Kapitel 3

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Seine Sicht

Wir lachten uns schlapp über unseren Streich an Henrik. Auch dann noch, als Liva uns genervt ansah und Henrik einige Servietten reichte, damit er den Tee aufwischen konnte. Sie verdreht in unsere Richtung noch einmal die Augen und versank dann wieder mit Marit in ein Gespräch. Und ich wand mich wieder meinem Essen zu und sah nicht mehr wirklich auf, bis Marit und Liva sich verabschiedeten, um sich für die Party fertig zu machen. Ich sah auf meine Uhr. Es war bereits 18:30 Uhr und 19:00 Uhr sollte es los gehen. Ich hatte schon viele dieser Partys erlebt. Von den Trainern erlaubt und nicht erlaubt. Häufig endeten diese Partys mit blöden Streichen oder den Italienern und Franzosen streitend über den Wein. Die Streit Enden waren mir am liebsten, weil sie auf einer ganz anderen Art unterhaltsam waren. Bei dem ersten Streit den ich erlebt hatte, hatte ich nichts kapiert. Mittlerweile stand ich immer nur lachend daneben und machte Fotos, um sie im WhatsApp Chat mit den Franzosen hochzuladen.

Emil, Johannes, Henrik und ich würden direkt vom Essen zur Party gehen, vermutlich begleitet von Vetle und Erlend. Bei Ole waren wir uns noch nicht so sicher, da allgemein die Vermutung bestand, dass eine gewisse Belarussin wohl großes Interesse an ihm haben würde. Ich erinnere mich noch genau an den Moment, indem Siegfried die beiden beim knutschen erwischt hatte und völlig überfordert beim Team Meeting saß und keinen graden Satz herausbekommen hatte. Es war auch heute noch unfassbar lustig.

Wir liefen über den Hotelparkplatz, um in eine kleine Skihütte auf der gegenüberliegenden Seite des Hotels zu kommen und betraten dann die Hütte, in der schon ordentlich gefeiert wurde. Ich musste grinsen. Vermutlich hatten die jungen Sportler nicht mehr warten wollen und schon begonnen zu feiern. Ich setzte mich mit den anderen an die improvisierte Bar und bestellte mir eine Cola. Alkohol würde erst zur Abschlussfeier ausgeschenkt werden.

Eine ganze Weile saßen wir einfach an der Bar, bevor wir uns in die Menge mischten. Ich traf einige Leute, die ich schon lange nicht mehr gesehen hatte, lernte aber auch eine ganze Menge, vor allem Nachwuchssportler kennen. Einige Minuten später kündigte Martin Fourcade an, es würde Karaoke geben und ich lachte mich schon fast tot, als ich nur sah, wie mein Bruder zusammen mit Emil auf die Bühne stieg. Die beiden waren sich für nichts zu schade. Vermutlich hätten sie mich mitgeschleift, hätten sie mich gesehen. Mein Blick schweifte durch den raum und mein Lach Flash wurde noch schlimmer, als ich sah, dass Henrik den Song auswählen würde. Er würde sich sicher für die Aktion beim Essen rächen. Und so kam es, dass die beiden nur wenige Minuten später aus vollem Hals Celine Dion sangen. Ein Bild für die Götter. Nach der Gesangseinlage der Beiden machte ich mich auf den Weg nach draußen, um etwas frische Luft zu schnappen. Ich ließ mich auf eine Bank in der Nähe der Hütte fallen, ohne zu bemerken, dass dort schon jemand saß.

„Ich hätte nicht gedacht dich hier draußen zu sehen." Riss mich Livas Stimme aus der Stille.

Überrascht sah ich sie an. Ich hatte sie genauso wenig hier draußen erwartet.

„Das kann ich nur zurückgeben." Sagte ich an sie gewandt.

„Na, ich bin kein großer Fan von Partys. Eigentlich dachte ich, dass weniger Leute kommen würden und ich mich wohler fühlen würde, aber das hat nicht so gut geklappt." Sie lächelt, bevor sie hinzufügt: „Und außerdem wollte ich mir den singenden Emil nicht antun. Davon hätte ich Albträume bekommen."

Ich muss grinsen. Es ist schon lustig, wie die beiden sich gegenseitig hochnehmen. Aber ich habe das Gefühl, dass noch etwas nicht stimmt.

„Und sonst ist alles okay? Du siehst nicht so glücklich aus."

„Ach, ich bin nur aufgeregt. Das ist die erste Weltmeisterschaft, bei der ich als Favoritin anreise. Ich habe Angst zu versagen." Ihre Stimme brach.

Ich konnte mich gut an die Saison 2010/11 erinnern. Ich war damals so alt gewesen, wie Liva es jetzt war. Ich war ebenfalls Favorit gewesen und wenn ich heute darüber nachdachte, hatte ich es ganz gut gemeistert. Ich war drei Mal Weltmeister geworden und hatte zwei Mal Bronze gewonnen. Ich hatte in allen Disziplinen abgeräumt und war am Ende der Saison jüngster Gesamtweltcupsieger geworden.

„Komm mit, wir gehen ein Stück und ich erzähle dir was." Forderte ich sie auf.

Sie steht auf und wir laufen in Richtung Stadtmitte von Oberhof. Und ich beginne ihr von meinen Ängsten vor eben jener Weltmeisterschaft zu erzählen. Ich hatte große Angst gehabt, zu versagen, aber es war Ole Einar gewesen, der mich auf den Boden zurückgeholt hatte. Er hatte mir klar gemacht, dass es nicht schlimm wäre, nicht den vollen Erwartungen zu entsprechen. Gerade diese Unvollkommenheit wäre es, die mir die Freiheit in meinem handeln geben würde. Und er hatte recht gehabt. Ich hatte nicht überall Gold geholt, aber ich war Weltmeister geworden. Und an diesen Worten hing meine Karriere: „Unvollkommenheit ist eine Form der Freiheit." Die Freiheit auch mal einen schlechten Tag zu haben.

Liva sah mich an und sagte am Ende meiner Geschichte: „Ich wusste gar nicht, dass Ole Einar so ein Poet ist." Sie lächelte mich an.

Danach gingen wir still nebeneinander her durch Oberhof. Es war immer besonders schön irgendwo zu sein, wenn die Vorweihnachtszeit war und eine WM direkt vor der Weihnachtspause, machte es noch einmal speziell.

„Es ist wunderschön. Ich sollte häufiger durch die Orte laufen, an denen ich Wettkämpfe habe." Riss mich Liva aus den Gedanken.

„Was? Du schaust dir nicht die Orte an, an denen du bist?" ich sah sie verwundert an. Ich tat das immer.

„Nein. Ich habe immer angst meinen Fokus zu verlieren." Sie sah mich beinahe beschämt an.

„Aber im Moment habe ich eher das Gefühl, dass sich mein Fokus verbessert." Schiebt sie noch schnell nach, bevor sie auf ihr Handy sieht.

„Ich glaube, wir sollten langsam zurück." Sagt sie an mich gewandt.

Ich nicke nur und wir machen uns auf den Weg zurück ins Hotel. Vor der Hoteltür umarmt sie mich und sagt: „Danke, Tarjei. Du hast mir wirklich geholfen. Wir sollten diesen Spaziergang wiederholen. Hast du morgen Abend schon was vor?"

Überfordert, von ihrer Einladung sehe ich sie an.

„Klar, ich habe morgen Zeit. Nach dem Essen?" bringe ich stotternd heraus und sie nickt, bevor sie mit einem Lächeln auf den Lippen im Hotel verschwindet. Ich bleibe noch einige Minuten stehen und weiß nicht so recht, was ich von der Situation halten soll. Ich hoffe einfach nur, dass Emil nicht davon mitbekommt.

Ufullkommenhet er en Form av FrihetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt