Eine Zeitlang klammerten sie sich nur an das rettende Stück Leben, husteten und rangen nach Atem. Dann aber rührte sich der Mann, begann sich zu bewegen. Froboscha bemühte sich ihn zu unterstützen, so gut sie es mit ihren kurzen Beinen vermochte.
„Nein!," keuchte er. „Nicht dahin. Da sind Felsen. Wir müssen dort weg!" War es denn noch nicht vorbei? Stumm und verbissen kämpften sie in der schwarzen Dunkelheit gegen den Sturm und die Wellen an, die sie immer wieder gegen die Felsen zu treiben drohten. Dieser verzweifelte Kampf hatte auch etwas Gutes: Er pumpte unablässig das Blut durch ihre erschöpften Körper, sorgte dafür, dass sie nicht völlig auskühlten, gefühllos wurden und das Brett losließen. Zugleich aber entzog ihnen die unablässige Bewegung mehr und mehr ihrer Kraft, saugte die Energie aus ihren Körpern. Plötzlich bemerkte Froboscha einen Ruck an ihrer Seite. Farlines kleine Hand hatte sich vom Holz gelöst. Jetzt rutschte auch die andere Hand ab. Der schmale Körper begann, zwischen ihnen wegzugleiten. Unabgesprochen griffen von beiden Seiten kräftige Hände zu und zogen sie wieder auf das Brett. Ihr Kopf hing willenlos zur Seite, sie war bewusstlos geworden. Froboscha sah, wie der Mensch sich bemühte, sie höher auf das Holz zu zerren, damit der Kopf nicht ins Wasser hing. Allein konnte er es nicht schaffen. Sie spannte die Muskeln ihrer Arme an, merkte einen Moment erschrocken, dass sie ihr nicht mehr gehorchen wollten, zu steif waren sie von dem langen, verkrampften Anklammern geworden. Aber dann kehrte ihre Kraft zurück. Mit einem Ruck hievte sie den zarten Oberkörper des Mädchens auf das Brett. Einen Moment drohte sie selbst, vom Brett abzurutschen, die Muskeln ihrer Arme zitterten, beruhigten sich dann aber wieder. Wie lange würde sie durchhalten können?
Langsam wurde es heller. Der Morgen dämmerte herauf. Erst nach und nach bemerkten sie, dass auch der Sturm nachgelassen hatte, die Gewalt der Wellen zurückgegangen war, dass es längst aufgehört hatte, zu regnen. Froboscha spürte jetzt, dass die Anstrengungen des Menschen, die seit geraumer Zeit erheblich nachgelassen hatten, jetzt wieder kräftiger wurden, in eine bestimmte Richtung drängten. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, da Farline zwischen ihnen lag, und er hatte schon lange nicht mehr mit ihr gesprochen, aber sie folgte seinen Bemühungen unabgesprochen in der puren Hoffnung, er wisse schon, was er tue. Und langsam erkannte sie, wohin er strebte. Vor ihnen hatte sich eine Lücke in den Riffen aufgetan, und dahinter konnte sie, weit, weit weg, Land erkennen. Weiter, immer weiter! Nicht aufgeben! Sie hoffte, dass Menschen mehr Ausdauer hatten, als man es ihr als kleines Zwergenmädchen erzählt hatte, denn sie brauchte den Mann, brauchte seine Kraft, sonst würde es ihr nie gelingen, sich selbst und Farline zu retten.
Zunächst hatte sie das Gefühl, das Land bleibe immer gleich weit entfernt, nähere sich überhaupt nicht. Dann aber, unendlich langsam, rückte der grüne Streifen näher, erlaubte es nach und nach, Einzelheiten zu erkennen. Felsen, Kies, üppige grüne Vegetation, nach hinten ansteigend, dazwischen wieder Felsen. Dass sie es wirklich geschafft hatten, merkte sie erst daran, dass sich die Bewegungen ihres Gefährten änderten und dann – oh Wunder – stießen ihre strampelnden Beine zum ersten Mal nach schier unendlicher Zeit gegen etwas Festes. Sie drängte mit aller Kraft, die ihr verblieben war nach vorne, sackte in die Knie und erhob sich wieder. Die nassen Kleider, die an ihr klebten schienen fast zu schwer für sie zu sein.
„Farline." Sie packte den schlaffen Körper der Gefährtin, zog und schleifte sie, selbst taumelnd durch das flach auslaufende Wasser den Kiesstrand hinauf, bis sie zuletzt keuchend mit ihrer Last zusammenbrach. Einen Augenblick rang sie nach Atem, genoss das Gefühl, keinen Finger mehr zu rühren. Dann stemmte sie sich auf und blickte sich nach dem Menschen um. Er verharrte immer noch im flachen Wasser, Gesicht und Oberkörper über das Holz gebeugt.
Stöhnend zwang sie ihre schmerzenden Gliedmaßen, sich erneut zu erheben und wankte zurück durch die Gischt. Sie packte ihn an der Schulter: „He! Los, komm. Es sind nur noch ein paar Schritte."
Er hob den Kopf und blickte sie mit leeren Augen an. Sein Gesicht war grau vor Erschöpfung.
„Komm," wiederholte sie.
Da richtete er sich auf und wankte taumelnd in Richtung Strand, brach in die Knie, legte das letzte Stück auf allen Vieren zurück, bevor er zusammensackte und wie ein Toter liegen blieb.
Sie seufzte. Tiere konnten vor Erschöpfung sterben, das wusste sie. Konnten Menschen das auch? Sie schüttelte den Kopf. Mehr als sie getan hatte, konnte sie nicht tun, es lag nicht in ihrer Macht. Sie quälte sich selbst die letzten Schritte zurück, ließ sich auf den Kies fallen und schloss die Augen.
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Perlenmeer Teil 2: Efferd
ПриключенияSoll man einem nachweislich schuldigen, zum Tode verurteilten Verbrecher das Leben retten, wenn man die Gelegenheit dazu erhält? Mit dieser Frage mussten sich einst zwei junge Rollenspielerinnen auseinandersetzen. Sie bildete den Kern eines kleinen...