Erkenntnis

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Es gab vieles, was ich an Ärzten hasste.

Am meisten die Tatsache, dass die Eltern vieler meiner ehemaligen Mitschüler denselben gesellschaftlichen Status genossen wie meine Eltern. Dem entsprechend begegnete man sich ziemlich oft bei den „guten" Ärzten des Viertels. Gut stand hier für überteuert. Reiche Leute stehen auf überteuerte Sachen.

Ich war nicht verwundert, als jemand an meinem Kopfhörer riss und damit Bad Habit unterbrach. Was mich allerdings verwunderte war eine hochschwangere Josie. »Eve? Du Irre!«, begrüßte sie mich und schloss mich in eine unbehagliche Umarmung.

»Josie.« Ich lächelte gekünstelt. Sie musterte mich.

»Wow, ich dacht' du kannst Kinder nicht ausstehen.« Ich sah an mir herunter. In den zwei Wochen in denen ich nun hier war, hatte ich mich verdammt verändert. Irgendwie hatte ich die ganze Zeit über gehofft ich sei eine dieser Fälle, bei denen man die Schwangerschaft einfach nicht bemerkte. Blöd nur, dass ich fetter geworden war, mit diesen Worten begrüßte Benny mich jeden Morgen.

»Es hat sich anders ergeben.«, sagte ich verschmilzt und nickte zu ihrem Babybauch. »Du hast es aber nicht lange ohne ausgehalten.«

»Ich habe auch geheiratet.« Stolz zeigte sie mir ihren Ehering. Einen fetten Klunker.

»Ich tippe auf Sebastian?«

»Ich hätte dich eingeladen...«, sie ließ den Satz so in der Luft stehen. Einen Moment lang schwiegen wir.

»Aber ich war nicht da.«, beendete ich schließlich und sie nickte. Ich hatte nicht viele Freunde während meiner Schulzeit gehabt, was allerdings eher daran lag, dass ich die Leute für vollkommene Idioten hielt. Für vollkommene, verwöhnte Idioten mit denen ich nichts am Hut haben wollte.

Auch Josie zählte zu diesen Leuten, doch genauso sehr hielt sie mich für einen versnobten Idioten, was wohl der Grund war wieso wir letztendlich abends zusammen trinken gingen. Sie war nicht meine beste Freundin, im Grunde mochten wir beide uns nie richtig, doch zu wissen, dass uns erneut etwas verband, war beruhigend.

»Du warst nicht da.«, wiederholte sie leise und nickte mit einem Lächeln.

»Miss Dunkens?« Ich sah in Richtung Rezeption als mein Name gerufen wurde.

»Ich geh dann mal.«

»Klar.« Ich stand ungeschickt auf und sah noch mal zu ihr.

»Hey, wie wär's, wenn...« Ich traute mich nicht den Satz zu Ende zu sprechen, doch Josie verstand sofort.

»Klar, warte.« Sie diktierte mir ihre Handynummer, die ich lächeln einspeicherte. »Wie in alten Zeiten.«, lachte sie zum Abschied.

Benny holte mich mit dem Auto ab. Josie war nicht mehr da, als ich den Saal wieder verließ. Mein Beinahe-Bruder telefoniere angespannt mit jemanden und als er mich erblickte winkte er mir erfreut zu und legte auf. Schwerfällig ließ ich mich in den Sitz fallen.

»Wer war das?«

»Jackson ist jetzt in die Flitterwochen geflogen. Danielle ist bei deinen Eltern.«

»Konnten Klaus und Josephine sie nicht nehmen?« Benny reichte mir eine Brezel die ich dankend annahm und sofort begann in mich hinein zu stopfen. Das mit dem Essen war schrecklich.

»Ich glaube die sehen nur mal kurz vorbei. Und wie geht's dem Kind?«

»Es wird ein Junge.« Ich schloss die Augen und versuchte zu realisieren, was genau mit meinem Körper vor sich ging. »Und es scheint ihm gut zu gehen, vermutlich wird er im September geboren. So um den dreh.«

Benny nickte und parkte den Wagen aus. Die Stille zwischen uns machte mich wahnsinnig. Normalerweise würde ich sie genießen, doch ich ertrug mich selbst kaum noch.

»Ich habe Josie getroffen, die Kleine, die damals öfters mit mir weg war.«

»Deine Busenfreundin?«, fragte er spöttisch und zog die Augenbrauen hoch.

»Nenn' es wie du willst.« Ich schüttelte den Kopf. »Sie hat ihren Typen aus der High School geheiratet, diesen Sebastian, und ist nun ebenfalls schwanger.«

»Jetzt wird's wirklich unheimlich.«

»Jedenfalls wollte ich mich wieder mit ihr treffen.« Ich ignorierte seinen Einwurf uns sprach einfach hastig weiter um mein Gehirn bloß nicht in Fynns Richtung denken zu lassen.

»Alkohol trinken gibt's jetzt, aber nicht mehr.«

»Es wäre auch bloß Kaffee oder sowas gewesen.«, verteidigte ich mich und kratzte mich am Kopf. »Ich bin ja nicht total bescheuert.« Ab da fiel mir nichts mehr ein, mein Kopf war bis auf einen einzigen Gedanken vollkommen leer: Fynn würde sich jetzt freuen. Es würde ein Junge werden, ein kleiner Sohn, den wir beide hätten aufziehen können. Übelkeit überkam mich.

»Halt an.«

»Was?« Benny sah mich irritiert an.

»Halt sofort den Wagen an!« Er fuhr an den Straßenrand und sofort als das Auto zum Stillstand kam, sprang ich hinaus und kotzte auf den Gehsteig. Ob es die Schwangerschaft oder die Schuldgefühle waren, wusste ich nicht, vermutlich eine seltsame Mischung aus beidem, ein grausames Gebräu. Währen dich da vornüber gebeugt am Straßenrand stand, begann ich zu heulen.

Wegen meiner Dummheit, meiner Unfähigkeit, Situationen einschätzen zu können und vor allem wegen Fynn.

Benny stieg aus dem Wagen aus, strich mit der einen Hand beruhigend über meinen Rücken und mit der anderen hielt er mir die Haare fest. »Hey, Königin, alles wird gut.« Seine Stimme klang sanft.

Ich würgte erneut. »Nichts wird gut, Benjamin!«, schluchzte ich. »Ich habe es versaut, ein für alle Mal, habe ich es richtig versaut.« Zitternd richtete ich mich wieder auf und sah zu der Fahrbahn. Benny reichte mir ein Taschentuch, doch ich traute mich nicht ihn anzusehen. Stumm wischte ich mir mit dem Tuch über meinen Mund und schloss die Augen. Mein Herz raste, mir war noch immer übel.

»Die Brezel ist hinüber.«, bemerkte er.

»Du bist so widerlich.«, erwiderte ich und verzog das Gesicht. Benny führte mich zu dem Auto und drückte mich in den Sitz, meine Beine ließ ich ausgestreckt aus dem Wagen. Er stand vor mir, schien nach Worten zu suchen.

»Eve, hier geht's dir nicht gut.«

»Ich bin schwanger, wie soll's mir sonst gehen.«

»Ich meine deine Psyche.«, erwiderte er. Benny klang gefasst, als hätte er sich diese Worte schon lange zurecht gelegt. »Es gefällt mir täglich immer weniger, dass du wieder hier bist und du weißt ganz genau, dass es 'ne ziemliche Scheiß Idee gewesen ist.«

Ich schluchzte laut auf. Neue Tränen flossen meine Wangen herunter und ich verlier vollends die Beherrschung. »Ich weiß!«, kreischte ich verzweifelt auf. »Ich habe es mit ihm verbockt, ich habe es mit allem verbockt!« Benny war still, er widersprach mir nicht, versicherte mir nicht, dass es bestimmt anders war. Und das war schlimmer, als jegliche Gedanken die ich mir vorher gemacht habe.


Hey Ho!Der Grund, wieso es jetzt so lange dauerte ist, weil ich die ganze Woche über bei einem Schreib-Workshop teilgenommen habe. Es war echt verdammt cool und falls ihr jemals Mal von so etwas mitbekommen solltet: Macht mit! Das ist die Erfahrung und die Leute wert.

Couple in a roundabout wayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt