Angst

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Ich strich mir über den Bauch und starrte zur Decke. Mein Vater hatte mir am Mittwoch verkündet, dass eine Frau niemals ein Kind alleine austragen und gebären sollte. Es war verdammt peinlich ausgerechnet von ihm solch eine Predigt zu hören.

Ich brauchte wohl kaum weiter zu erwähnen, dass ich nach nur zehn Minuten nach meiner Tasche gegriffen hatte und das Café, in welches mein Vater mich eingeladen hatte, verlassen hatte. Dabei hätte ich meinen Kaffee gerne zu Ende getrunken.

Benny wiederholte noch immer, dass ich zu gestresst sei und mich schonen müsste. Und als ich behauptet hatte, mein Vater sei ein totales Arschloch, hatte er bloß erwidert: »Irgendwie hat er ja schon recht, du brauchst dringend Hilfe, Königin, von jemandem der dich abgöttisch liebt.«

Nur liebte mich scheinbar niemand genug, um mit mir ein Kind zu gebären, beziehungsweise mich dabei zu unterstützen.

»Josie.«, begann ich theatralisch. »Mein Kind wird ein Star des Asozialen-TVs werden.« Wir saßen in einer Bäckerei und knabberten an Brötchen herum, es war verdammt früh, doch der verdammte Bengel ließ mich eh nicht länger als bis sechs schlafen.

»Dein Vater hat recht, du solltest deinen Ex anrufen und mit ihm quatschen.«

»Du klingst wie die ganzen Verräter, mit denen ich nicht mehr sprechen will.«, schmollte ich und starrte frustriert Löcher in die Luft.

»Tu's nicht für das Kind, sondern für dich.«, entgegnete Josie und betrachtete ihre Fingernägel.

»Dir scheint deine Fettleibigkeit nicht zu stören.«

»Meine Prinzessin ist auch gewollt.«

Ich riss geschockt den Mund auf. »Der war echt gemein, der Arzt sagte, er kann uns schon hören!«,

»Hast du schon einen Namen?«

»Vielleicht nenne ich ihn ja Fynn, ohne Jr. da ich davon ausgehe, dass er seinen Vater nie kennen lernen wird.«

»In meinem Ratgeber steht, dass man den Vater in alle Entscheidungen einbeziehen sollte. Nicht nur die Frau freut sich auf ihr Kind und für den Mann ist die Schwangerschaft ebenfalls sehr stressig.«

»Du hast leicht reden, dein Ehemann arbeitet bei einer Bank.«

»Das hat nichts mit Geld zu tun, sondern mit Zusammenhalt.« Ich presste meine Lippen zu einem dünnen Strich zusammen und weigerte mich schon fast mit Kindlichem Trotz ihren Worten Glauben zu schenken. Gut, fast war eine leichte Untertreibung. Im Grunde verhielt ich mich nur noch wie ein trotziges Kind. »Übrigens: Ich würde dich gerne morgen zum Brunch einladen, du darfst auch Benny mitbringen.«

Ich aß meine Brötchenhälfte zu Ende und trommelte mit den Fingernägeln auf der Tischplatte herum. »Du bist doch nur scharf drauf, ihn wieder zu sehen.«

»Du vergisst, dass ich deinen Bruder heiß fand, du warst in den Punker verschossen, willst du eigentlich auch so eine Mutter bleiben? Die coole mit den bunten Haaren?«

»Muss man sich für sein Kind ändern?«

»Naja, viele bevorzugen es, sich ein wenig zur Ruhe zu setzen.«

»Gott, du bist definitiv nicht mehr Josie.«

»Sagt Evelyn, die zu ihren Eltern zurück gekrochen kam.«, entgegnete sie und lächelte. Ich funkelte sie wütend an und reckte das Kinn in die Höhe. Die ersten Monate in der High School hatten wir beide damit verbracht unsere Macht auszuspielen. Josie war eine gute Gegnerin gewesen, bis wir eines Abends in einem Club beschlossen mit vereinten Kräften gegen die restlichen Schüler anzutreten. Zu zweit war man definitiv weniger einsam, auch wenn wir uns beide niemals als Freundinnen gesehen hatten.

»Was machen eigentlich deine Eltern?«

»Sie sind aufs Land gezogen um sich wieder selbst zu finden, hat deren beknackter Beziehungstherapeut ihnen empfohlen.«

»Sind die nicht ein bisschen zu alt, für so was?«

»Meine Eltern sind fast zwanzig Jahre jünger als deine, außerdem ist es für Liebe nie zu spät.«

»Gott, bist du kitschig geworden.«

Josie seufzte und nippte an ihrem Tee. »Das sind die Mutterinstinkte. Ich war letztens einkaufen und da war ein Kind, dass seine Mutter verloren hatte und ich musste wirklich dem Drang widerstehen, es einfach mitzunehmen und selbst groß zu ziehen.«

Ich starrte sie mit ausdruckslosem Gesicht an. »Meine Fresse bist du Irre.«

»Komm du erstmal in den siebten Monat, dann sprechen wir weiter.«

»Mein Leben ist nicht sonderlich leichter und du bist mir definitiv nicht überlegen.« Wir sahen uns herausfordernd an und ich fühlte mich in die Zeit versetzt, als wir beide aus den Fenstern klettern mussten, um vor unseren Eltern zu fliehen.

»Ich würde mich jetzt nur zu gerne mit dir streiten, liebste Eve, aber wie du bereits sagtest: Die Kinder können uns hören.«

»Dein Kind könnte sogar bereits eigenständig leben.«, bemerkte ich mit einem Lächeln.

»Ich möchte nicht drauf wetten.«

»Meins nicht.«, ich überlegte einen Moment »Was wenn was schief läuft?«, murmelte ich entsetzt. »Was wenn ich die Wehen kriege und mein Sohn einfach stirbt?«

Josies Augen weiteten sich verzweifelt. »Oh mein Gott, das wäre so grausam, ich würde mich so schrecklich fühlen!« Ihre Augen füllten sich mit Tränen und für einen winzigen Moment fragte ich mich, ob es überhaupt gesund war, wenn zwei Schwangere über Traurigkeiten sprachen. »Wie grausam wäre es denn, wenn nur eins unserer Kinder überlebt!«

»Was wenn ich eine schreckliche Mutter werde?« Ich begann nun ebenfalls zu heulen. »Was wenn ich wie meine werde? Wenn mein Sohn sich nachts rausschleicht um zu saufen und - oh mein Gott! Was wenn er ein Mädchen schwängert?«

»Was wenn sich meine Tochter schwängern lässt?«

»Du meinst so wie du?« Ich lachte unter Tränen, Josie stimmte mit ein ehe sie laut aufschluchzte.

»Gott, was wenn sie so dumm wird wie wir beide?«

»Wir sollten nicht über sowas reden.«, heulte ich. »Sie können uns hören.«

»Willst du deinen Sohn wirklich Fynn nennen?«

»Nein! Ich will das er sich einen Namen aussucht damit ich nicht die Verantwortung dafür tragen muss.«

»Wie romantisch.«

Wir lachten wieder und ich strich sanft über meinen Bauch. »Haben wir alles falsch in unserem Leben gemacht?«

»Naja, du studierst und ich bin dem Beispiel meiner Mutter gefolgt und habe einen reichen Typen geheiratet.«

»Aber du liebst Sebastian und das schon seit Ewigkeiten.«

»Vielleicht war ich schon seit Ewigkeiten auf sein Geld aus?«, schlug sie vor und lachte. Die Tränen waren vergessen.

»Ich glaube nicht, wir sind besser als unsere Eltern.«

»In jeder Hinsicht, Freundin.«

Ich lächelte als sie das sagte. »Wir haben zu viel gemeinsam, Freundin.«


Couple in a roundabout wayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt