Arved erwachte von einem Schwall eiskalten Wassers, das jemand ihm über den Kopf geschüttet hatte. Er brauchte sekundenlang, um sich zu besinnen, wo er sich befand. Ihm wurde bewusst, dass er nicht damit gerechnet hatte, noch am Leben zu sein. Warum hatte Ulgur ihn nicht umgebracht? Er tastete nach seiner Wange, wo die Faust des Piraten ihn getroffen hatte, und spürte die Schwellung. Allerdings schien das Jochbein nicht gebrochen zu sein.
Irgend jemand warf ihm ein Tuch gegen die Brust, und bedeutete ihm auf tulamidisch, sich abzutrocknen. Dann fesselte man ihm die Arme auf den Rücken und ließ ihn in dem Raum zurück. Es war ein kleiner, leerer Lagerraum, eine Art Verschlag. Durch eine hohe, oben unterhalb der Decke angebrachte Luke drang das erste Licht der Morgendämmerung.
Arved lehnte sich müde gegen die Bretterwand. In seinem Schädel dröhnte und puckerte es immer noch schmerzhaft. Er war dankbar, dass man ihn nicht zusammen mit Ulgurs Männern eingesperrt hatte. Das war das Beste, was ihm in dieser Situation noch wiederfahren konnte. Er wusste, dass er bald sterben würde. Er hatte es von dem Augenblick an gewusst, an dem er das Schiff Ulgurs des Roten erkannt hatte. Er erinnerte sich an den Augenblick des Triumphes, als sie in die Bucht eingebogen waren und die Flotte des Großfürsten in Sicht kam, und wunderte sich, wie wenig von diesem Gefühl übrig geblieben war. Tiefe Gleichgültigkeit erfüllte ihn. Er hatte das alles so überaus satt, wollte nicht mehr hoffen, nicht mehr kämpfen, sich nicht mehr verstellen. Er glitt hinüber in einen schlafähnlichen Zustand, aus dem er abrupt herausgerissen wurde, als zwei Männer ihn hochzogen, um ihn zum Verhör zu bringen.
Sein Schädel schmerzte weniger und der Schwindel hatte nachgelassen, als er sich mit Unterstützung der beiden Männer erhob und sich zurück auf das Oberdeck des Schiffes führen ließ. Dort befahl man ihm, zu warten. Da er sich nicht an die Szene in der Nacht erinnern konnte, sah er den Aufbau zum ersten Mal, erkannte jedoch in den Stickereien die großfürstlichen Embleme. Endlich wurde der Vorhang geöffnet, und der tulamidische Fürst musterte ihn mit scharfem Blick.
Arved erwiderte den Blick einen Moment lang stolz, dann aber verbeugte er sich auf die gewohnte, horasische Art.
Endlich begann der Fürst zu sprechen.
„Ihr seid also der Schwarze Korsar?"
„So nennt man mich," antwortete er.
„Wisst ihr auch, wer ich bin?"
Arved lächelte. „Ich hatte noch nicht das Vergnügen."
„Ich bin Iskandar al-Wachabi, erster der neun Wesire des Großfürsten Selo von Khunchom."
Arved hatte plötzlich das Gefühl, als sacke ihm der Boden unter den Füßen weg. Er war immer sehr beredt gewesen, hatte in jeder Situation ein kühnes Wort auf den Lippen gehabt. Jetzt, zum ersten Mal, fehlten ihm die Worte.
„Ich sehe, du weißt, mit wem du es zu tun hast,..." fuhr der Fürst fort.
Arved starrte ihn an. In seinen Ohren sauste das Blut. Ihr Vater, dachte er immer wieder. Götter, er ist ihr Vater!
„Nun? Was hast du dazu zu sagen?"
Erst zu spät wurde ihm bewusst, dass er dem Fürsten gar nicht zugehört hatte. Sein Mund war trocken, und er musste zweimal ansetzen, bevor er ein Wort herausbrachte. „Wie bitte?"
Voll Unmut zog der Wesir des Großfürsten seine edle Stirn zusammen: „Ich habe gesagt, dass ich neugierig war den Mann zu sehen, der die Kühnheit besaß, meine Tochter zu entführen, auf grausame Weise mehrere Wochen gefangen zu halten, um von mir Gold zu erpressen. Seid ihr dieser Mann?"
Arved suchte in den Zügen des älteren Mannes nach Ähnlichkeiten. Die Augen vielleicht? Der stolze Blick? Hat sie ihn so angesehen, in der ersten Zeit? Wie hatte er diesen Blick ertragen können?! Dann fiel ihm auf, dass der Fürst auf eine Antwort wartete.

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Perlenmeer Teil 2: Efferd
AdventureSoll man einem nachweislich schuldigen, zum Tode verurteilten Verbrecher das Leben retten, wenn man die Gelegenheit dazu erhält? Mit dieser Frage mussten sich einst zwei junge Rollenspielerinnen auseinandersetzen. Sie bildete den Kern eines kleinen...