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Etwa eine Stunde später hatten sie die Steilwand mit dem kleinen Absatz erreicht, wo Arved die letzte Nacht verbracht hatte.

„Willkommen in meinem bescheidenen Heim," kommentierte er ironisch die felsige Nische im Fels, bedeckt mit ein paar zerdrückten, halbverwelkten Blättern, den kalten Resten eines Feuers und mit ein paar Kokosnüssen.

Farline war viel zu müde um seinen Humor zu würdigen und ließ sich gleich auf die Blätter sinken. Froboscha setzte sich neben sie. „Ein Feuer?" fragte sie verwundert. „Wie habt ihr das gemacht?"

Er lächelte jetzt. „In meiner Mannschaft war eine Moha, die es mir einmal gezeigt hat. Man muss mit einem Band einen Bogen herstellen, seht ihr, und damit einen Stock in eine rasche Drehbewegung versetzten. Aber bitte, seid mir nicht böse, wenn ich euch vorerst bitte, auf Feuer zu verzichten. Die Gefahr ist sehr groß, dass man es im Dunkeln bemerkt. Vielleicht kann ich euch statt dessen ein wenig Kokosnuss anbieten? Oder wie wäre es mit gebratener Schlange?" Er grinste.

„Kokosnuss," flüsterte Farline müde. „Schlange!" bemerkte Froboscha, die diesbezüglich keine falschen Hemmungen hatte.

Als sie ihr eintöniges, ungewürztes Mahl verzehrten, kam Froboscha auf den Kern der Sache zurück. „Ihr meint also, dass wir mit diesen Booten von der Insel fliehen könnten."

„Wir könnten es versuchen," meinte er.

„Aber das sind ja nur ausgehöhlte Bäume... kippen die nicht leicht um, besonders draußen, auf dem Meer?

„So instabil sind sie gar nicht," behauptete er. „Außerdem könnten wir die Sicherheit erheblich erhöhen, wenn wir zwei Boote zusammenbinden. Wir können dazu eines ihrer Netze benutzen."

„Hm." Froboscha war nicht wirklich überzeugt. Andererseits wollte sie wirklich keinen Tag länger als nötig auf dieser Insel mit diesen schrecklichen Menschen und ihrem Echsengott bleiben. „Da ihr euch das alles so gut überlegt habt, habt ihr sicher auch einen Plan, wie wir an die Boote herankommen können. Immerhin saßen dort einige Männer und hielten Wache."

Er zögerte. Jetzt kam der Moment, vor dem er die größten Bedenken gehabt hatte. Ja, er hatte einen Plan, aber dieser Plan setzte Vertrauen voraus, Vertrauen, dass er gar nicht aufbrachte. Welchen Grund hatte er, den beiden Frauen zu vertrauen? Andererseits musste man manchmal Risiken eingehen.

„Ja, ich habe eine Idee, wie man es angehen könnte," erklärte er. „Diese Männer müssten abgelenkt werden. Einer von uns lenkt von hinten, von der Waldseite her die Aufmerksamkeit auf sich. In der Zeit bemächtigen sich die anderen eines oder mehrerer Boote. Bevor die Dorfbewohner bemerken, was wir getan haben, müssten die beiden anderen schon weit auf See sein, so dass die Dorfbewohner sie mit den übrigen Booten nicht mehr einholen könnten. An einem festgelegten Punkt läd man rasch Vorräte ein und dort könnte dann auch die erste Person unauffällig an Bord gelangen. Derjenige müsste allerdings unbemerkt ein Stück der Insel durchqueren, um etwa gleichzeitig dort anzukommen."

Prüfend musterte er Froboscha, was sie dazu zu sagen hatte. Ihrem Gesicht war keine Reaktion zu entnehmen.

„Aha," bemerkte sie nur. „Und wer soll eurer Meinung nach derjenige sein?"

Er unterdrückte ein Seufzen. „Ich natürlich. Ihr beide müsstet nur im richtigen Moment die Boote stehlen und anschließend den vereinbarten Punkt ansteuern. Ich selbst würde über Land dorthin gelangen. Was haltet ihr davon?"

„Gar nichts," kommentierte die Zwergin schonungslos. „Ich kann nicht Boot fahren, und mit so einem hohlen Baum würde ich ganz sicher kentern. Also werde ich die Männer ablenken, mich durch den Wald durchschlagen und dann zusteigen, und ihr stehlt Boote. Farline kann sich ja aussuchen, ob sie mich begleiten oder mit euch Boote stehlen will. Farline...?" Sie sah sich nach ihrer Gefährtin um, aber die war längst eingeschlafen.

Froboscha zuckte mit den Achseln. „Ich denke,  sie wird nichts gegen die Boote haben. Sie sagt ja immer, dass sie sich gut damit auskennt." Diesmal blickte sie prüfend zu dem Mann hinüber.

Er hatte bei ihren Worten zunächst erstaunt die Brauen gehoben und machte nun ein unzufriedenes Gesicht. „Vielleicht," meinte er, „sollte ich euch darauf hinweisen, dass der Teil, den ihr euch ausgesucht habt, ein wenig... hm... gefährlich werden kann. Man müsste sich ziemlich rasch durch den Dschungel bewegen, sich gut orientieren können und eventuell könnte es sogar zu einem Kampf kommen."

„Ach," konterte sie kriegslustig. „Und weil ich eine Zwergin bin, glaubt ihr, ich kann das alles nicht? Dazu kann ich euch verraten, dass ich bereits einiges an Kampferfahrung habe, und ohnehin viel ausdauernder bin, als ihr Menschen es je sein könnt. Ich weiß nicht, wie gut ihr uns Zwerge kennt. Ich jedenfalls kenne euch Menschen ziemlich gut."

Er lächelte, wenngleich ein wenig spöttisch. „Nun, dem kann ich allerdings wenig entgegensetzen. Ich denke, wir sprechen morgen noch einmal darüber, wenn Farline wach ist. Da ich ja auch ein Mensch bin, würde es mir guttun, diese Nacht noch ein wenig zu schlafen."

„Gut. Schlafen wir." Froboscha legte sich neben Farline nieder und schloss die Augen. Eingebildeter Kerl, dachte sie. Er würde schon sehen, was eine Zwergin zu leisten im Stande war.

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Perlenmeer Teil 2: EfferdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt