Einen Monat später konnten wir das Krankenhaus verlassen. Zwar war Fynn davor bereits abgereist, immerhin hatte das Wintersemester wieder begonnen, doch Benny verbrachte jede freie Stunde bei mir.
Bei mir und Louis.
»Du wirst mir fehlen, Seekuhlein.«, gestand mein Beinahe-Bruder nun und lächelte mich sachte an. Ich sagte ihm nicht, wie sehr er mir fehlen würde. Dazu war ich einfach nicht im Stande, ich bezweifelte, dass überhaupt jemand die Dankbarkeit in Worte fassen könnte, die ich verspürte. Ich hatte Benny alles zu verdanken, mein gesamtes Leben, meine Existenz, meinen Charakter, jede einzelne Eigenschaft. Benny war immer da gewesen.
Und obwohl ein sich ein fetter Kloß in meinem Hals breit machte – Die Entbindung hatte leider nichts an den schnell fließenden Tränen geändert, ich war zu einer Heulsuse mutiert – lächelte ich Benny ebenfalls entgegen und krampfte mich an den Griff des Koffers fest.
Vor zwei Tagen gab es ein gewaltiges Abendessen bei meinen Eltern, die üblichen Leute mit neuen Kreationen von Jeanette und die üblichen Gespräche. Danielle war nicht mehr die jüngste im Haus, meine Mutter hatte sogar gelächelt als ich an dem Abend mit Louis das Zimmer betreten hatte und mein Vater hatte mir meinen Sohn aus dem Arm genommen und ihn hin und her gewogen. Es war ein äußerst skurriler Anblick gewesen, meine Familie war kein großer Vertreter der Zärtlichkeit, doch diesen Abend, konnte ich nicht anders beschreiben. Er war zärtlich gewesen.
Es traf mich härter als ich erwartet hatte – auch wenn ich es auf meine seltsamen Muttergefühle schob -, meine Familie ein zweites Mal zu verlassen. Das war ziemlich idiotisch, immerhin waren meine Eltern reich, Klaus Anwalt und Jackson machte irgendetwas mit seiner geliebten Mathematik und Benny, würde sich das Geld ansparen - sie alle würden mich Besuchen kommen, wann immer mir danach war.
Das war vermutlich das komischste an der ganzen Sache, meine Mutter und ich hatten noch nie eine dieser wundervollen Bilderbuch-Mutter-Tochter-Beziehungen geführt. Sie war da, ich war da. Ich tat dies, ihr passte es nie. Sie wollte das, ich wollte jenes. Mutter und ich hatten uns nie auch nur ein Fünkchen gut verstanden.
Heute, als wir mit drei Autos zum Flughafen gefahren sind, nur damit mich alle noch einmal verabschieden konnten, schien allerdings diese eisige Kälte zwischen uns brechen. Auch wenn ich meiner Mutter niemals meine tiefsten Geheimnisse anvertrauen würde, ihr niemals gestehen würde, dass ich mit Josie auf der Straße geschlafen habe, rumhurte und mehr Alkohol getrunken hatte, als ihr eigentlich klar war, entstand da etwas neues zwischen uns beiden. Vielleicht sah sie mich jetzt als eine Erwachsene an, denn, meine Fresse, ich fühlte mich ziemlich erwachsen. Mit einem Baby, einem Mann, den ich seinen Vater nennen konnte und einer Familie, die zwar mehr als sieben tausend Kilometer von mir entfernt war, aber auf die ich zählen konnte.
Nachdem ich Benny umarmt hatte, zog mich auch Jackson an seine Brust. Er war nie sonderlich groß gewesen, im Gegensatz zu Klaus, was ihn früher immer geärgert hatte, vor allem als schließlich meinen Wachstumsschub bekommen hatte und kaum kleiner war als er.
»Melde dich mal bei mir, das letztens hat mich echt getroffen.«, scherzte er. Ein kleines Lächeln stahl sich auf meine Lippen.
»Dieses Mal werde ich nicht verschwinden, ganz sicher.«, versprach ich und er nickte, plötzlich ganz ernst. Nach Jackson kam Klaus und ganz zum Schluss, als ich alle abgeklappert hatte, stand ich meiner Mutter Gegenüber. Wir schwiegen uns lange an, jedenfalls fühlte es sich für mich wie eine Ewigkeit an.
»Pass auf dich auf, Evelyn Rose.« Wie ich meinen Namen hasste. Rose klang überhaupt nicht nach mir, überhaupt waren zwei Namen schrecklich. Vor allem wenn Eltern wütend waren und meine waren es etwa zu achtzig Prozent meines gesamtes Lebens gewesen. Das schlimmste an Rose war ja noch die Tatsache, dass ich nach Mutters bester Freundin benannt wurde, das habe ich ihr nie verziehen, einfach weil ich Lady Monroe hasste.
»Werde ich, Mutter.« Sie verzog das Gesicht. Mutter war keine Frau der vielen Worte, sie sprach immer das konkret aus, was sie wollte, was sein musste, was grade wichtig war. Mutter sprach nicht über banale Sache, es sei denn sie traf sich auf irgendwelchen abendlichen Veranstaltungen mit anderen Leuten, gegenüber denen sie einen guten Schein wahren musste. »Danke.«, fügte ich daher noch hinzu. Irgendwann hätte ich es sagen müssen, sie würden mich auch unterstützen, obwohl ich das vereinigte Königreich verließ.
Meine Mutter nickte, ganz leicht. Sie stand dabei so grade wie immer – vermutlich hätte ich zu einem meiner Bekannten gesagt, er solle sich den Stock aus dem Arsch ziehen – und senkte im Grunde nur kurz ihr Kinn, ehe sie es wieder erhob. »Wenn du Probleme kriegen solltest, ruf uns an.« Auch wenn meine Eltern bereits seit über dreißig Jahren verheiratet und sogar ganz glücklich zusammen waren, glaubte meine Mutter nie an „Junge Liebe".
Vermutlich würde sie Fynn erst zur Familie zählen, wenn wir mindestens zehn Jahre verheiratet sind. Mindestens. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie Josephine auch noch nicht wirklich mochte. Sie duldete Klaus' Frau zwar, aber trotz ihrer Ehe vor etwa acht Jahren und ihrem Sohn, dessen Alter ich mir beim besten Willen nie merken konnte, behandelte Mutter sie wie einen Freund der Familie. Was natürlich total schwachsinnig war, aber so war sie nun mal.
»Ich werde mich melden.«, versprach ich auch ihr.
Sie nickte wieder auf ihre versteifte Art und Weise. Da mein Flug bald kommen würde, halfen mir Benny und meine beiden Brüder noch meinen Koffer abzugeben und mich mit Louis auf den Weg zum Gate zu machen. Ich winkte den dreien zum Abschied, als ich durch die Schranke ging und mein Handgepäck auf das Band lud, damit die Sicherheitsbeamten es durchscannen konnten. Als ich mich unbeobachtet fühlte, lächelte ich zu meinem Sohn hinab und murmelte: »Jetzt, mein Kleiner, beginnen wir ein neues Leben, mit diesem Flug, beginnen wir unser gemeinsames Leben.«
Kinder in Flugzeugen waren schon immer das Grauen gewesen, sie weinten, weil sie nicht verstehen konnten, wieso ihre Ohren so drückten oder weil es ruckelte. Kinder sollten nicht fliegen, ich wäre nicht mit ihm geflogen, wenn nicht Fynn auf der anderen Seite des Ozeans auf mich warten würde. Das Kind hätte auch in England aufwachsen können. Mit grausamen Großeltern, seltsamen Onkels und Tanten und ihren Cousins. Doch da drüben, wartete jemand auf mich, von dem ich mich nicht mehr trennen wollte, nie wieder über eine solche Entfernung und solch lange Zeit.
Und als wir landeten, wartete genau dieser Mann auf mich. Fynn, mit seinem typischen arrogant schiefem Grinsen und den blonden Haaren. Ich musste lächeln, ziemlich breit und ich musste mich zusammenreißen, mich Fynn nicht um den Hals zu werfen. Er sah zu Louis herunter und küsste mich daraufhin sanft.
Es würde alles gut werden.
DU LIEST GERADE
Couple in a roundabout way
HumorLiebesgeschichten hören immer auf, wenn die Protagonisten ihren langen Weg zusammen finden. Doch keiner schreibt darüber, was danach passiert. Denn dann, kommen die wahren Probleme ins Spiel. Evelyn und Fynn, weniger geeignet für eine Lebenslangebin...