* 20 *

30 6 0
                                    

Nie wieder. Also wirklich niemals wieder würde sie einen Fuß auf ein Schiff setzen, wenn sie diese Tour überleben sollte, was sie mittlerweile nicht mehr für sehr wahrscheinlich hielt. War die Fahrt auf der kleinen Bark schon nicht leicht gewesen für Froboscha, so erschien ihr das, was sie jetzt durchmachen musste ein Vorgeschmack auf die Niederhöllen zu sein. Die meiste Zeit teilte sie sich einen der Einbäume, wodurch es unmöglich war, sich auch nur einmal richtig auszustrecken. Die mitgebrachten Kokosnüsse mussten sowohl als Nahrung herhalten, als auch ihren Durst stillen. Tagsüber brannten die Strahlen des Praiosschildes unbarmherzig auf sie nieder, als wolle der Götterfürst ein Exempel statuieren und die Verbrechen der ganzen Menschheit an ihnen bestrafen. Wenn es regnete, so gab ihnen dies zwar die Gelegenheit, ein wenig Wasser aufzufangen. Andererseits wurden sie nass bis auf die Haut und froren jämmerlich. Sie schliefen abwechselnd, jeweils zwei von ihnen mussten wach bleiben, auf die Richtung achten und ihnen die Haie vom Hals halten, die seit zwei Tagen unermüdlich um sie herumscharwenzelten. Froboscha mochte es den anderen nicht eingestehen, aber sie begann allmählich an der Sinnhaftigkeit des Unternehmens zu zweifeln. Auch in Farlines Augen stand immer öfter die Hoffnungslosigkeit. Nur der Pirat schien den Mut nach wie vor nicht verloren zu haben. Obgleich er, mit den wilden, verfilzten Haaren und dem immer dichter wachsenden Bart langsam wirklich aussah, wie sich der kleine Alrik einen Pirat vorstellte, brachte er es doch immer noch fertig, sie wieder aufzumuntern. Später erzählte Froboscha allerdings meist, er habe sie erbarmungslos angetrieben, das Paddeln nicht aufzugeben und Farline fügte hinzu, dass sie nur Ruhe gehabt hätten, wenn er schlief, aber sie sagte es mit einem Augenzwinkern.


Wenn man so eng zusammenlebt, lernt man sich kennen, ob man will, oder nicht. Man erfährt, wie ausdauernd jemand ist, wie geduldig, wie geschwätzig oder wie schweigsam, wie gierig oder wie beherrscht. Aber das ist dennoch nur ein kleiner Einblick in die Persönlichkeit des anderen, ein Einblick, der nicht zeigt, was normal ist, sondern nur das Ungewöhnliche. Man denkt, man kenne ihn und spürt doch tief im Innern, dass man einer Selbsttäuschung unterliegt. So erfuhren Farline und Froboscha auch nur wenig von ihrem Begleiter, während es ihm recht gut gelang, die beiden zum Erzählen zu bewegen. Ein einziges Mal nur deutete er an, warum es ihm so wichtig war, die Insel zu verlassen. Aber mehr als den Hinweis, es gebe jemanden, der auf ihn warte, erhielten sie nicht, denn auf ihre Nachfragen lenkte er geschickt das Gespräch auf etwas anderes.


Etwa fünf Tage nach ihrem Aufbruch, als die beiden Frauen mit wenig Energie die Ruder handhabten, ohne das Gefühl zu haben, sich auch nur ein bisschen in der endlosen Gleichförmigkeit der Wellen voranzubewegen, bemerkte Froboscha am Horizont rechts von ihnen einen kleinen, beweglichen Punkt. „Farline? Siehst du das da? Rechts von uns?" machte sie die Gefährtin auf ihre Beobachtung aufmerksam.


„Was meinst du?" Farline wandte müde und erschöpft den Kopf. „Die Haie?"


„Nein, die doch nicht. Da hinten, guck doch mal!"


Farline erstarrte. „Warte, das...das ist ein Schiff!"


Froboscha kniff die Augen zusammen und bemühte sich, durch den Dunst hindurch Genaueres zu erkennen. „Ich glaube...," sagte sie zögernd, „...ich glaube, du hast recht!"


„Oh Götter!" rief Farline. „Wir sind gerettet! Wenn sie uns bloß sehen! Wenn sie bloß nicht vorbeisegeln!" Sie erhob sich, und begann zu winken.


„Vorsicht!" mahnte die Zwergin, die ihr kleines Gefährt bedenklich schwanken fühlte.


Perlenmeer Teil 2: EfferdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt