Kapitel 28

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Ihre Sicht

Der Startschuss ertönte und ich schob mich mit kräftigen Doppelstockschüben in eine gute Position auf der Loipe. Alle meine Kraft konzentrierte sich darauf ein gutes Rennen zu liefern. Ich wusste, dass ich ein gutes Ergebnis liefern konnte. Ich war eine gute Distanzläuferin. Innerlich kochte ich. Die letzten zwei Rennen waren nicht gut verlaufen und ich wollte mir zum Abschluss noch einmal beweisen, dass ich es konnte. Ich wollte zeigen, dass ich zurecht die Führende im Gesamtweltcup war. Die 30km waren dafür zwar nur wenig geeignet, aber ich wollte sie trotzdem nutzen. Ich lief und hatte auch eigentlich das Gefühl, dass alles gut lief. Zumindest, bis ich zum ersten Mal an Inga vorbeikam. Es musste nach gut 5km gewesen sein.

„Liva, 40 Sekunden auf Eins." Schrie mir meine Trainerin zu.

Verdammt. Schon 40 Sekunden nach nur 5 Kilometern. Wenn das auf jeden der folgenden 5km genauso laufen würde, wäre ich am Ende bei mindestens 4 Minuten Rückstand. Das würde nie für eine Medaille reichen. Mein Körper fühlte sich langsam schwerer an. Aber ich konnte noch nicht erschöpft sein. Ich hatte wahrscheinlich gerade einmal 9km geschafft. Ich durfte nicht noch weiter zurückfallen. Ich musste einige Sekunden aufholen.

„1:50 auf Marit, Liva. Versuch dein Tempo zu erhöhen." Einer der Betreuer rief mir die Zwischenzeit nach 9km zu. Ich verstand gar nicht, warum ich so weit zurück lag. Ich fühlte mich doch eigentlich gut. Und eigentlich waren auch meine Skier gut präpariert. Ich verstehe nicht, was hier los ist. Ich laufe weiter. Ich versuche alles um irgendwie meine Zeit zu verbessern. Ich laufe die Kilometer ab. Ich weiß nicht mal, wie viele Kilometer ich schon weghabe

„Liva, 20km sind durch. Du liegst gut 5 Minuten hinter Marit." Inga ruft mir meine Zeit.

„Liva, passt die Kondi noch oder willst du aufhören?" Ihre Frage war für mich völlig unverständlich.

Ich zeigte ihr schnell einen Daumen nach oben um zu signalisieren, dass ich weiterlaufen würde. Das Rennen abzubrechen war keine Option. In den Medien war man tot, wenn man aufgab und ich wusste, dass mir die Auseinandersetzung mit der Presse mehr Kraft kosten würde, als die letzten 10km. Ich gab alles, aber ich merkte schon bald, wie ich kämpfen musste. In meinem Körper machte sich ein Gefühl von Übelkeit in meinem Körper breit. Als wolle mein Körper irgendeinen Dämonen vertreiben. Aber ich wollte nicht aufgeben. Nicht in einem olympischen Rennen. Ich wollte es ins Ziel schaffen. Egal wie. Die Zwischenzeit, die ich einen Kilometer vor dem Ziel bekam, frustriete mich zwar, aber ich wollte es schaffen. Mir wurde für einen Moment schwarz vor Augen. Ich schaffte es mich wieder ins hier und jetzt zurück zu bringen. Es waren nur noch wenige Meter bis zum Ziel. Meine Beine wurden schwer, mein Körper wollte nicht mehr. Ich schaffte es über die Ziellinie, dann viel ich einfach nur noch. Vor meinen Augen wurde es schwarz und ich sank in erlösende Schwärze.

Immer wieder spielte sich das Rennen vor meinen Augen ab. Ich wusste immer noch nicht, was schiefgelaufen war.

Mein Bruder, der immer noch nervös vor mir in meinem Zimmer herumlief, war da schon weiter.

„Herregud Ingrid! Wie kann man nur so leichtsinnig sein? Was hast du von Anfang an gelernt? Du musst auf deinen verdammten Körper hören. Wenn du so weiter machst, kannst du deine Karriere in zwei Jahren an den Nagel hängen." Emil war unfassbar sauer auf mich.

Ich wusste nicht wie ich ihm erklären konnte, was in mir vorgegangen war. Ich wusste es ja selbst nicht genau.

„Emil, ich weiß es doch selbst nicht. Ich kann dir nicht erklären, was in mir vorgegangen ist. Es tut mir unfassbar leid. Vor allem, weil du deine Flower Ceremony verpasst hast." Ich sehe ihn entschuldigend an.

„Ingrid, mach dir wegen den Blumen keine Sorgen. Ich möchte nur, dass du besser auf dich aufpasst." Er sah mich an und nahm mich dann fest in den Arm, bevor er sich von mir verabschiedete.

Bevor er aus der Tür trat sah er mich noch einmal zu mir drehte.

„Ach und ruf Mama und Papa an, die machen sich Sorgen." Er grinste und verschwand dann aus meinem Hotelzimmer.

Allerdings stand Inga nur wenige Minuten später in meinem Zimmer. Es war mittlerweile schon ziemlich spät am Abend, aber ich war einfach nur froh, dass es mir wieder gut ging, weshalb ich das Gespräch mit Inga über mich ergehen ließ. Es lief dabei ähnlich ab wie bei meinem Gespräch mit Emil. Inga hielt mir 20 Minuten einen Vortrag darüber, dass ich mich nicht überschätzen durfte und dass ich auf meinen Körper zu hören hatte, wobei sie betonte, dass es keine Schande wäre, auch mal etwas Abzubrechen. Danach wollte sie noch einiges klären.

„Okay Liva, ich habe noch zwei Fragen, dann lasse ich dich in Ruhe. Erstens, kommst du morgen mit zur Abschlussfeier ins Stadion?" sie sieht mich an.

Ich weiß, dass Marit morgen die Fahne tragen darf, weil sie zur erfolgreichsten Olympioniken ever geworden ist. Aber ich hatte schon mit ihr geklärt, dass ich nicht mitkommen würde.

„Nein." Ich antworte mit einem Wort um Diskussionen zu vermeiden.

„Das ist in Ordnung. Bei meiner zweiten Frage lege ich dir aber ans Herz ja zu sagen. Das deutsche Fernsehen hat für ein Interview angefragt. Du solltest hingehen."

Ich nickte nur und stimmte damit Ingas Vorschlag zu.

Und so kam es, dass ich am nächsten Nachmittag, nach einer Nacht, in der ich zum ersten Mal seit langem wieder gut geschlafen hatte, im Studio des deutschen Rundfunks saß. Ich saß einer blonden Moderatorin gegenüber und zunächst lief auch erstmal alles ganz gut. Sie stellte mir allgemeine Fragen und auch einige zu den Spielen, bevor sie auf den gestrigen Tag zu sprechen kam.

„Ingrid, wir haben mit einigen unserer Experten über das gestrige Rennen gesprochen und unser Dopingexperte meinte, dass es durchaus an Doping liegen könnte, was gestern passiert ist. Seiner Einschätzung nach sind solche Leistungsschwankungen, wie du sie hattest fast nur durch Doping zu erklären. Also? War Doping im Spiel?"

Ich sehe die Moderatorin schockiert an und weiß für einige Momente nicht, was ich sagen soll. Und diese Tatsache macht sich die Moderatorin sofort zu nutze.

„Naja, keine Antwort kann ja auch eine Antwort sein." Sie grinst mich blöd an.

Mir wird übel. Trotzdem versuche ich mich noch in einer Antwort.

„Zunächst einmal, möchte ich hier festhalten, dass meine Leistungsschwankungen nichts mit Doping zu tun haben. Und sollte es bei mir jemals zu einem positiven Dopingbefund kommen, dann werde ich meine Karriere sofort an den Nagel hängen. Bei Doping habe ich eine Nulltoleranzpolitik." Danach stand ich auf und Verschwand aus dem Studio. Ich konnte einfach nicht fassen, was gerade passiert war.

Ufullkommenhet er en Form av FrihetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt