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Er sollte Recht behalten. Langsam verlor er sein Zeitgefühl. War es immer noch Nacht? Oder schon Morgen? Oder Mittag? Er wusste es nicht. Unendlich langsam schlich die Zeit dahin. Längst hatte er es aufgegeben, die Runden zu zählen, die er in dem kleinen Raum zurückgelegt hatte. Zudem machte sich ein weiteres Problem bemerkbar. Er hatte seit mehreren Nächten nur sehr wenig geschlafen, und es fiel ihm zunehmend schwerer, seine Konzentration aufrecht zu erhalten. Er wagte es nicht mehr, sich auf das Strohlager zu setzen, und seinen Gedanken freien Lauf zu lassen, weil er fürchtete, einzuschlafen. Die Stille und die Dunkelheit nagten an seinen Nerven.

Aber er als er dann endlich wieder Geräusche vernahm, schoss ihm die Erregung wie ein Feuerstrahl durch den Körper, so dass er schlagartig hellwach war. Mit wenigen Schritten war er neben der Tür, den Körper angespannt wie eine Feder. Los! Komm schon! Er vernahm das Geräusch der Riegel, einen - den zweiten, die Tür ging auf und verbarg ihn vor dem Eintretenden. In dem Licht, dass in sein Gefängnis flutete, hob sich die Gestalt des Wärters wie ein dunkler Schattenriss ab, aber das reichte ihm. Blitzschnell schlossen sich seine Hände um die Kehle des Mannes.

Der ließ die Gegenstände, die er in Händen gehalten hatte fallen und fasste verzweifelt nach den Händen, die seinen Hals umklammert hielten. Ein schwaches Gurgeln drang aus seinem Mund, aber zu mehr war er nicht in der Lage, denn schon krachte sein Schädel gegen die Mauer, die Kräfte verließen ihn und er sackte schlaff zu Boden.

Der Gefangene bückte sich und hob das Schwert auf, das sein Opfer fallen gelassen hatte. Er hatte genau einen Versuch, das wusste er. Einen Moment stand er stumm neben der Tür, hielt den Atem an - lauschte. Nichts. Der Mann schien allein gewesen zu sein. Wie unglaublich leichtsinnig. Er spähte in den Flur hinaus, soweit es von der Tür aus möglich war. Das Licht der Ölfunzeln, so schwach es auch war, blendete ihn, er blinzelte, konnte niemanden erkennen. Mit einem Schritt wechselte er auf die andere Seite des Türrahmens. Niemand. Ein Sprung, und er war im Gang. Rechts nach wenigen Schritten eine geschlossene Tür - der Ausgang. Links eine Biegung - unbekanntes Terrain. Und dann doch: Schritte, zwei Männer bogen um die Ecke, überraschte Gesichter, zwei Schwerter wurden gezogen.

Der Gefangene ließ den beiden keine Zeit, sich von ihrer Überraschung zu erholen, sondern griff sofort an. Der Gang war zu eng für zwei, sie behinderten sich eher, als dass sie sich unterstützen konnten. Schon schrie der eine auf, ließ die Waffe fallen und hielt sich den Arm. Ein dicker Stahl aus Blut schoss durch seine Finger. Der zweite wich ein Stück zurück, versuchte verzweifelt die kräftigen Hiebe abzuwehren, die auf ihn niedergingen. Er spürte, dass er seinem Gegner nicht gewachsen war, es war nur noch eine Frage von Augenblicken, bis das Schwert des Gefangenen ihn durchbohren würde, aber die Götter meinten es gut mit ihm. In diesem Augenblick öffnete sich auf der anderen Gangseite die Tür. Der Gefangene zögerte, machte einen Schritt zurück, presste sich an die Wand, und blickte sich gehetzt um. Der Wärter nutzte die Gelegenheit um anzugreifen, aber ob nun Rondra oder Kor mit dem Gefangenen waren - er musste aus dem Augenwinkel die Bewegung gesehen haben und riss sein Schwert empor. Metall prallte auf Metall, erneut befand sich der Wärter in der Defensive, aber nun bekam er Hilfe. Vom der anderen Seite sah er, wie der Neuankömmling seine Waffe hob, und den Griff seines Schwertes mit aller Macht dem Gefangenen auf den Schädel hieb. Dessen Blick wurde leer, die Waffe glitt aus seiner kraftlosen Hand und er sackte zu Boden.

Der Wärter atmete auf. Neben ihnen stöhnte der Verwundete, kreidebleich im Gesicht. Der Neuhinzugekommene starrte sie wutentbrannt an. „Verdammt. Das hätte auch schiefgehen können! Hab' ich euch nicht gesagt, ihr sollt vorsichtig sein? Der Kerl ist gefährlich!"

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Perlenmeer Teil 2: EfferdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt