Seine Sicht
Ich ließ die Athletenabschlussfeier sausen. Ich war einfach nicht in Feierlaune. Auch deshalb saß ich jetzt seit circa 20 Minuten auf einer Bank vor dem norwegischen Haus und dachte nach. Es war nur irgendwie nichts dabei rumgekommen. Ich wollte gerade aufstehen und gehen, als sich eine Person neben mich auf die Bank fallen ließ und ein Schluchzen an mein Ohr drang. Obwohl Schluchzen eher untertrieben war. Es war ein unkontrolliertes Weinen. Ich drehte mich zu der Position und stockte. Es war Liva, die neben mir saß und anscheinend gar nichts um sich herum mitbekam. Ich konnte mich nicht zurückhalten und tippte sie an.
„Liva, alles in Ordnung?" ich sah sie an.
„Oh Gott, ich habe dich gar nicht bemerkt. Tut mir leid." Sie sieht mich schniefend an.
„Hey, alles gut. Was ist los?" ich sehe ihr dabei zu, wie sie sich die Tränen aus den Augen wischt.
„Ich hatte gerade ein Interview beim deutschen Fernsehen. Die haben mir allen ernstes Doping vorgeworfen. Ich habe absolut keine gute Figur gemacht, weil es mich so überfordert hat." Sie sieht mich an.
Und ich nehme sie einfach in den Arm um sie etwas zu trösten.
„Und was ist mit dir? Warum bist du nicht bei der Party? Müsstest du nicht mit Johannes und Emil irgendwelchen Schwachsinn anstellen?" sie grinst leicht
„Vermutlich schon. Ich bin nur einfach nicht in Feierlaune." Ich will nicht als völliger Versager dastehen.
„Es ist wegen deiner Ergebnisse. Oder?" sie hat mich mal wieder durchschaut.
„Ich bin einfach so unfassbar enttäuscht von mir. Ich war so nah dran. Ich habe die ganzen Jahre darauf hingearbeitet. As sind meine dritten Spiele und ich habe einfach nur Angst, dass ich meine letzte Chance vertan habe." Ich lege ihr meine Zweifel auf den Tisch.
„Das tut mir so leid. Weißt du, ich hatte bis grade das Gefühl, dass ich meine Spiele voll verhauen habe, weil ich nicht in allen rennen performt habe. Aber grade fühle ich mich einfach nur schlecht, weil ich so denke und es dir eigentlich viel schlechter geht."
Wir schweigen uns eine Weile an, aber Liva bleibt einfach in meinen Armen liegen.
„Weißt du Tarjei, ich glaube, dass du es nochmal zu den Spielen schaffst. Und ich glaube auch, dass du deine Einzelmedaille gewinnen wirst. Eigentlich bin ich mir sogar sehr sicher, dass du das Schaffen wirst."
„Wie kannst du dir sicher sein? Bist du unter die Hellseher gegangen?" ich versuche etwas meine Unsicherheit zu verbergen.
„Nein. Astrologie und sowas gehört nicht zu meinen Stärken, ich habe es einfach nur im Gefühl. Du bist nach Rückschlägen bisher immer zurückgekommen, also warum jetzt nicht auch?" sie ist echt optimistisch geworden.
Ich sehe sie an. Sie wirkt irgendwie klein und völlig fertig mit der Welt.
„Ich habe im Sommer gehört, was du gesagt hast, als ich das mit uns beendet habe." Ich kann nicht mal erklärend woher es kommt, dass ich diese Tatsache zugebe.
„Was? Was meinst du?" sie schaut zu mir hoch.
„Du hast gesagt, dass du dich in mich verliebt hast. Ich hätte dich nicht einfach stehen lassen dürfen. Das tut mir wirklich leid." Ich spreche das aus, was mir seit der ganzen Saison auf dem Herzen liegt.
„Es war richtig Tarjei. Wenn du es nicht so gefühlt hast, hättest du mir was vorgemacht und das hätte es auch nicht besser gemacht. Es wäre für mich wahrscheinlich nur schlimmer geworden." Sie sieht mich an.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich zugeben sollte, dass ich genauso gefühlt habe wie sie.
„Ich habe das Gleiche gefühlt. Ich war nur der Überzeugung, dass es falsch wäre dem ganzen eine Chance zu geben." Ich sehe den Schock in ihren Augen.
„Das ist jetzt nicht dein Ernst. Oder? Weißt du wie schlecht es mir ging? Ich hatte im Training Werte, mit denen hätte ich nicht mal im Conti-Cup starten können. Ich habe gebraucht darüber hinweg zu kommen und jetzt sagst du mir, dass du einfach nur Angst hattest? Verdammt Tarjei."
Zwischen uns breitete sich eine unangenehme Stille aus und ich bereute es immer mehr sie im Sommer stehengelassen zu haben. Doch Liva sah diese Tatsache anscheinend anders.
„Du solltest manchmal einfach ein bisschen egoistisch sein." Sie sieht mich an.
„Wie meinst du das?"
„Ich meine, dass du manchmal einfach ignorieren solltest, was andere denken."
„Hast du Stunden bei Ole Einar genommen, oder wann bist du so weise geworden?" ich sehe sie völlig überfordert an.
„Ich würde nicht sagen, dass ich weise geworden bin. Ich habe nur bemerkt, dass man ganz schnell Dinge verlieren kann, die man eigentlich nicht verlieren will." Sie sieht mich an und ich bin mir sicher, dass ich alles versuchen muss, um sie nicht noch einmal zu verlieren.
„Und was wäre, wenn ich egoistisch werden würde? Zumindest für einen Moment. Würdest du mir dann noch eine Chance geben?" ich habe Angst vor ihrer Antwort.
„Ja, würde ich. Und zwar ohne schlechtes Gewissen. Wenn es zwischen uns nicht klappt, dann soll es nicht sein, weil mein Bruder seinen Beschützerinstinkt auspackt." Sie grinst und ich sehe kaum noch eine Träne auf ihrem Gesicht.
In mir fühlt sich alles gut an. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass jetzt etwas Gutes beginnen könnte.
„Wir sollten ins Hotel gehen. Bevor wir uns erkälten. Ich will gar nicht wissen, wie lange du schon hier sitzt." Sie grinst mich schelmisch an und ich folge ihr in das Hotel, indem die gesamte norwegische Delegation untergebracht war.
„Du solltest übrigens mit zu mir kommen. Ich habe vorhin deinen Bruder und seine Freundin gesehen, wie sie ins Hotel gegangen sind." Sie grinst mich wissend an.
Vermutlich hat sie Recht mit ihrer Vermutung, weshalb ich ihr ohne Umschweife folge.
Als wir ihr Zimmer betreten, welches sie sich mit Marit Bjørgen teilt, schlägt mir ein ähnliches Chaos wie bei mir und Johannes entgegen, aber irgendwie wirkt es bei ihnen trotzdem ziemlich heimlich.
Liva wirft mir ein Handtuch zu und ich nutze die Einladung und springe unter die Dusche, da es draußen schon kalt gewesen war. Nachdem ich fertig war ging dann auch Liva duschen.
Als wir beide fertig waren, legten wir uns nebeneinander in ihr Bett und starrten einfach nur an die Decke.
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Ufullkommenhet er en Form av Frihet
FanficSie ist die kleine Schwester seines besten Freundes. Die Sache ist klar. Sie ist Tabu. Doch schon das erste Treffen ändert alles.