Ich und meine Probleme

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Ich trommelte mit meinen Fingern gegen die dunkle Holzplatte und sah mich so unauffällig wie möglich um. Auch wenn ich wohl der seltsamste Anblick der Welt war. Ich fühlte mich wie ein Plumploris im Zoo. Zwei Tage waren seit dem Gespräch mit Megan vergangen, ich hatte sie nicht wieder angerufen.

Ich hätte es selbst ohne dem Streit nicht tun können, mein Handy hatte einen Totalschaden erlitten und Benny war total ausgeflippt, weil das bescheuerte Ding auch noch ein Loch in die Wand geschlagen hatte und ich von da an nicht zu erreichen war. »Tu mir den gefallen und verlasse das Haus nicht, wenn ich nicht dabei bin.«, hatte er gesagt. Als würde man mitten in London eine Hochschwangere vergewaltigen. Ich schloss selbst eine Entführung komplett aus, die Stadt war viel zu voll, als das man mich hier einfach entführen oder vergewaltigen könnte.

Josie war die komplette letzte Woche ziemlich beschäftigt – sie hatte also auf der Couch gelegen und sich bescheuerte TV-Sendungen angesehen – gewesen. Ich verzieh ihr, immerhin befand sie sich in der vierunddreißigsten Woche, die Geburt ihres Kindes kam jeden Tag näher und ich war nicht sonderlich scharf darauf, dabei zu sein, wenn ihre Fruchtblase platzte.

Mit meinem Fingernagel pulte ich in dem Holz herum und kratzte die oberste Schicht etwas ab, so das eine hellere Stelle darunter hervorkam. Ein Kellner brachte mir meine Bestellung, ich nickte ihm dankend zu und er verzog sich stumm. Die restlichen Gäste starrten noch immer verstohlen zu mir herüber.

Ich war nicht gut darin Blicke zu deuten, aber ich könnte schwören, dass einer von ihnen den Köpf schüttelte, mir sollte es Recht sein.

Ein kalter Luftzug wehte zu mir herüber, als jemand das Lokal betrat, ich drehte mich nicht um. Auch nicht, als jemand wutentbrannt meinen vollen Namen durch den Raum brüllte. Ich schluckte schwer, stellte mich darauf ein, einem wütenden Benny in die Augen sehen zu müssen.

»Mister, kann ich Ihnen weiterhelfen?«, fragte der stämmige Kellner, der mich eben erst bedient hatte und verlängerte somit Bennys auftauchen an meinem Tisch. Ich kratzte weiterhin an dem Tisch herum, ritzte helle Streifen hinein und pulte schließlich den Dreck unter meinen Nägeln hervor. Als ich jünger war, hatte ich das immer in der Kirche in den Bänken getan, seltsam, dass ausgerechnet diese Angewohnheit wiederkehrte.

»Nein, Alter, ich will nur mit meiner kleinen Schwester quatschen.« Benny nannte mich in vielen Fällen Schwester, ob es nun ein Typ war, den ich nicht mehr loswurde, die Polizei und sonstige Fälle. Und kaum hatte er die Worte ausgesprochen, tauchte er auch schon in meinem Sichtfeld auf.

»Alles in Ordnung, Miss?«, fragte der Kellner. Wie in Trance löste ich meinen Blick von Bennys Gesicht und sah zu dem Jungen hoch.

»Ja.«, krächzte ich. »Ja, alles bestens.«

Benny wartete bis der Kellner außerhalb der Hörweite an und zischte mich dann wütend an: »Sag mal hast du deinen Verstand vollkommen verloren?« Er versuchte sich sichtlich zu beherrschen, was ihm schwerer fiel, als er vermutlich erwartet hatte. »Ich komme nach Hause und du bist nicht da.«, fährt er wütend fort. »Und dann sehe ich, was du so wunderschönes im Internet nachgelesen hast. Ich glaube bei dir läuft da oben nichts mehr Richtig, Evelyn!« Der letzte Satz entglitt ihm in eine höhere und lautere Tonlage. Ich verzog keine Miene. Benny lehnte sich zurück und wippte mit beiden Füßen auf und ab. »Und so ziemlich nicht-überraschend finde ich dich hier, in einer Bar.«, kam er zum Schluss. »Hast du mir was zu sagen?«

Bennys Stimme klang so vorwurfsvoll, wie die meiner Eltern, wenn ich wieder Mist angestellt hatte. Ich spürte, dass mir Tränen in die Augen gestiegen waren, doch mein Gesichtsausdruck blieb trotzdem unverändert und ausdruckslos.

Als ich noch immer nichts sagte, seufzte er tief. »Dacht' ich mir. Weißt du, dass du gerne trinkst ist eine Sache, aber zu riskieren, dass deinem Ungeborenen, deinem Kind, Louis, dadurch etwas passieren kann? Das ist eine Nummer zu hoch, selbst für dich, Dunkens.«

»Benny, ich habe beschlossen zu meinen Eltern zu ziehen.«, sagte ich mit fester Stimme und sehe ihn dabei weiterhin an. Diese Entscheidung hatte sich im Laufe der letzten zwei Tage bei mir eingenistet, Megans Worte saßen tief und ich wurde das Gefühl nicht mehr los, Benny ausgenutzt zu haben.

»Was? Wieso?«

»Weil ich dir eine Last bin. Ich habe schon mit meiner Mutter gesprochen. Jeanette hat mein Zimmer eingerichtet.«

»Das ist doch totaler Bullshit!«, fluchte er und raufte sich die Haare. »Dein scheiß ernst? Zu deinen Eltern? Jetzt, nach den Wochen in denen ich dich regelrecht zwingen musste, bei ihnen zu essen? Nachdem du das Land wegen ihnen verlassen hast?« Er sah mich perplex an.

»Es ist besser so.«, antwortete ich und bemühte mich darum, das Zittern in meiner Stimme zu kaschieren. »Ich bin dir eine Last geworden, Benny. Du arbeitest zurzeit für zwei, sogar für drei, weil ich so viel Fresse. Und wie soll das dann nach der Geburt aussehen? Bevor ich wieder zurück fliege? Spielen wir dann Mutter-Vater-Kind und du arbeitest den ganzen Tag für mich, weil der eigentliche Vater in Amerika ist und dort auf mich wartet? Das ist eine ziemlich beschissene Zukunft und ich will dir das nicht antun, ich sehe doch, wie müde du bist. Ich sehe deine Augenringe, Benny. Ich höre, wie du morgens fluchst und ich bin nicht dumm, ich weiß haargenau, dass du dich nicht mehr mit deinen Freunden triffst. Wann hast du Carol das letzte Mal gesehen, hm? Vor drei oder fünf Wochen?«

Benny malmte mit dem Kiefer und starrte mich fassungslos an. »Wie viel hast du schon getrunken?« Seine Stimme war kaum hörbar.

»Ein Glas.«, sagte ich mit fester Stimme und beobachtete seine Reaktion. Er sagte nichts, doch ich sah, wie sich sein Blick verfinsterte.

»Und du bist dir sicher ja? Du verziehst dich zu deinen Eltern, tust dir mehr Scheiß an, bis du dich irgendwann wirklich zu Tode trinkst, ja?«

»Ich bin mir sicher, ja.« Mit diesen Worten kramte ich mein Portemonnaie aus meinem Rucksack und legte das Geld für die zwei Gläser Bier, von denen ich nur eins getrunken hatte, auf den Tisch und stand mühsam auf. »Übrigens sind beide Alkoholfrei, kannst du gerne austrinken.« Mit diesen Worten verabschiedete ich mich von ihm und verließ die schummrige Bar, in der ich früher meine Jugendzeit verbracht hatte. Benny blieb zurück, mir sollte es recht sein, so konnte ich in Frieden meinen Koffer holen und zu meinen Eltern fahren.


Couple in a roundabout wayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt