Kapitel 22: Planänderung

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„Aber wie ist das möglich?" Überrascht musterte ich Francesca. „Ich dachte, Evelyn und ich seien die Einzigen."
Francesca lächelte leicht. „Ihr seid die einzigen, die Zugriff auf die dunkle Energie aus der anderen Welt haben, ja. Aber die Magie, die wir aus dem Licht ziehen, stammt aus Mutters Blutlinie." Sie mied meinen Blick. „Es ist wie ein Gen, dass vererbt werden kann aber nicht muss."
Verwirrt blinzelte ich mehrmals. „Hat Mutter davon gewusst?"
„Sie war die Einzige, die es wusste...", antwortete Francesca leise.
„Nein, war sie nicht."
Ich schnaubte und alle wandten ihren Blick zu Evelyn, die es mal wieder nicht lassen konnte. Ächzend richtete sie sich auf und ließ für einen Moment den Blick auf uns ruhen. Es war, als genieße sie die Aufmerksamkeit. Selbstzufrieden schnaubte sie und wand sich um, um zu gehen. Wütend sah ich ihr hinterher, doch war ich zu ausgelaugt, um etwas dagegen zu tun.
Plötzlich spürte ich eine sanfte Hand auf meiner Schulter. Dustin lächelte mich erleichtert an und fiel mir um den Hals. Auch Will gesellte sich dazu und umarmte mich fest.
„Ich dachte schon, wir hätten dich für immer verloren!", sagte Dustin und blinzelte gegen die aufkommenden Tränen an. „Wer hätte dann meine Actionfiguren fliegen lassen?"
Gerührt lachte ich und wir ließen voneinander ab. Will sah mich traurig an.
„Hawkins wäre ohne seine Psychic Witch vollkommen aufgeschmissen." Er lächelte etwas. „Ganz zu schweigen von Zombie Boy."
Ein verächtliches Lachen ertönte. Es war Evelyn, die mich über die Schulter hinweg ansah und schief grinste. Sie stand gebückt und hielt sich mit der linken Hand die rechte Flanke. Blut sickerte noch langsam aus der Wunde, die ich ihr verpasst hatte, und lief über ihre Finger. Ihre gelben Augen musterten mich und sie schnaubte.
„Die perfekte Dorothy Lockwood, huh?" Wieder lachte sie verächtlich auf. „Der Schein trügt, nicht wahr?"
Genervt rümpfte ich die Nase. War ja klar. Ich wusste genau, was sie jetzt erzählen würde. Aber früher oder später mussten es die anderen sowieso herausfinden. Dustin sah mich mit seinen großen Augen besorgt an und dann anschließend Evelyn, als sich sein Blick verfinsterte.
„Halt die Klappe, Evelyn!" Protestierend stellte er sich vor mich. „Du hast ihr schon alles genommen, also verschwinde endlich, Bitch!"
Kurz zuckten meine Mundwinkel nach oben, amüsiert über Dustins Fluchen. Doch dann seufzte ich. Evelyns Blick traf den meinen und sie grinste.
„Ist nicht wahr? Dot hat Geheimnisse... Na, was sagt man dazu?"
Wieder begann Dustin mich zu verteidigen, doch ich unterbrach ihn, indem ich ihm sanft meine linke Hand auf seine rechte Schulter legte. Sofort drehte sich sein Kopf zu mir und er sah mich verwirrt an. Ich nickte ihm zu und schenkte ihm ein trauriges Lächeln. Als ich wieder zu Evelyn blickte, schnaubte und grinste sie zufrieden.
„Sag es ihnen.", befahl sie schließlich. „Erzähl ihnen, dass Dorothy Lockwood kein kleines Engelchen ist, wie sie es immer vorgibt zu sein." Sie legte eine dramatische Pause ein. „SAG ES IHNEN!"
Evelyns laute, verzweifelte und hasserfüllte Stimme ließ mich zusammenzucken und ich seufzte tief. Traurig sah ich Dustin an und versuchte, die aufkommenden Tränen wegzublinzeln. Da ich noch mit den Worten rang, begann Evelyn bereits zu erklären.
„Wenn du nicht willst, mach ich es eben." Sie kam ein paar Schritte humpelnd auf uns zu. „Heute, vor genau acht Jahren, hörten wir – Dot und ich – ein seltsames Geräusch im Garten... Ja, ich weiß, so beginnt jeder schlechte Horrorfilm. Doch was fanden wir da? Kann es jemand erraten?"
Erwartungsvoll und mit verzweifelter guter Laune sah sie in die Runde. Doch keiner sagte auch nur ein Wort. Besorgt sah Francesca mich an, da sie ganz genau wusste, was uns im Garten erwartete. Wieder sah ich zu Evelyn und wartete darauf, dass sie fortfuhr. Ich brachte es nicht übers Herz, diese Geschichte zu erzählen.
„Wirklich? Keiner? Ach, egal." Seufzend schüttelte sie den Kopf und hustete bevor sie fortfuhr. „Wir fanden Daddy! Oder Papa... Oder... Egal! Da war er nun. Der beste Vater des Jahres. Er war gekommen, um eine seiner Töchter abzuholen – oh, Fun Fact: nur Dot und ich sind seine Töchter, unsere Mum hatte vier Männer – und sie mit in eine andere Welt zu nehmen." Evelyn machte erneut eine Pause und schnaubte verächtlich. „Wir dachten, wir wären stärker. Wir dachten, wir könnten es mit jedem aufnehmen, solange wir nur zusammenhielten. Die unbesiegbaren, magischen Zwillinge. Doch während ich noch daran geglaubt hatte, hat Dot bereits erkannt, dass es sinnlos war. Manchmal frage ich mich, was passiert wäre, wenn ich die Schlauere gewesen wäre..."
Irritiert sah Dustin mich an. Auch die anderen waren verwirrt und beobachteten die Situation. Evelyn lachte auf. Doch diesmal war es ein trauriges Lachen. Es schmerzte.
„Na, komm schon, Dot.", sagte Evelyn leise. „Sag es ihnen. Was ist passiert?"
Den Kampf gegen die Tränen verlierend sah ich in die Runde und merkte, dass alle Blicke erwartungsvoll auf mich gerichtet waren. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und schnürte meine Kehle zu. Francesca schluckte und sah Evelyn anschließend wütend an.
„Hast du nicht schon genug Chaos angerichtet?!" Entsetzt ging sie ein paar Schritte auf mich zu.
„Francesca.", sagte ich leise, doch bestimmt, und sie blieb abrupt stehen. Sie schüttelte den Kopf und deutete mir, es nicht zu sagen. Langsam drehte ich meinen Kopf zu Evelyn, die mich traurig und wütend zugleich, anstarrte. So viele Jahre hatte ich es geheim gehalten, und sogar Francesca da mitreingezogen, nur um es jetzt preiszugeben. Doch noch bevor ich mich anders entscheiden konnte, kamen die Worte schon aus meinem Mund.
„Ich hab Evelyn geschubst." Die Stille nach diesem Satz war unerträglich. Betretene Stille. Fassungslose Stille. „Ich habe sie unserem Vater ausgeliefert, um mich selbst zu retten."
Zufrieden grinste Evelyn und applaudierte langsam. Das Klatschen ihrer Hände hallte in dem riesigen Einkaufszentrum. Dustin sah mich traurig an und hatte offensichtlich keine Worte. Will schien jetzt sogar noch besorgter als zuvor und Steve zog bloß die Augenbrauen hoch, während er in die Luft starrte.
Francesca seufzte und meldete sich schließlich zu Wort. „Und ich hab es gesehen..."
„Und sie hat dir gedroht, falls du es jemandem erzählen solltest... nicht?", unterbrach sie Evelyn selbstgefällig. Ich schluckte. Nach all den Jahren, fiel es mir schwer, mich wieder mit der Dottie auseinanderzusetzen, die ich mal war. Ich erkannte sie selbst nicht mehr. Das konnte ich nicht. Das wollte ich nicht.
Zufrieden über den gesamten Schaden, den sie in dieser Nacht verursacht hatte, ging Evelyn weiter Richtung Ausgang. Noch einmal drehte sie sich um und seufzte enttäuscht. „Aber all das wird schon bald egal sein... nicht wahr, Dot?" Wieder legte sie eine dramatische Pause ein. „Bald schon, wird sich niemand mehr an dich erinnern."
Ohne ein weiteres Wort, kehrte sie uns den Rücken zu und verließ die Starcourt Mall für immer.

Eine halbe Stunde zuvor.

Entschlossen drückte ich Evelyn zu Boden. Mit der einen Hand fest um ihre Kehle geschlossen und der anderen drohend zu einer feurigen Faust geballt, starre ich ihr fordernd in die Augen.
„Was willst du von mir?"
Röchelnd lächelte Evelyn zufrieden. „Das, was schon immer hätte mir gehören sollen."
„Ach, und was soll das sein?", fragte ich ungeduldig und schnaubte verächtlich. „Mein Augenlicht hast du mir bereits gestohlen."
Spöttisch lachte Evelyn auf und verschluckte sich an ihrem eigenen Blut. „Oh nein, wie tragisch!" Als sie sich wieder beruhigt hatte, fuhr sie unbeirrt fort. „Die perfekte Dorothy Lockwood. Vorbildliche Schülerin, wunderschön, sportlich, beliebt. Die Mädchen wollen mit ihr befreundet sein und die Jungs mit ihr ins Bett steigen."
Wütend griff ich ihre Kehle etwas fester. „Du hast meine Frage nicht beantwortet!"
„Du hast mich gefragt, was ich will... Das ist ganz einfach", presste Evelyn hervor und ich lockerte meinen Griff. „Dein Outfit, dein Zimmer, deine Freunde, deinen Freund... deinen Namen."
Bevor ich reagieren konnte, drehte Evelyn den Spieß um und drückte nun mich zu Boden. Ihre kalten Hände umschlossen meine Kehle und ließen mich nach Luft ringen. Ich versuchte ihren Griff zu lockern, doch hatte es keinen Zweck. Sie war so viel stärker als ich. Entschlossen und beinahe wahnsinnig sah sie mir in die Augen und kam mit ihrem Gesicht immer näher.
„Dein Leben hätte meines sein sollen... also werde ich es mir nehmen. Und wenn ich meinen Zauber gesprochen habe, wird es niemand bemerken." Zufrieden grinsend, lockerte sie ihren Griff etwas. Schwer atmend schnaubte ich schließlich.
„Dann tu es doch.", sagte ich und für einen Moment huschte ein Anflug von Überraschung durch Evelyns Gesicht. „Töte mich. Dann bist du mich los und meine Freunde müssen nicht trauern, wenn du mich sowieso ersetzen willst. Die Welt wird sich auch ohne mich weiterdrehen und du hast das, was du schon immer wolltest."
Misstrauen breitete sich in Evelyn aus und ließ sie kurz verstummen. Ihr Blick wandte sich zu meinen Freunden und meinen Schwestern, die den Mind Flayer hinhielten. Im Augenwinkel sah ich Francesca, die sich in einer Ecke versteckt hatte und mir deutete, nicht auf sie zu reagieren. Sie schien meine Unterhaltung mit Evelyn gehört zu haben und versicherte mir, dass alles gut werden würde. Schließlich sah Evelyn mich wieder an und grinste schief.
„Bei genauerer Überlegung...", begann sie und kicherte. „Eigentlich hätte ich es wissen müssen. Die perfekte Dot würde sich stets sofort opfern, um ihre Freunde zu beschützen. Wie sollte es auch sonst sein? Dich zu töten, wäre zu einfach..."
Mein Herz begann zu rasen. Warum war ich nur so dumm gewesen? Ich hätte sie um Gnade anflehen sollen, weinen sollen! Alles, aber bloß nicht zeigen, dass es mir egal war. Mir hätte klar sein sollen, dass Evelyn auf maximalen Schaden aus war. Panisch malte ich mir schon die schlimmsten Szenarien aus, die durch Evelyns sadistische Art in der Realität noch um ein Vielfaches schlimmer werden würden. Ich war mir sicher, dass sie mir meine Freunde, einer nach dem anderen, nehmen würde. Oder sie tötet sie alle auf einmal und hängt es mir an. Egal was es sein würde, sie würde dafür sorgen, dass ich mich nie wieder sicher fühlen würde.
Schadenfroh grinste Evelyn. „Malst du dir schon aus, was ich deinen Freunden antun werde? Glaube mir: deine Vorstellungen kommen nicht im Entferntesten der Realität nahe, Schwesterchen." Sie atmete tief ein, um ihre Kraft zu sammeln und ihre Augen leuchteten golden. „Ich werde dafür sorgen, dass sich niemand mehr an die perfekte Dottie Lockwood erinnern kann. Sobald du diese Mall verlässt, wird niemand deinen Namen kennen. Alle Erinnerungen mit dir werden fort sein. Jedes Foto von dir... leer. Für deine Freunde wirst du nur eine Fremde sein. Alles, was ihr zusammen erlebt habt... fort. Und ich frage mich... Wer ist Dottie Lockwood?"

Ich bin Dottie || Billy & Eddie Stranger Things FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt