Lügen über Lügen

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Ich bin schon oft in verzwickten Lagen gewesen. Lügen hatten sich in meinem Teenager-Alter tief in mir eingenistet und es ist auch nicht selten gewesen, dass ich sie zu meinen Gunsten benutzte.

Ich dachte also, dass ich ganz gut darauf vorbereitet war, mich in einen Kokon voller Lügen einzuwickeln und mir selbst das Leben zu zerstören. Es erwies sich allerdings als schwerer als gedacht, denn jedes Mal wenn ich auch nur in Fynns Nähe kam, vergaß ich all meine sorgsam zurecht gelegten Worte und lächelte ihm stattdessen zu.

Fynn wusste dass etwas nicht stimmte, man musste nicht Psychologie studieren um dies zu merken. Allerdings sprach er es genauso wenig an wie ich es tat. Stattdessen saßen wir auf dem Sofa in seiner, beziehungsweise unserer, Wohnung und sahen The Walking Dead an. Eine Angewohnheit seit mehreren Wochen. Ich genoss die Ruhe zwischen uns, seinen Arm an der Rückenlehne des Sofas, seine Finger die über meine Schulter strichen.

Jedenfalls hatte ich die Ursache des Versagens der blöden Pille gefunden: Eine Magen-Darm-Grippe die mich vor längerer Zeit an das Bett gekettet hatte. Und an das Klo.

Ich versuchte meine Aufmerksamkeit auf das Geschehen vor mir zu lenken, was sich allerdings als schwerer erwies als gedacht. Ich wusste es seit zwei Tagen. Achtundvierzig Stunden in denen ich Fynn etwas Lebensveränderndes verschwieg.

Und alles was ich bis her getan hatte, waren, um die fünf Folgen einer Serie zu sehen und eine halbe Pizza zu verdrücken. Und der Hunger war noch immer nicht gestillt, es ging mir auf die Nerven, alles ging mir auf die Nerven.

Immerhin hatte ich es geschafft mich von der Uni frei zu schreiben. Wer hätte gedacht, dass das bei mir nicht vorhandene Geld meines Vaters und ein Paar mitleidserregende Worte mir die Erlaubnis beschaffen konnten, die Prüfungen in London zu absolvieren. Nächstes Semester musste ich mir noch überlegen. London oder New York. Vermutlich ersteres. Meine Wohnung hatte ich bereits gekündigt, jedenfalls hatte ich die Papiere unterschrieben, zahlen musste ich trotzdem noch. Den Flug musste ich noch buchen, mein Erspartes schrie bereits vor Schmerzen.

Ich glaubte, nie zuvor so pleite gewesen zu sein.

Fynn neben mir gähnte und er rutschte etwas tiefer in das Sofa hinein. Diese Bewegung brachte mich zurück in die Realität und ich fixierte mich wieder auf den Bildschirm. Zu meinem Leidwesen erschien grade die Titelmelodie und die ersten Namen der Mitwirkenden Personen schmückten den sonst schwarzen Bildschirm mit weißen Lettern. »Wirst du mir irgendwann erzählen, was los mit dir ist?«, fragte der blonde Junge neben mir und zog seinen Arm zurück. Ich hatte das Gefühl, als würde sofort die bittere Kälte der Einsamkeit von mir Besitz ergreifen. Ich ließ mir mehrere Sekunden Zeit eher ich ihn ansah. Seine Augen, seine Nase, die Form seiner Lippen, der Dreitagebart um sein Kinn herum. Sein ganzes Gesicht war mir in weniger als einem Jahr vertrauter geworden als das meine Eltern in einundzwanzig Jahren.

Morgen musste ich den nächst besten Flug buchen und bei Judith kündigen. Ich hoffte nur, dass Dean nichts von meinem Gespräch morgen mitbekommen würde. Es würde alles auffliegen, noch bevor ich ins Flugzeug steigen könnte. »Es tut mir so leid.«

Ich sah ihm in die Augen, er runzelte die Stirn und sah mich verständnislos an. »Was tut dir leid?«

»Das zwischen uns macht keinen Sinn mehr.« Ich unterdrückte die aufsteigenden Tränen. Reiß dich zusammen, Evelyn Rose Dunkens. Fynn wich etwas zurück, er starrte mich fassungslos an.

»Was?«, fragte er verwirrt und sah mich entgeistert an. Er hob die Hand um mein Gesicht anzufassen doch ich sprang hastig auf. Taumelnd wich ich einige Schritte zurück und starrte ihn aus der sicheren Entfernung an.

Couple in a roundabout wayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt