Kapitel 18

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Ihre Sicht

Ich führte wieder im Weltcup. Es kam mir surreal vor. Ich hatte nicht erwartet, dass es diese Saison wieder gut laufen würde. Nicht nachdem, wie die Vorbereitung gelaufen war. Ich hatte die Wettkämpfe im Sommer nicht mit Absicht ausfallen lassen, wie ich es in der Presse aussehen ließ. Ich hatte einfach keine Kraft gehabt. Nachdem ich zu meinen Eltern nach Trondheim gefahren war, war ich dort für die ganze Saisonvorbereitung geblieben, anders als ich es erwartet hatte. Zwischen mir und Emil herrschte noch immer eine eisige Stimmung, aber immerhin redeten wir wieder miteinander. Unsere Beziehung war zwar nicht mehr so stark wie noch vor einiger Zeit, aber wir tasten uns langsam voran. Unsere Eltern hatten nicht nachgefragt. Sie hatten das Chaos in unserer Beziehung einfach hingenommen und hatten es mit einem Streit unter Geschwistern abgetan. Sie hatten auch nicht nachgefragt, was bei mir los war. Sie hatten mir nur zu verstehen gegeben, dass ich immer zu ihnen kommen konnte, wenn ich reden wollte. Ich hatte das Angebot nicht angenommen. Ich hatte es in mich hineingefressen. Ich hatte trainiert, ich hatte mein Studium mit einem Fernstudiums Semester weitergeführt und ich hatte viel gelesen. Außerdem hatte ich Zeit in der Natur verbracht und über mich selbst nachgedacht. Irgendwann war ich mir dann darüber klar geworden, dass ich mich zwar verliebt hatte, ich aber nichts dagegen tun könnte, dass Tarjei nicht genauso fühlte. Von da an war es bergauf gegangen. Meine Werte im Training waren besser geworden und es ging auch mir selbst immer besser. Ich konnte die Gefühle für Tarjei zwar nicht abstellen, aber ich konnte mit ihnen umgehen. So hatte ich es geschafft wieder ich selbst zu werden, zumindest fast. Ich war immerhin noch immer ungeschlagen über die 10km Distanz, eine Tatsache, die ich noch immer nicht ganz realisieren konnte. Im Moment war es kurz vor Weihnachten und ich war froh, dass ich erstmal eine Pause vom Weltcup haben würde. Ich hatte zwar unglaublich viel Spaß und auch viel Erfolg, aber die Presse ging mir unfassbar auf die Nerven. Von keiner Stelle ging so viel Druck aus wie von der Presse. Naja, vielleicht von mir selbst, aber in der Presse wurde jedes rennen von mir, dass nicht auf dem Podest endete als schlechtes Ohmen abgestempelt.

Aber jetzt war erstmal Weihnachten. Ich freute mich unglaublich auf die Zeit zu Hause und auf meine Familie. Und ich hoffte innerlich darauf, dass ich endlich den Zwist mit Emil begraben könnte.

Ich flog direkt von Tobach nach Trondheim und würde nicht erst wie sonst Zwischenstation in Oslo machen. Diese Entscheidung war der Tatsache geschuldet, dass ich bereits am 28.12 wieder in Lenzerheide sein musste, um mich erfolgreich bei der Tour de Ski schlagen zu können. Deswegen wollte ich die 10 Tage, die ich hatte auch wirklich nutzen. Emil würde mit Sam erst einen Tag nach mir ankommen, was hieß, dass ich einen Tag lang Zeit hatte mir zu überlegen, wie ich mit Emil umgehen wollte, oder vielleicht auch mehr, wenn ich es etwas aufschieben würde mit ihm zu sprechen. Und so kam es auch. Ich schaffte es, bis zum 23ten nur das Nötigste mit Emil zu sprechen und eher Zeit mit meiner Mutter oder alleine zu verbringen.

Ich hatte großen Spaß daran gehabt das Haus mithilfe von auf dem Herd kochenden Orangenscheiben und Cranberrys mit Zimt zum Duften zu bringen und Unmengen Kekse zu backen. Und auch das Aussuchen und dekorieren des Weihnachtsbaums brachte mich für einige Tage auf andere Gedanken, wofür ich dankbar war. Zum ersten Mal seit Monaten war Tarjei nicht ständig in meinem Kopf und ich konnte mich wieder ein bisschen mehr auf mich selbst konzentrieren. Und auch die Zeit, die ich mit Emils Verlobter Samantha verbrachte, war für mich von großer Bedeutung. Ich hatte nie Unmengen an Freunden gehabt und ich tat mich eigentlich sehr schwer neue Menschen kennenzulernen, aber zwischen Sam und mir hatte es sofort gepasst.

Doch meine gute Weihnachtsstimmung wurde am 23ten von meiner Mutter getrübt. Während des Abendessens sprach sie das unvermeidbare an.

„Also, ich weiß ja nicht, was zwischen euch los ist, Emil und Liva, aber ich habe keine Lust, dass ihr euch den Rest der Feiertage so anschweigt, wie ihr das gerade macht. Geht hoch in eines eurer Zimmer und kommt erst wieder runter, wenn ihr das geklärt habt. Haben wir uns verstanden?" unsere Mutter sah uns streng an und wir nickten beide nur, bevor wir in Emils Zimmer verschwanden.

Dort angekommen schwiegen wir uns eine Weile an. Keiner von uns schien zu wissen, wie er dieses Gespräch anfangen sollte. Irgendwann fasste ich mir ein Herz.

„Es tut mir leid. Weißt du. Ich hatte das nicht geplant. Das zwischen mir und Tarjei ist einfach passiert. Ich kann nicht mal richtig erklären warum." Ich nuschle ziemlich herum.

„Eigentlich muss ich mich entschuldigen." Emil sieht mich an, bevor er weiterspricht.

„Ich hätte erkennen müssen, dass du erwachsen bist und für dich alleine entscheiden kannst." Es scheint ihm wirklich leid zu tun.

„Naja. Es ist jetzt auch eigentlich egal. Das zwischen Tarjei und mir ist vorbei." Ich sehe Emil an.

Er nickt nur leicht und nimmt es zur Kenntnis. Ich weiß, dass er sich gerade wieder vorwürfe macht.

„Ach so und wegen der Sache von damals. Bitte denk nie wieder, dass du meine Karriere oder irgendwas in meinem Leben ruiniert hast. Bei mir passt alles und alles ist gut so wie es gerade ist. In Ordnung?" es ist mir wichtig, dass Emil endlich mit seinen Schuldgefühlen abschließt.

„In Ordnung. Dein Leben ist super so wie es ist. Und ich mache mir keine Vorwürfe mehr wegen damals." Er lächelt kurz und schließt mich dann in die Arme.

Ich weiß sofort, dass ich meinen großen Bruder wieder habe und es fühlt sich unfassbar gut an. Erst jetzt merke ich, wie sehr er mir wirklich gefehlt hat.

Zusammen begeben wir uns zurück in das Esszimmer und setzen uns wieder zu en anderen. Meine Mutter sieht stolz aus und ich muss schon zugeben, dass sie mal wieder recht hatte. Reden war eine wirksame Lösung.

So kam es, dass auch die nächsten tage einfach nur schön wurden. Ich alberte viel mit Emil und Sam herum und auch sonst waren diese Weihnachten mit die schönsten der letzten Jahre. Wäre da nicht Tarjei, der sich immer wieder in meine Gedanken schob.

Ufullkommenhet er en Form av FrihetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt