Seine Sicht
Die Mixed Staffel hatte meinen Kopf zerstört. Das Fotofinish war zu unseren Gunsten ausgegangen. Auch wenn ich als Sportler nicht hatte sagen können, ob nun Emils Fuß oder der von Martin Fourcade zuerst über die Ziellinie gekommen war. Die Jury hatte Emil vorne gesehen. Die Franzosen verständlicher Weise Martin. Das sie unseren Sieg deshalb anfechten würden hatte ich aber auch nicht erwartet. Jetzt mussten wir wahrscheinlich Tage auf eine Entscheidung warten. Ich konnte es einfach nicht fassen. Warum musste sowas bei den olympischen Spielen passieren?
Die Laune von mir, Sanna, Marte und Emil war im Keller. Emil und ich schleppten uns gerade durch die Gänge unseres Hotels um zum Abendessen zu kommen. Wir redeten kein Wort und wir beide wussten, dass unser Traum von einer Medaille platzen konnte. Wir waren zwar schon Olympiasieger mit der Staffel geworden und Emil hatte auch zahlreiche andere Olympiamedaillen gewonnen, trotzdem wollten wir diese Medaille haben.
Als wir den Speisesaal betraten, stürmte eine Person auf uns zu und viel Emil um den Hals. Es war Liva.
„Herzlichen Glückwunsch großer Bruder. Und? Wie fühlt es sich an schon wieder Olympiasieger zu sein?" sie hat sich mittlerweile wieder von ihm gelöst und sah ihn jetzt lächelnd an.
„Ingrid, wir sind noch nicht Olympiasieger. Die Franzosen haben unseren Sieg angefochten." Man merkt sofort, dass Emil immer noch angefressen war. Immerhin nannte er seine Schwester mal wieder Ingrid.
„Oh, dass habe ich nicht gewusst. Was ist passiert?" sie sieht uns an.
„Die Franzosen haben Einspruch gegen unseren Sieg eingelegt. Jetzt wird nochmal geprüft. Und wenn wir Pech haben, dann ist die Medaille weg." Emil ist unfassbar sauer.
Liva schaut ihn bestürzt an und sieht aus, als wüsste sie nicht, wie sie reagieren sollte. Dann fällt mir etwas ein. Liva hatte ja heute auch schon einen Wettkampf gehabt wir wussten gar nicht, wie es gelaufen war.
„Wie ist es eigentlich bei dir und Marit gelaufen?" ich sehe sie an.
Doch bevor sie antworten kann greift Emil ein.
„Oh mein Gott, Liva. Es tut mir so leid. Ich habe total vergessen, dass du ja auch ein Rennen hattest." Er sieht sie an.
Und Liva sieht wieder aus, als ob sie nicht wüsste wie sie reagieren sollte. Sie druxt eine Weile herum, bevor sie schüchtern antwortet.
„Ganz knapp vor den Amerikanerinnen gewonnen." Schiebt sie dann leise hinterher.
Man merkt. Dass sie sich nicht vor ihrem Bruder freuen will, wo er doch um seinen Sieg bangen muss. Doch Emil reagiert wie von mir erwartet. Er schnappt sich Liva und nimmt sie ganz fest in den Arm. Nachdem er sie abgesetzt hat, gratuliere auch ich ihr. Dann begibt sie sich zurück zu ihrem Team und Emil und ich begeben uns zu unserem Team. Wir setzen uns und alle essen einfach schweigend. Die Stimmung ist unterirdisch, während bei den Langläufern die Party läuft. Ich weiß, dass wir uns eigentlich, vor allem für Liva, freuen sollten, aber es will nicht wirklich klappen.
Wenig später bin ich dann auf dem Zimmer von mir und Johannes. Glücklicherweise hält sich Johannes mit Aufheiterungsversuchen zurück. Das wäre das Letzte, was ich jetzt noch bräuchte. Unter der Dusche prasselt dann nicht nur das Wasser auf mich ein, sondern auch alle Gedanken. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich auch einen großen Anteil daran hatte, dass wir dieses Fotofinish erst bekommen haben. Hätte ich schneller geschossen, und wäre schneller gelaufen, dann hätte Emil Martins Fehler vielleicht besser nutzen können. Es war schon zu großen Teilen meine Schuld.
Und diese Gedanken wollten mich einfach nicht loslassen. Auch dann nicht, als ich am Start für den Einzel stand. Trotzdem lief mein Rennen zunächst wiedererwartend gut. Das erste Liegendschießen ging schnell und ich konnte alle Scheiben abräumen. Beflügelt, von diesem ersten Erfolg machte ich mich auf die Runde. Ich lief. Ich wollte es einfach schaffen. Dann kam das zweite Schießen. Ich traf wieder alle Scheiben. Wäre es ein Sprint, hätte ich jetzt alle Chancen auf den Sieg. Aber ich musste noch zwei Mal schießen. Und auch auf der Strecke lief es weiterhin gut. Ich fühlte mich frisch und einfach nur gut. Dann kam das letzte Liegendschießen. Ich konnte wieder alle Scheiben abräumen. Ich konnte meinen Traum erfüllen. Den Traum von einer Einzelmedaille manifestierte sich immer weiter. Er konnte in Erfüllung gehen. Auf der Strecke lag ich weiter sehr gut, was bedeutete, dass ich mit einem guten Schießen alles sichern konnte. Dann kam ich zum letzten Schießen. Noch einmal stehend Schießen und ich konnte etwas gewinnen.
Ich begab mich in den Anschlag. Ich vergrub mich hinter meinem Diopter und fokussierte die Scheiben. Ich dachte an die Mixed Staffel. Ich war mit schuld an der Misere. Ich schoss. Fehler. Verdammt. Ich fokussierte die Scheiben wieder. Ich verfehlte erneut. Danach schoss ich einfach. Die letzten drei Scheiben räumte ich dann doch noch ab, aber ich wusste, dass ich die Chance auf eine Medaille gerade vergeben hatte. Meine Laufform war nicht gut genug, um die Strafminuten noch herauszulaufen. Trotzdem wollte ich im rennen noch das Beste daraus machen. Am ende landete ich völlig abgeschlagen auf dem dreizehnten Platz. Mein Kopf hatte es kaputt gemacht. Ich hatte es kaputt gemacht.
Auf der Anzeigentafel sah ich dann jedoch etwas, dass mich glücklicher machte. Johannes lag auf der ersten Position. Er würde Olympiasieger werden. Trotzdem fühlte ich mich furchtbar. Die Interviews machten es dann auch nicht besser. Überall die gleichen fragen und auch die gleichen Vorwürfe. Ich wollte eigentlich nur gehen, aber ich musste Johannes unbedingt finden um ihm gratulieren zu können. Ich freute mich einfach unfassbar für ihn. So schlimm es für mich selbst gerade war, so sehr freute ich mich och für Johannes.
In der Nähe des Zieleinlaufes sah ich ihn und nahm ihn in den Arm. Ich spürte wie ihm Tränen die Wangen hinunter liefen.
„Du hättest gewinnen sollen. Ich sollte auf Platz 13 liegen und du solltest der Sieger sein." Schniefend sieht er mich an.
Jetzt fange ich auch an zu weinen.
„Johannes, jetzt sollst du dich über das Gold freuen. Genieße den Moment. Das ist der größte Augenblick deiner Karriere, und ich bin unglaublich stolz auf dich."
Ich meinte es, wie ich es sagte. Ich war zwar von mir selbst unfassbar enttäuscht, aber jetzt sollte es um Johannes gehen. Ich würde noch weitere Chancen bekommen.
Ich legte meinen Arm um Johannes und wir machten uns auf den Weg in das Athletenhotel.
„Verdammt, Johannes, lass uns jetzt einfach dieses Gold feiern." Ich sah ihn an und schob für einen Moment meinen eigenen Frust an die Seite.
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Ufullkommenhet er en Form av Frihet
FanfictionSie ist die kleine Schwester seines besten Freundes. Die Sache ist klar. Sie ist Tabu. Doch schon das erste Treffen ändert alles.