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Der Mann, den sie den schwarzen Korsaren nannten, und der früher einmal Arved geheißen hatte, lag bäuchlings auf dem Stroh. Der Schmerz in seinem Rücken kam in Wellen: Nahm zu, überrollte ihn wie eine Flammenwalze, ließ nach und kam erneut. Da man ihn an der Wand festgekettet hatte, war es sinnlos, über Flucht nachzudenken, und er konnte sich dem Schmerz hingeben. Vorbei! Eigentlich hatte er immer mit dem Tod gerechnet. Nun würde es geschehen. Nicht im Kampf, sondern irgendwo, in einem Kerker. Vielleicht würden sie ihm auch eine öffentliche Hinrichtung bereiten? Nun – immerhin würde er noch nicht hier, in diesem Loch verrecken, sondern erst in Khunchom. Eine Rückfahrkarte nach Khunchom...  Er hatte sowieso zurück nach Khunchom fahren wollen... Ein eisiger Schreck durchzuckte ihn. Das Amulett!!! Hatte man ihm das Amulett abgenommen? Erschrocken tastete er mit seiner freien Hand nach seinem Hals und fühlte das dünne Lederband. Nein. Da war es noch. Für die anderen mochte es nur wenig wert sein. Für ihn dagegen... -  ‚Schick es mir, wenn du mich holen kommst.' - Er würde nicht kommen. Noch ein Versprechen, das er brechen würde... aber vielleicht war es besser so... sie würde ihn vergessen – unerträglicher Gedanke! Doch‚ sie sollte ihn vergessen!  ‚...lass mich nicht im Ungewissen...'

Er spürte, wie seine Gedanken begannen, sich zu verwirren. Das Fieber. - ‚ich werde einen Medicus kommen lassen' – was für eine Verschwendung! Wo er sowieso sterben würde. Warum nicht hier? Nein! Sie würde auf ihn warten... ‚...lass mich nicht im Ungewissen...' – in Khunchom würde sie davon erfahren, irgendwie. Das würde es leichter machen für sie.

Merhibam. Wenn ihn erneut die Flammenwalze überlief, drückte er seine Lippen auf die kleine Silberplatte, und rief sich jeden Augenblick mit ihr ins Gedächtnis zurück. Er versuchte, sich an den Duft ihres Haares, den Geschmack ihrer Lippen, an jedes Wort zu erinnern, das sie zu ihm gesprochen hatte. Und ihm fiel der Moment wieder ein, an dem sie ihn gefragt hatte, ob er sie liebe. Und er hatte ihr nicht geantwortet, hatte sich herausgewunden wie ein Feigling. Dabei liebte er sie doch! Ja, ganz bestimmt! Das wusste er jetzt. Und er hatte es ihr nie gesagt. Oh Merhibam!

Er wollte ihr Bild festhalten, aber sie entglitt ihm, entfernte sich immer weiter. In seinen wirren Gedanken mischte sich ihr Bild mit anderen, älteren Erinnerungsfetzen. Er sah das Schiff, die Mannschaft, Menschen, mit denen er gekämpft hatte. Der alte Kapitän... er wird ihn töten oder getötet werden... ein Ausfall nach vorne, abgewehrt, ein Sprung zur Seite... keine Zeit zu überlegen, der Säbel zuckt in seiner Hand nach oben, wehrt erneut ab, aber ist es denn ein Säbel? Und nicht vielleicht ein Degen?

Die Jahre rollen weiter zurück... noch ein Kampf ... er erinnert sich: Der Mann ist sein Freund, er will seinen Freund nicht töten, aber er ist noch jung, so jung... und der andere ist zornig, man sieht es an seinen Augen.... er selbst ist nicht zornig, es tut ihm leid, warum hatte es gerade dieses Mädchen sein müssen? Einfach nur, um zu sehen, ob es möglich war, sie zu verführen, oder ist er verliebt gewesen? Er weiß es nicht mehr, aber nun will der andere sich schlagen, einem Duell weicht man nicht aus, er ist kein Feigling... die Ehre, die verdammte Ehre ... der andere greift an, er wehrt ab, eine kleine Finte, ein Gegenangriff... warum pariert der andere nicht? ... es geht so schnell! Wie leicht ein Degen eindringt in einen menschlichen Körper...das Blut... er steht da wie betäubt, sieht die Freunde niederknien, sie versuchen, das Blut zu stillen... zu spät. Wie sie ihn ansehen! Er weicht zurück, dreht sich um, läuft, alles brennt um ihn... dort steht Merhibam: ‚...ich warte auf dich...' er will sie rufen, aber es geht nicht, ein Flammenmeer lodert auf, verschlingt sie, er versucht durchzudringen, es ist so heiß, so heiß...

Plötzlich steht ein anderes Mädchen da, starrt ihn verzweifelt an. Woher kennt er diesen Blick? Er weiß es nicht mehr, kann sich nicht erinnern. Hilf mir! Sagt der Blick, aber er weiß nicht warum. Dann fällt es ihm ein... er war noch ganz neu auf dem Schiff, einer der ersten Überfälle, an denen er beteiligt war, sie hatten ein Mädchen hinübergeschleppt, hielten sie fest, zwangen sie auf einen Tisch...'He, komm rüber...willst du auch ein bisschen Spaß haben?'. Er fühlt wieder Ekel und Abscheu, schüttelt den Kopf, aber im Hinausgehen streift sein Blick das Mädchen. Wie sie ihn ansieht! Ihr Blick fährt ihm ins Herz, er spürt ihren Schmerz. Einen Moment starren sie sich an, er fühlt sich elend und ist zugleich von Zorn erfüllt, Zorn auf das Mädchen, weil sie ihn so ansieht, warum gerade ihn? Er reißt seinen Blick los von ihr, wendet sich ab, stürzt hinaus. Luft, er braucht Luft. Plötzlich durchzuckt ihn ein eisiger Schrecken, eine Erkenntnis, er weiß nicht woher, er weiß nur, dass er umkehren muss. Er stürzt zurück, jetzt ist es Merhibam, die sie festhalten, er schreit auf, aber kein Laut dringt aus seiner Kehle, er will die Waffe ziehen, aber der Säbel steckt fest in der Scheide. ‚Vergiss es,' zischt eine Stimme in sein Ohr:  ‚Sie behandeln sie, wie du es verdienst.‚Und dann eine andere Stimme: ‚Ich will dich leiden sehen!' Endlich zieht er die Waffe, kämpft, tötet irgendwelche Gegner, sie fallen, aber wie Gräser wachsen immer neue nach. Viele, so viele. ‚Er ist ein ausgezeichneter Fechter. Wir sollten ihm noch eine Chance geben.' ‚Ja, fechten kann er, aber das reicht nicht. Er wird niemals Demut lernen.' Wer hat das gesagt? Oh, er erinnert sich, seine Lehrer in der Kriegerakademie, in die man ihn als Kind entsandt hat. Man hat ihm die Chance gegeben, aber sie hatten recht. Er hat niemals Demut gelernt. Er hat sie alle enttäuscht, seine Lehrer, seine Eltern. ‚Das wird übel mit dir enden.'. Wie recht sie haben. Da stehen sie alle, sehen ihn vorwurfsvoll an, er dreht sich um und erschrickt. Hinter ihm steht sein toter Freund, den Blutfleck auf der Brust, an der Hand hält er das Mädchen, das sie geschändet haben. Er weicht zurück. „Geht. Lasst mich!"

„Ihr solltet das trinken." Irgend jemand hielt ihm etwas Kühles an die Lippen. Es schmeckte bitter. Mühsam öffnete er die Augen. Brauchte einige Momente, um sich zu besinnen, wo er war. Es war nicht mehr dunkel, irgendwo brannte Licht. Er fühlte Schmerzen und großen Durst.

„Wasser." Seine Lippen formten das Wort, ohne dass ein Ton herausdrang.

„Trinkt das. Es ist ein Heilmittel" Diesmal weigerte er sich nicht länger. Bitter und seltsam prickelnd rann ihm ein Gebräu durch die Kehle, das ihm jemand einflößte. Ein Mann, sehr dunkle Haut, weißes Haar, scharfe Gesichtszüge.

Er hatte immer noch Durst und bat erneut um Wasser. Diesmal wurde er verstanden, und der Mann reichte ihm einen weiteren Becher. Mühsam griff er danach, trank. Es war kühl und wohlschmeckend. Sein Kopf wurde langsam klarer.

„Danke," stieß er hervor.

„Dankt mir nicht," antwortete der Fremde mit einem leichtem Akzent, „denn ich werde dafür bezahlt. Ich hege keinen Groll gegen euch, aber ich fühle auch kein Mitleid, denn man hat mir gesagt, wer ihr seid. Ich heile euch, damit der Herr euch nach Khunchom schicken kann, wo man euch hinrichten wird. Es ist eine gute Medizin. Sie wird euch rasch helfen."

Der Schwarze Korsar verzog den Mund zu einem mühsamen Lächeln. Ihm gefiel die Ehrlichkeit des Heilers. „Ich danke euch trotzdem." flüsterte er. „Wo ich herkomme ist das so üblich."

„Wo ihr herkommt..." Der Medicus hob verwundert die buschigen Augenbrauen. „Ihr seid anders, als man euch mir beschrieben hat. Hier steht ein Krug mit Wasser und etwas zu essen. Morgen werde ich noch einmal kommen, aber dann wird es euch schon besser gehen." Der alte Mann erhob sich, nickte ernst und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum.

Der Heiler hatte nicht übertrieben. Tatsächlich fühlte sich der Gefangene besser. Die Schmerzen ließen deutlich nach, und auch das Fieber schien zu sinken. Er trank noch einen weiteren Becher Wasser und sank kurz darauf in tiefen, traumlosen Schlaf.

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Perlenmeer Teil 2: EfferdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt