Kapitel 36

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Ihre Sicht

Ich hatte mit Tarjei so gut es ging mein Schießen noch einmal aufgefrischt, bevor es jetzt nach Russland ging. In den Medien wurde schon fleißig darüber spekuliert, warum Emil mit nach Tjumen flog. Immerhin hatte er die letzten beiden Weltcupstationen ausgelassen gehabt und die Verwirrung war allgemein sehr groß darüber, dass er im Aufgebot stand, aber es kam aus dem Team nichts nach draußen.

Jetzt war ich zusammen mit Tarjei auf dem Weg zum Flughafen, wo ich zusammen mit dem Biathlon Team nach Russland fliegen würde. Gleich würden wir noch Emil abholen und dann würden wir ins kalte Russland fliegen. Wenige Minuten Später war Emil dann eingestiegen und hatte uns begrüßt. Wir kämpften uns durch den Verkehr und waren eine gute halbe Stunde später am Flughafen angekommen. Wir gaben unser Gepäck auf und dann folgte ich Emil und Tarjei zum Biathlonteam. Dort wurden wir sofort begrüßt und ich lernte einen Großteil der Mannschaft kennen. Besonders die Trainer waren sehr nett und auch verständnisvoll für Emils Wunsch. Ich lernte Marte Olsbu, Tiril Eckhoff, Synnove Solemdal, Ingrid Landmark Tandrevolt und Sanna Svendson Bö, sowie Hilde Fenne kennen, sowie das starke Team der Herren, zu dem auch mein Bruder gehörte. Auf dem gut dreistündigen Flug nach Moskau erklärte mir Siegfried einige Taktiken und Dinge, die ich für das Rennen wissen müsste. Er zeigte mir die Damen, gegen die ich vermutlich laufen würde. Dazu gehörten höchst wahrscheinlich Federica Sanfilippo und Anais Chevalier, sowie auch Lisa Hauser und Vanessa Hinz.

Ich war ganz schön eingeschüchtert, da es sich bei vielen dieser Frauen um die besten Schützinnen des Feldes handelte und sie auch starke Partner hatten. Es würde also sehr schwer werden, Emil den Wunsch nach einem gemeinsamen Podest zu erfüllen. Immerhin konnte ich ihm ein gemeinsames Rennen geben.

Als wir spät am Abend im Hotel in Tjumen ankamen, bekamen Emil und ich von Patrick Oberegger den Schlüssel für unser Zimmer und ich war froh endlich ins Bett fallen zu können. Vorher hatte ich allerdings noch gemeinsam mit Tarjei zu Abend gegessen.

In den nächsten tagen lernte ich die Anlage in Tjumen kennen und erkundete mit Emil die Strecke. Ich fand die Strecke sehr angenehm zu laufen und ich kam auch halbwegs mit dem Schießstand klar, aber ich hatte unfassbare Angst vor dem Rennen. Und davor, wie Emil seinen Rücktritt überhaupt verkünden wollte. Er wollte mir einfach nicht sagen, wann er es bekanntgeben wollte.

Am tag vor dieser Single Mixed Staffel war ich unfassbar froh, dass Marit in Russland angekommen war und mich mental unterstützte. Und auch Tarjei erklärte mir noch einiges. Er würde die Mixed Staffel nicht laufen, genauso wie sein Bruder. Deshalb hatte er nach seinen Rennen auch noch Zeit mir zu helfen. Trotzdem war ich völlig fertig mit den Nerven. Und dass die Presse mittlerweile von den Startaufstellungen wusste, war auch nicht hilfreich, da alle Journalisten versuchten herauszufinden, warum ich mit Emil laufen würde. Die Spekulationen waren schon sehr wild. Trotzdem interessierten sie mich nicht weiter.

Und dann stand ich am 25. März am Start meines ersten Biathlon Weltcup Rennens und war unfassbar aufgeregt. Ich wusste, dass ich schnell laufen konnte, aber mein Schießen machte mir Sorgen. Trotzdem wollte ich mein Bestes geben. Mit dem Startschuss stürzte ich auf die Strecke. Ich hatte mit den Trainern besprochen, dass ich mir auf jeder Laufrunde Vorsprung erarbeiten sollte, damit ich beim Schießen etwas mehr Zeit haben konnte. Und diese Taktik gelang mir auch relativ gut. Zum ersten schießen hatte ich einen Vorsprung von gut 10 Sekunden, die mir Zeit gaben, mich ordentlich in den Anschlag zu begeben. Ich visierte die Scheiben an und war froh, dass ich die erste sogar traf. Danach folgten zwei Fehler, aber ich gab mir weiter Mühe die Scheiben zu treffen. Danach traf ich noch zwei Scheiben, bevor ich nachladen musste. Ich schaffte es mit meinen drei Nachladern die Scheiben abzuräumen. Aber natürlich übergab ich mit Rückstand auf Emil. In der Mixed Zone sah ich dann Tarjei, der irgendwas an Emils Handy herumspielte.

„Was machst du?" ich sehe ihn an.

„Ich lade Emils Rücktrittspost bei Instagram hoch." Grinst er nur, bevor er mir mein Treffer Bild erklärt.

Ich kann nicht glauben, dass Emil das Ganze während des Rennes bekanntgibt. Emil war schon immer besonders gewesen.

Kurze Zeit später war ich dann wieder dran. Emil hatte meinen Rückstand aufgeholt und hatte sehr schnell geschossen, weshalb ich an Position zwei, hinter Frankreich auf die Strecke gehen konnte. Bis zum Schießen war ich wieder nach vorne gelaufen und fühlte mich auch bereit zu schießen. Stehend konnte ich viel besser und das zeigte sich auch sofort. Bis zum letzten Schuss schaffte ich es auch alle Scheiben in einem ruhigen Rhythmus abzuräumen, bevor ich einmal für die letzte Scheibe nachladen musste. Ich übergab an zwei auf Emil und war bisher wirklich zufrieden mit meinem Rennen. Außerdem hatten wir auf Position 3 auch schon ein bisschen Vorsprung, was meine Fehler etwas weniger gewichtete. Druck spürte ich zum ersten Mal, als Emil auf eins an mich übergab. Ich konnte den Vorsprung vor Frankreich ein bisschen ausbauen, nutzte den Vorsprung aber auch um drei weitere Fehler zu schießen und diese dann wieder auszugleichen durch die Nachlader. Ich übergab gleichzeitig mit Anais Chevalier an Emil und ließ mir beim warten wieder mein Trefferbild von Tarjei erklären. Emil schaffte es auch bei seinem dritten Schießen ohne Fehler zu bleiben. Dann ging es für mich auf die letzte Runde. Ich hatte wieder Vorsprung auf die Franzosen mitbekommen und ihn auch ausgebaut. Ich war auf der Loipe nun mal aus gegebenen Gründen die schnellste. Dann kam ich zu meinem letzten schießen. Der Wind hatte sich etwas beruhigt und ich konnte mich hinter meinem Sichtschutz sehr gut die Scheiben fokussieren. Ich drückte in einem sehr regelmäßigen Rhythmus ab und konnte alle Scheiben treffen. Eine Tatsache die ich fast nicht glauben konnte. Ich hatte es ohne Nachlader geschafft alle Scheiben zu treffen. Aber ich war langsam gewesen, weshalb die Entscheidung an Emil hängen würde. Aber ich war mir sicher, dass er es schaffen würde. Er war über das ganze rennen sehr konstant gewesen. Trotzdem konnte ich nicht auf die Leinwand sehen, als Emil schoss. Doch Tarjei Reaktion sprach Bände. Emil war gut gewesen, aber Antonin Guigonnat war ebenfalls fehlerfrei geblieben und das Rennen würde sich auf der letzten Runde entscheiden. Ich hoffte, dass Emil noch genug Körner für die abschließende Runde hat. Und er hatte diese Körner noch. Er überquerte die Ziellinie nach einem Zielsprint nur ganz knapp vor dem Franzosen und ich realisierte zunächst einmal gar nichts. Erst Tarjei brachte mich zurück in die Realität, in dem er mich in den Zielbereich schubste, wo ich Emil einfach in die Arme fiel. Wir hatten es geschafft. Wir hatten wirklich zusammen gewonnen. Mir liefen mittlerweile die Tränen und auch Emil sah nicht so aus, als könnt er seine Tränen noch lange zurückhalten

Ufullkommenhet er en Form av FrihetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt