
„Oh bitte, Dot. Jetzt tu doch nicht so. Sag schon. Was ist los?"
„Naja, ich... ich hab das Gefühl, nutzlos zu sein... schwach. Verstehst du?"Verwirrt blinzelte ich mehrmals. Hatte ich mich verhört?
„Nein, verstehe ich nicht. Manchmal redest du echt Mist, Dot, weißt du das?"
Kurz blieb sie still. „Ich... tut mir leid, wie gesagt, ich will dich damit nicht bela–"
„Du bist nicht schwach, Dot. Und ich bin der lebende Beweis... wortwörtlich."
Wieder Stille. Doch diesmal dauerte es einen Moment länger als zuvor. Jedoch sagte ich es diesmal nicht nur, um sie aus der Reserve zu locken, sondern weil es die Wahrheit war.
„Dot? Bist du noch da?"
„J-ja, ich bin noch hier, sorry...", antwortete sie hastig. „Ich hab nur... Meinst du das ernst?"
Ich musste lachen. „Ja, das meine ich."
„Oh... äh... Danke..."
„Nein."
„Wie bitte?"
„Seit dieser Nacht, habe ich mich nie richtig bei dir bedankt. Also... Danke..."
„Ach was, das war doch –"
„Nein, das war nicht selbstverständlich, Dot.", unterbrach ich sie. „Dass du dir überhaupt die Mühe gemacht hast, mich aus dem Haus zu ziehen... Ich muss gestehen, dass ich niemanden kenne, der das auch für mich tun würde. Ziemlich armselig, wenn man darüber nachdenkt."
Ich schnaubte belustigt. Noch immer fragte ich mich, warum ich Dot das alles erzählte. Als ob es sie interessieren würde. Doch musste ich zugeben, dass ich tatsächlich niemanden kannte, von dem ich wusste, er würde sein Leben, für das meine, riskieren. Je mehr ich darüber nachdachte umso größer wurde der Kloß in meinem Hals. Also war ich froh, als Dot endlich etwas dazu sagte.
„Billy, das...", begann sie und machte eine kurze Pause, um sich zu sammeln. „Es tut mir wirklich leid, das zu hören. Aber umso mehr freut es mich, die richtige Entscheidung getroffen zu haben."
Wieder pausierte sie kurz. Nun war ich gespannt.
„Willst du... vielleicht darüber reden?", fragte Dot schließlich. „Nun ja... du weißt ja schon so viel über mich und ich dachte... Ich dachte, vielleicht willst du auch mal über ein paar... Dinge reden, über die du normalerweise nicht sprichst. Vielleicht hilft es dir ja... eventuell?"
Unsicher stolperte sie über die Worte und wartete schließlich auf eine Antwort. Der Kloß in meinem Hals schien nicht kleiner zu werden und ich rang mit den Worten. Meine Hand, in der ich das Funkgerät hielt, das mir Dot angedreht hatte, unter dem Vorwand „falls mal was ist", schwitzte und ich warf es auf mein Bett. Verwirrt atmete ich schwerer. Ich hatte keine Ahnung, was mit mir passierte. Ich wollte so unbedingt mit ihr reden, doch hatte ich Angst. Seit meine Mutter mich bei meinem Vater zurückließ, hatte ich mich niemandem mehr anvertrauen können. Doch dann erinnerte ich mich wieder an das Gefühl, das in mir aufkam, wenn wir redeten. Ich erinnerte mich an ihr Pfirsichshampoo, ihre Zahnlücke, wenn sie lachte und ihren ernsthaft besorgten Blick, als sie hörte, wie mein Vater mich schlug. Unwillkürlich musste ich lächeln. In den letzten vier Monaten, war sie mir tatsächlich ans Herz gewachsen und so ziemlich die einzige, wirkliche Freundin, die ich hier in Hawkins hatte. Also nahm ich meinen Mut zusammen, setzte mich auf mein, zugegebener weise nicht gemachtes, Bett und nahm das Funkgerät wieder in die Hand.
„Billy?", fragte Dot unsicher.
Ich seufzte. „Ja, Dot. Ich bin noch hier, ich... Ich musste nur kurz nachdenken und... Und du hast recht."
Einen Moment herrschte Stille. Ich konnte mir ihren überraschten Blick vorstellen und wie sie versuchte, sich einen Reim aus meiner letzten Aussage zu machen.
„Hab ich gerade richtig gehört? Kannst du das nochmal wiederholen?"
Ich musste lachen. Aber natürlich.
„Ich sagte: du hast recht."
„HAH! Natürlich habe ich recht!", sagte Dot amüsiert.
„Ja, ja, ja. Aber gewöhn dich nicht daran."
Noch immer unsicher, wusste ich nicht recht, wo ich anfangen sollte. Doch eines war sicher. Dot würde zuhören. Sie würde mich verstehen. Und sie würde mir helfen, so wie sie es bereits getan hatte. Ich wusste, ich konnte auf sie zählen.
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Ich bin Dottie || Billy & Eddie Stranger Things Fanfiction
FanfictionDottie hat tatsächlich Superkräfte, aber nur wenige wissen davon. Die meisten denken, ihre Superkraft sei zu laufen und sich zu verhalten wie jeder andere, obwohl sie blind ist. Aber nur ihre Freunde und ihre Familie wissen, was für Kräfte sie wirk...