„Wie lange dauert das noch? Meint ihr, es ist etwas schief gegangen?" flüsterte Farline besorgt. Arved legte den Finger auf die Lippen und schüttelte beruhigend den Kopf.
Es war Abend, und Phex hatte bereits seinen Schleier der Dunkelheit über der Insel ausgebreitet. Sie lagen nebeneinander im Schutz des Waldes nahe der Stelle, wo das Dorf an den Strand grenzte. Vor sich hatten sie die Boote gut im Blick. Farline hatte sich rasch bereitgefunden, die ihr zugedachte Aufgabe zu übernehmen, während Froboscha unnachgiebig bei ihrer Haltung geblieben war. Arved wurde sich bewusst, wie sehr er sich daran gewöhnt hatte, Pläne zu machen und Befehle zu erteilen und deren widerspruchslose Durchführung zu erzwingen. Aber hier war er auf die Hilfsbereitschaft der beiden Frauen angewiesen und also gezwungen, sich kompromissbereiter zu geben, als ihm lieb war. Im Übrigen, so sagte er sich selbst, hatte sie damit die größte Schwachstelle seines Planes beseitigt, die darin bestanden hatte, dass er darauf hätte vertrauen müssen, dass die beiden Frauen mit den Booten zu dem vereinbarten Treffpunkt kämen, statt sich einfach aus dem Staub zu machen. Und wenn die Zwergin nun unbedingt den gefährlichsten Teil des Planes übernehmen wollte, so sollte sie!
Sie hatten den Tag damit zugebracht, den Plan durchzusprechen, Kokosnüsse bereitzulegen, zumindest ein paar Steine als Werkzeuge zum Öffnen derselben auszuwählen und zuletzt ein kleines Feuer zu machen. Jetzt war Froboscha mit einigen Stücken glühender Holzkohle, die sie locker in Palmblätter eingeschlagen hatte, unterwegs zum hintersten Teil des Dorfes.
Farline sah immer noch besorgt aus. Was, wenn Froboscha etwas zustieß? Ihr Gefährte fing ihren Blick auf und zwinkerte ihr zu. Sie musste lächeln. Es gelang ihm tatsächlich sie zu beruhigen. Noch einmal ging sie den Plan durch, der eigentlich ganz einfach war. Wenn die Wachen aufsprangen und ihre Aufmerksamkeit dem Dorf zuwandten, sollten sie im Schutz der Dunkelheit über den Strand huschen und jeder einen Einbaum ins Wasser schieben. Netze und Paddel nicht vergessen, schärfte sie sich ein. Und dann zunächst hinaus ins offene Meer, bis sie sicher sein konnten, dass sie nicht verfolgt wurden. Oh, wenn nur Froboscha auch entkommen würde!
Da! Endlich, ein Schrei, laute Rufe. Die Wachen sprangen auf, riefen durcheinander. Aus mehreren der Hütten kamen Menschen geklettert, aber die meisten wandten sich vom Strand ab, liefen zum inselwärts gelegenen Teil des Dorfes. Farline spürte einen Griff am Arm. Ihr Begleiter hatte sich aufgerichtet und machte eine herrische Kopfbewegung in Richtung Strand. Dann huschte er schon geduckt durch die Dunkelheit. Sie folgte ihm ebenso gebückt, ein kleiner schmaler Schatten in der Dunkelheit.
Oh Götter! Diese Boote waren schwerer, als sie gedacht hatte. Sie keuchte, als sie Fingerbreite um Fingerbreite das Boot über den Kies schob. Ihre Füße schoben den Kies auf, es knirschte. Alveran! Das dauerte zu lange! Aber dann war er plötzlich auf den anderen Seite, mit einem Ruck setzte sich das Boot in Bewegung, glitt über den Kies und dann in die kühlen, schaumigen Wellen. Es schwamm. Vorsichtig, um es nicht umzukippen kletterte sie hinein. Ihre Arme und Knie fühlten sich weich an, aber sie erinnerte sich: Es war nicht das erste Mal, dass sie in eine brenzlige Situation geriet, da hieß es Nerven bewahren. Das Paddel fühlte sich ungewohnt an, aber nach wenigen Bewegungen bekam sie ein Gefühl dafür, wie sie es halten und einsetzen musste, um möglichst viel Geschwindigkeit zu erreichen. Da vorne, der Schatten musste der Pirat sein. Er blickte sich nach ihr um, und sie folgte ihm verbissen. Sie selbst wagte, nicht, sich umzusehen, aus Angst man könnte ihnen folgen. Den Dörflern würde sie nie entkommen können – die würden auf jeden Fall schneller sein! Die Angst verlieh ihr ungeahnte Kräfte. Als sie sich endlich doch umsah, lag die Insel schon weit hinter ihnen. Eine kleine Rauchsäule verriet, wo sich das Dorf befand. Und dazwischen und ihren Booten lag nur die endlos schwarze Fläche des Meeres. War es wirklich erst vor drei Nächten gewesen, als sie so froh waren, dem Meer zu entkommen und an Land zu gelangen? Und nun war es umgekehrt.
„Farline, beidrehen!" Durch das Sausen des Windes drang die Stimme des Piraten an ihr Ohr. Sie nickte ihm zu und lenkte ihr Boot zur Seite.
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Perlenmeer Teil 2: Efferd
AdventureSoll man einem nachweislich schuldigen, zum Tode verurteilten Verbrecher das Leben retten, wenn man die Gelegenheit dazu erhält? Mit dieser Frage mussten sich einst zwei junge Rollenspielerinnen auseinandersetzen. Sie bildete den Kern eines kleinen...