Ewan
Felicity sagte die ganze Erzählung über kein Wort.
Als ich geendet hatte, drückte sie sich von meiner Seite weg, um mich direkt ansehen zu können. In ihrem Blick lag etwas, das ich nicht ganz deuten konnte, aber es war auf jeden Fall nichts Gutes.
„Du hast mir nie von diesen Sklavenhändlern erzählt."
Ihre Stimme war leise. Mein Magen krampfte sich zusammen und ich ballte die zittrigen Hände zu Fäusten. Allein an diesen Mann und seine Freunde zurückzudenken, ließ mich auf der Stelle einfrieren, meine Kehle fühlte sich an wie zugeschnürt und mit Watte verstopft. Ich schluckte hart und senkte den Blick.
Felicity betrachtete mich noch immer.
„Du hast mir damals gesagt, du wärst einfach eine Weile in einer Herberge untergekommen und hättest einige Trainingseinheiten erledigt."
Ich presste die Lippen aufeinander, Angst füllte mein Inneres. Angst vor so vielen Dingen. Vor dem, was damals passiert war und vor allem vor dem, was noch passieren würde.
„Ich hätte merken sollen, dass etwas nicht stimmte", Reue schwang in der Stimme meiner besten Freundin mit und ich hob schnell den Kopf.
„Du hättest es gar nicht wissen können. Es ist nicht deine Schuld."
Die Schwarzhaarige schüttelte den Kopf, streckte sich vor und zog mich in eine feste Umarmung. Ich spürte wie sie das Gesicht an meiner Schulter vergrub und ließ es zu, dasselbe bei ihr zu tun. Der Geruch nach Gras, Zimt und Wald füllte meine Nase, die ich gegen den Stoff ihres Sakkos drückte. Erschöpft schloss ich die Augen, drückte mich gegen sie und entspannte meine Schultern.
„Hätte ich das gewusst... ich hätte dir doch helfen können... es tut mir so leid."
Ich schlang meine Arme um ihren unteren Rücken. „Muss es nicht. Der Schlimmste von ihnen ist, wie gesagt, tot. Ich... ich kann meinen Frieden machen.", „Hmmh", sie summte leise und strich mit den Fingern sacht über meinen Rücken.
Langsam atmete ich ein und aus, mit jedem Atemzug entspannte ich mich ein wenig mehr. Mit der Entspannung kam der Kontrollverlust. Ohne es richtig zu merken, befreiten sich einige Tränen aus meinen geschlossenen Augenwinkeln und liefen nach unten auf Felis Anzug, wo sie dunkle Flecken auf dem grauen Stoff hinterließen.
Ich drückte mich enger gegen die tröstende Präsenz die ich schon so lange kannte. Ihre Bewegungen wurden kein einziges Mal unterbrochen, sie fuhr noch immer sanft und beruhigend mit ihren Händen über meinen Rücken. Es erinnerte mich an unsere frühere Zeit zusammen, wenn es mir schlecht ging. Vor allem in den ersten Jahren unserer Freundschaft, wenn ich mich nach dem Training irgendwohin verzog um alleine mit meinen Ängsten zu sein. Felicity hatte mich immer gefunden. Und immer hatte sie nur gesagt was nötig war, und den Rest hatte sie eine Umarmung oder auch nur ihre schiere Präsenz machen lassen. Es gab Zeiten, in denen wir stundenlang einfach nebeneinander saßen und ich ihr von dem erzählte, was mich bedrückte. Währenddessen hatte sie nur gesagt, was es gebraucht hatte, nicht mehr und nicht weniger. Ich hatte jemanden benötigt, der mir zuhörte und für mich da war. Und Felicity war es immer gewesen. Und sie war es auch jetzt.
Ich biss die Zähne zusammen, versuchte das Zittern meiner Lippen zu verdeckten.
„Ich...", brachte ich schließlich hervor, „ich... Ich habe Angst, Feli. Ich habe Angst."
Der Griff um meinen Rücken wurde stärker, ich konnte riechen wie ihre Aura aufwallte und einen entschlossenen, fürsorglichen Duft nach einer Sommerwiese annahm.
„Ich weiß", sie sprach leise und geflüstert, ihr Mund fast direkt neben meinem Ohr. „Ich weiß, dass du Angst hast. Aber ich bin hier. Es geht dir gut. Dieser grauenvolle Mann ist tot. Cody ist noch am Leben und wir sind unterwegs um ihm zu helfen, weißt du noch? Es ist okay. Wir werden alles wieder richten. Das verspreche ich dir."
Cody...
Meine Hände krallten sich plötzlich in den Stoff ihres Sakkos, mein Herz begann zu rasen, ein flaues Gefühl schlug seine Krallen in meinen Magen. Ich sog erschrocken, hektisch und ein wenig atemlos die Luft ein.
„Hey", Felicitys Stimme schnitt durch den dumpfen Druck, der sich auf meinen Ohren bilden wollte, holte mich in die Wirklichkeit zurück, bevor ich ihr entgleiten konnte, „Alles ist gut. Wir schaffen das, es wird gut. Atme. Ganz ruhig, du musst atmen."
Wie um es mir vorzumachen, holte sie sehr langsam Luft, und stieß sie kurz darauf wieder, ebenso langsam, aus. Nach einigen Malen die sie mir vorgab, schaffte ich es, dem Muster aus langsamen, entspannten Atemzügen zu folgen und es nachzuahmen.
Eine ganze Weile lang war der Innenraum der Kutsche einzig und alleine mit ruhigen, synchronisierten Atemzügen gefüllt.
Nach einer Zeit in dem ich nur dem leisen ein- und ausatmen Felicitys gelauscht und das Schaukeln der Kutsche unter mir gespürt hatte, richtete ich mich auf, drückte mich von Feli weg, di sofort ihre Arme zurückzog, und lehnte mich erschöpft mit dem Rücken gegen die auf und ab hüpfende Wand der Kutsche.
Es war still, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, bis ich den Kopf drehte und einen Blick aus dem freigelegten Fenster warf.
Vor der kleinen, viereckigen Glasscheibe flogen unverkennbar die beinahe abgestorbenen Blätter von Büschen und die Äste von Bäumen vorbei. Wir bewegten uns definitiv schnell, Francis schien die Pferde gut unter Kontrolle zu haben.
Abwesend blinzelte ich und folgte dem vorbeizischenden Wirrwarr aus Braun und Rot mit den Augen.
„Was meinst du, wie lange sind wir schon unterwegs?"
Ich ließ, ohne hinzusehen oder mir dessen richtig bewusst zu sein, im Schoß die Finger spielen. In meinem Inneren hatte sich eine erschöpfte Taubheit breitgemacht, über die ich mich fast schon freute. Sie bewahrte mich davor, komplett überzuschnappen.
Felicity folgte meinem Blick und sah an mir vorbei aus dem Fenster. Vage konnte ich sie aus dem Augenwinkel die Schulter zucken sehen.
„Schon eine ganze Weile. Dieser Wald scheint schon seit einer Ewigkeit an uns vorbeizuziehen. Viel länger kann es nicht mehr dauern."
Verstehend nickte ich und summte leise. Feli zog besorgt die Brauen zusammen und lehnte sich ein wenig nach vorne.
„Geht es dir gut?", „Nein. Aber im Moment spüre ich gar nichts, das ist vielleicht auch gut so. Ich habe, zugegeben, ein wenig Angst vor dem Moment, wenn die Taubheit vorbeigeht."
Meine Lippen befeuchtend lehnte ich mich vom Fenster weg und zog den Vorhang wieder zu, die Arme vor der Brust verschränkend. Müde schloss ich die Augen, ich spürte bereits wie sich ein dumpfes Pochen hinter meiner Stirn bemerkbar machte. Unbehaglich schüttelte ich den Kopf und legte ihn in den Nacken, nach hinten gegen die hölzerne Wand.
Für eine sehr, sehr lange Zeit war es komplett still. Nur das Rattern der Kutschenräder über den holprigen Boden war zu hören. Obwohl ich es gerne getan hätte, und einige Male fast kurz davor war, konnte und wollte ich nicht einschlafen. So lauschte ich für eine lange, lange Zeit nur der Stille und dem stetigen Auf und Ab des Weges unter uns. Felicity schwieg ebenfalls. Irgendwann vernahm ich vage, am Rande meines Bewusstseins, das Heben und Senken des Sitzpolsters, kurz darauf etwas Warmes, das sich langsam aber dennoch bestimmt gegen meine Seite drückte und sich dort ablegte, um für den Rest der Reise so zu verharren.
Ein wenig erleichtert atmete ich ruhig ein und aus, genoss Felicitys tröstende Nähe und die ruhige Aura die sie abgab. Vor meinem inneren Auge zog das Bild von Cody vorbei, wie er versuchte sich zu verteidigen, der beängstigende Moment in dem seine Augen glasig und blicklos wurden. Ich war dankbar für Felicitys Körper neben meinem, dessen Wärme die kalten Klauen der Angst abwehrte.
Zutiefst erschöpft stieß ich ein langgezogenes Seufzen aus und legte mein Kinn auf ihrem Scheitel ab.
Es herrschte Stille.
Für den Rest der Fahrt hielt diese Stille an, in der ich immer wieder einen Satz in meinem Kopf wiederholte:
Bitte, lass uns rechtzeitig kommen.
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Die Asche des Drachen (Wird momentan überarbeitet)
FantasíaDer 17-Jährige Ewan Feliciano wurde von Kindheit an elitärst ausgebildet, um später seinem Vater auf den Thron seines Clans zu folgen. Als er von eben diesem einen äußerst gefährlichen Auftrag erhält, wird sowohl sein Können als auch sein Wille...