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Sie machten recht gute Fahrt. Soweit die beiden Frauen es dem Stand der Sonne nach beurteilen konnten, ging es die meiste Zeit in nördlicher Richtung voran. Als es dämmerte, schlug der Schwarze Korsar eine leichte Kursänderung vor in Richtung Nord-West vor.

„Nord-West?" Ulgur fuhr auf. „Du hast gesagt, Nord-Nord-Ost! Und dass wir es noch heute schaffen. Wenn du mich noch mal reinlegst..."

Der Schwarze Korsar schüttelte den Kopf. „Tz tz tz. Warum regst du dich immer gleich so auf? Ich habe tagelang fast ohne Nahung auf See verbracht. Da wird man sich doch noch ein bisschen versehen können. Wir werden die Insel schon finden, auch im Dunkeln."

Ulgur funkelte ihn drohend an. „Versieh dich nicht zu oft. Jedes weitere Versehen kostet dich einen Finger, verstanden! Ich lass' mich vielleicht einmal von dir verladen, aber nicht ein zweites Mal, hörst du?"

Der Korsar lachte: „Ich höre sehr gut. Wir werden die Insel gegen Mitternacht erreichen, keine Sorge."

„Wenn du uns im Dunkeln auf ein Riff lenkst..."

„Ach Ulgur. Warum nur so misstrauisch? Ich lenke euch auf kein Riff, das hatte ich doch gerade erst. Ich schwör' es dir bei allen Zwölfen und sogar bei Hrangar, wenn es dir lieber ist." Der Schwarze Korsar lachte so vergnügt, als halte er das ganze Unternehmen für einen großen Spaß.

Ulgur betrachtete ihn nachdenklich. „Wie kommt es nur, dass ich dir einfach nicht vertraue?"

„Also, das muss an deiner misstrauischen Art liegen!"

Ulgur schnaubte nur. Dann blickte er sorgenvoll gen Himmel. „Es bezieht sich. Vielleicht sollten wir morgen im Hellen nach der Insel suchen."

„Ach was. Bis Mitternacht haben wir sie gefunden. Es gibt dort eine schöne, natürliche Bucht, wo wir ankern können."

Einige Stunden später wandte sich Ulgur erneut an seinen Gefangenen. „Mitternacht hattest du gesagt?"

„Hatte ich. Aber was kann ich dafür, wenn eurer Schiff so langsam ist?"

„Denk an deine Finger!"

„Tue ich, mein Bester, wenn es dich beruhigt. Aber schau doch mal: Da vorne."

Ulgur spähte durch die Dunkelheit. Die Wolkenfetzen am Himmel machten es nicht gerade leicht, etwas zu erkennen. Aber tatsächlich: Kaum sichtbar, an der Linie zwischen Meer und Himmel etwas wie eine dunkle Masse.

„Wir sollten die Insel nördlich umrunden, dann erreichen wir die Bucht, von der ich sprach." Der Schwarze Korsar war jetzt ernst. Sogar aus seiner Stimme klang nun so etwas wie Anspannung.

Eine winzige Korrektur am Steuerruder, eine leichte Drehung der Segel, und das mächtige Schiff ließ die Insel an der Backbordseite vorbeiziehen. Beide Männer auf der Brücke spähten mit gespannter Aufmerksamkeit zu der nur langsam näher kommenden Masse Land.

„Siehst du da vorn, die Felsen? Dahinter liegt die Bucht, quasi ein natürlicher Hafen." In der Stimme des Schwarzen Korsaren schwang etwas mit, etwas Undefinierbares. War es Angst? Nervosität? Aufregung? Oder amüsierte er sich immer noch?

„Felsen? Und wenn wir sie rammen?" fragte Ulgur mit rauher Stimme.

„Nicht, wenn du tust, was ich dir sage. Jetzt, hart Backbord!"

„Hart Backbord!" brüllte Ulgur, und riss das Ruder herum. Das Schiff schwankte, als die Segel aus dem Wind genommen wurden.

„Siehst du!" rief der Schwarze erregt. „Dort hinein, und gleich, wenn ich es dir sage 40 Grad nach Steuerbord!"

Das Schiff glitt beinahe lautlos zwischen die hohen Klippen, die sie nun auf beiden Seiten umragten, schwenkte dann leicht nach rechts um eine Felsnase, und tatsächlich lag vor ihnen eine weite, geschützte Bucht, groß genug, um einer Reihe von Schiffen Platz zu bieten. Aber – das war doch nicht möglich!

Ulgur rang nach Luft, starrte nach vorne, stand einen Moment wie erstarrt.

„W - was... was ist das?" stotterte er.

Der Schwarze Korsar lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Körper entspannte sich, er legte leicht den Kopf zurück und lächelte. Es war ein Lächeln größtmöglichen Triumphes.

„Das siehst du doch!" sagte er.

Rund um die Bucht lagen unzählige Schiffe vor Anker. Große Kriegsschiffe, Dreimastsegler und kleinere, wendige Ruderboote. An einigen leuchteten Laternen. In diesem Augenblick tönte von einem Schiff der Klang einer Glocke herüber, der seine vieltönende Antwort bald von den anderen Schiffen fand.

Ulgur war fassungslos vor Wut. „Du! Du elender Verräter! Abschaum! Du Wurm! Ich werde dich zerfetzen, ich..."

In diesem Moment drang eine Stimme von unten herauf. Panik schwang in den Worten mit: „Käptn! Sie greifen uns an!"

„Ich bring dich um!" schrie Ulgur und versetzte dem Korsaren einen Fausthieb, der ihn mehrere Schritt über das Deck taumeln und dann reglos zusammen brechen ließ. Einen Augenblick schien es, als wolle sich der gewaltige, rothaarige Mann auf seinen Gegner stürzen. In diesem Moment sauste ein grell leuchtendes Geschoss quer über das Wasser auf sie zu und tauchte knapp vor dem Schiff zischend ins Meer.

„Wenden! Sofort Wenden!" schrie Ulgur, und war mit einem Sprung beim Steuerrad. Aber ein Segelschiff in dieser Größe war eine schwerfällige Masse. Zwar reichte das Herumwerfen des Ruders und das Ändern der Segelstellung aus, um dem Schwung die Richtung zu nehmen, nicht aber, um wirklich zu wenden. Das Schiff schwenkte Richtung backbord und hielt direkt auf die Felswand zu. Mit einem heftigen Ruck gefolgt von hässlichem Knirschen bohrte sich der Bug des Schiffes in den Fels.

Ulgur wurde durch den Ruck von den Füßen gerissen, raffte sich jedoch wieder auf. „Zu den Waffen!" brüllte er, und war, den Säbel in der Hand mit ein paar Sprüngen unten auf dem Deck. Der darauffolgende Kampf war zwar heftig, jedoch recht kurz. Die Übermacht war groß und bestens bewaffnet.

Vergebens wehrten sich Froboscha und Farline, versuchten irgend etwas zu erklären, als Soldaten des Großfürsten von Khunchom sie fesselten und in eines der wartenden Boote stießen. Ohnmächtig sahen sie zu, wie ein Pirat nach dem anderen überwältigt und abgeführt wurde. Ulgur der Rote kämpfte wie ein Bär, aber schließlich wurde auch er entwaffnet, gefesselt und in ein Boot verfrachtet. Das letzte, was die beiden sehen konnten, bevor ihr Boot ablegte, war, dass der bewusstlose Schwarze Korsar von Bord getragen wurde.

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Perlenmeer Teil 2: EfferdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt