Kapitel 24

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Wir saßen im Wohnzimmer der Villa. Alles war ins blaue Licht der Laternen getaucht. Meine Finger krallten sich in den Schreibblock auf meinem Schoß.

Ich wollte unbedingt ein Gespräch anfangen, doch ich wusste nicht wie. Max kam mir schließlich zuvor.

Sie kritzelte etwas auf ihr Blatt und hielt es hoch. Hey stand dort. Ich schmunzelte, schrieb Hi auf mein Blatt und hielt es ebenfalls hoch.

Max schrieb wieder etwas. Ich bin froh dass du hier bist.

Ich lächelte gerührt und antwortete mit Ich auch. Max grinste mich an.

Dann kritzelte ich noch etwas auf meinen Block. Gehen wir Freitag ins Kino?

Als ich den Block hochhielt, verschwand Max' Grinsen plötzlich. Sie machte sich daran, eine Antwort zu verfassen. Zögerlich ließ ich meine Hand mit dem Zettel wieder sinken. War das zu voreilig gewesen?

Max schrieb konzentriert auf ihr Blatt. Kurz bevor sie es hochhielt zögerte sie, und fügte noch etwas hinzu.

Dann hielt sie mir den Block vorsichtig entgegen.

Dort abgebildet war eine Zeichnung von 2 Mädchen die im Kino saßen und Händchen hielten.

Und über den beiden schwebte ein Herz.

Mein eigenes Herz machte mehrere Saltos und mein Atem stockte. Max kam langsam auf mich zu und blieb kurz vor meinem Sessel stehen. Ich stand ebenfalls auf. Max nahm meine Hand. Ihre Hand war ziemlich kühl. Langsam kamen wir uns näher. Immer näher, als ob wir von einem unsichtbaren Band zusammengezogen wurden. Ich spürte Max' Atem auf meiner Wange.

Doch kurz bevor unsere Lippen sich trafen sahen wir plötzlich ein blinkendes Licht. Erica. Schnell ging ich mit meiner Taschenlampe rüber zum Fenster und gab unser Signal. Das Blinken von Ericas Taschenlampe hörte auf.

Ich stieß so leise wie möglich die Luft aus und schrieb auf meinen Zettel. Phase 2? Max nickte mir zu. Also los. Wir gingen langsam runter ins Erdgeschoss. In den Raum, in dem Vecna sich befand. Das ganze Zimmer leuchtete blau. Max ließ meine Hand los. Wir blieben im Türrahmen stehen und Max setzte ihre Kopfhörer ab. Dann schaltete sie den Walkman aus.

Kurz zögerte sie. "Hey! Arschloch! Ich bin hier." rief Max nach einigen Sekunden. "Keine Musik mehr. Keine Spielchen mehr. Hörst du mich?! Worauf wartest du?" Plötzlich hörte Ericas Laterne auf zu blinken. Nach wenigen Sekunden fing dann Max' Laterne an, stärker zu leuchten. Wir setzten uns langsam in Bewegung. Ich spürte eine Präsenz. Jemand war bei uns. Sicherlich war Vecna diese Präsenz. Langsam und stetig führte die Laterne uns auf den Dachboden.

Doch als wir in der Mitte des Dachbodens angekommen waren, hörte Max' Laterne plötzlich auf zu blinken. Sie sah mich kurz hilflos an, doch ich konnte nichts tun als ihren Blick zu erwidern.

"Worauf wartest du Arschloch? Ich bin doch hier, ich bin hier!" rief Max. "Ich weiß du kannst mich hören. Meine Gedanken lesen. Sogar die schlimmsten... Vielleicht vor allem die schlimmsten." fügte sie nach wenigen Sekunden hinzu. Sie stellte ihre Laterne ab und setzte sich im Schneidersitz davor auf den Boden.

"Ich hab über deine Worte nachgedacht. Darüber dass ich wollte dass mein Bruder stirbt. Ich dachte du wolltest mich nur provozieren... und mich ärgern. Aber das wolltest du nicht. Du hast... nur die Wahrheit gesagt." fing sie an. Kurz sah ich geschockt zu ihr. Max redete weiter, völlig in Gedanken.

"Billy hat mir mein Leben zur Hölle gemacht. So oft er nur konnte. Und manchmal... lag ich nachts im Bett und hab gebetet, gebetet dass ihm etwas zustößt. Etwas schlimmes. Ich wusste dass er immer zu schnell fuhr, also hab ich mir vorgestellt, dass er einen Unfall hat. Und in seinem blöden Wagen umkommt. Ich wollte... ich wollte dass er aus meinem Leben verschwindet. Als er starb, da hab ich einfach nur da gestanden... und hab zugeschaut. Nicht weil ich Angst hatte, oder schwach war, sondern weil ich nicht wusste, ob er es verdient hatte, gerettet zu werden... Jetzt versuche ich mir selbst zu verzeihen. Aber ich kanns nicht. Und wenn ich jetzt nachts im Bett liege, dann bete ich dass mir etwas zustößt. Dass mir auch etwas furchtbares zustößt... Und deswegen bin ich hier. Weil ich will dass du mich einfach mitnimmst. Und ich will... dass du mich verschwinden lässt."

Ich konnte nicht verhindern, dass mir eine Träne über die Wange lief. Max wollte sterben? Ich betete, dass nicht alle von ihren Worten stimmten. Max regte sich nicht mehr. Ich ging vorsichtig zu ihr.

"Max? Kannst du mich hören?" fragte ich ängstlich. Sie antwortete nicht. Schnell stand ich auf und gab Erica das Signal. Das bedeutete, Phase 3 begann nun. Die Fledermäuse ablenken.

Wie eine aufgescheuchte Maus lief ich durch den Dachboden. Meine Angst kam zurück. Es sah aus, als würde Max Schwierigkeiten haben, richtig Luft zu holen. Ich hockte mich vor sie. Ich wollte ihre Hand nehmen, aber ich wusste genau, dass ich sie in diesem Zustand nicht anfassen durfte. Denn das konnte gefährlich werden.

"Alles wird gut Max. Denk einfach an glückliche Erinnerungen. Momente in denen du fröhlich warst."

Ich wusste zwar, dass sie mich nicht hören konnte, aber das war mir egal. Ich zitterte am ganzen Körper, als ich wieder aufstand. Ich fing wieder an, durch den Dachboden zu dackeln. Einfach an einer Stelle sitzen bleiben konnte ich gerade nicht. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Nur ein einziger kleiner Fehler, und Max wäre tot.

Nach einer Weile rannte ich wieder rüber zum Fenster und blinkte mit der Taschenlampe. Doch aus irgendeinem Grund kam keine Antwort von Erica. Plötzlich hörte ich hinter mir Geräusche.

Bitte lass es Erica sein

Ich drehte mich um, und mein Herz setzte einen Schlag aus.

The freak and the lonerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt