Sandwiches 'n' Kakao

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Auf der Couch liegen und nichts tun konnte ich inzwischen am besten. Im Grunde zählte es zu den einzigen Dingen, die ich konnte. Benny sprach auf mich ein, ich solle eine Pause wegen der Universität machen und in einem halben Jahr mein Semester von vorne zu beginnen. Ich stritt es ab, ich wollte mir kein Jahr nehmen, ein Jahr wiederholen, bedeutete ein Jahr weniger arbeiten und ich musste so schnell wie möglich wieder arbeiten.

Ich wollte meinem Kind Wünsche erfüllen können, ihm nicht sagen müssen, dass ich kein Geld besäße. Mein Gott, ich wollte nicht, dass meine Eltern ihm bessere Geschenke machen könnten als ich.

Gleich darauf runzelte ich die Stirn und griff nach der Wasserflasche die neben dem Sofa auf dem Boden stand und nuckelte daran. Es war doch total schwachsinnig, dass ich mit meinen Eltern konkurrieren wollte. Als ich die Flasche von meinen Lippen nahm, schüttete ich etwas davon auf mein Dekolleté, ich widerstand dem Drang zu fluchen – immerhin hörte das Kind mich jetzt – und schraubte stattdessen schweigend die Flasche zu und stellte sie wieder neben dem Sofa ab. Ich hatte nicht vor aufzustehen um mich abzutrocknen, stattdessen dachte ich an den Abend zurück, an dem ich wegen Fynn von einem Russen K.O. geschlagen wurde.

Fynn... Vermutlich lebte er sein Leben als glücklicher Single-Nicht-Vater und trank in der Bar. Die Schwangerschaft war ein fürchterlicher Entzug. Benny verbot mir alles, er behandelte mich wieder wie seine kleine Schwester, nur... das ich nichts durfte, während er mir früher den Alkohol besorgt hatte.

In Bennys Nähe durfte ich an Kaffee bloß schnuppern, er gab mir nichts von seinem Thunfischaufstrich ab, weil Majonäse scheinbar auf einer No-Go-Liste für Schwangere stand und die Donuts mit Füllungen bekam ich ebenfalls nicht, weswegen ich mich stattdessen mit den trockenen begnügen musste. Ich hasste Donuts ohne Füllungen. Salami durfte ich bloß noch mit den Augen verschlingen und als er vor wenigen Tagen geräucherten Fisch mitgebracht hatte, saß ich bloß sabbernd auf dem Sofa und verspürte den Drang, das Kind eigenhändig aus mir herauszuziehen.

Wenigstens bekochte er mich mit „gesundem" Essen für Schwangere. In meiner gesamten Lebenszeit, habe ich mich noch nie so gesund ernähren müssen wie jetzt. Ich wusste gar nicht was schlimmer war, Benny oder das Kind.

Ein Klopfen an der Tür riss mich aus meinen Gedanken. Machte ich ein Baby zum Mittäter, wenn ich jemanden während der Schwangerschaft ermorden würde? Ächzend stand ich von dem Sofa auf und marschierte gemütlich zur Haustür.

Als ich sie öffnete zog ich überrascht die Augenbrauen zusammen. »Was machst du denn hier?«

Klaus grinste. »Ich hab mir gedacht, ein Freund von Jackson, kann nur so schrecklich sein wie er selbst.«

Ich verzog meine Lippen zu einem Lächeln. Als ich noch klein war und Klaus noch mit uns zusammen unter einem Dach gelebt hatte, hatten er und Jackson oft Streit. Nie was ernstes, aber unser Bruder wollte von ihm immer als Erwachsener angesehen werden, obwohl zwischen den beiden Jungs fünf Jahre lagen. Zwar war Klaus früh erwachsen und ein ziemlich ernster Kerl geworden, doch Jackson gehörte zu den idiotischsten Leuten die ich kannte. Gleich nach Megan natürlich. »So schrecklich ist Benny gar nicht, er setzt mich nur auf sehr strenge Diäten.«

»Dacht ich mir, Josephine hat mir eine Liste mit Dingen aufgeschrieben, die zwar nicht die idealsten Lebensmittel sind, aber dein Kind nicht umbringen werden.« Misstrauisch beobachtete ich meinen ältesten Bruder. Klaus war schon immer freundlich gewesen, freundlich und höflich, aber nichts Tieferes. Uns beide hatte nie etwas verbunden, es lagen einfach viel zu viele Jahre zwischen uns beiden als das zwischen uns ein engeres Bündnis entstehen konnte. Als ich mit zwölf zu Benny und Jackson zog, war er fast fünfundzwanzig und plante bereits seine Hochzeit mit Josephine. Ich hatte es ihm nie verübelt, immerhin hatte ich noch Jackson und Benny und war sowieso nie sonderlich Kontaktfreudig gewesen, doch sein jetziges Auftauchen erfreute mich so sehr, dass ich in Tränen ausbrach. Einen Moment lang wirkte er bestürzt, doch Klaus fasste sich schnell, schloss die Tür hinter sich, legte die Tüte ab und nahm mich in den Arm.

»Es ist doch alles gut, Eve.«

»Ich bin so eine schreckliche Schwangere, wie bin ich dann als Mutter? Gott, was wenn ich wie Mum werde?« Ich begriff den Zusammenhang meiner Worte zu seinem Auftauchen selbst nicht.

»Das ist doch bescheuert, weder Jackson noch ich sind wie Dad.«

»Vielleicht ja doch?«, gab ich zu bedenken.

»Willst du mich beleidigen, obwohl ich hier mit Essen für dich auftauche?«

Ich verzog das Gesicht zu einer Schnute und schüttelte den Kopf. »Was hast du denn mitgebracht?«

»Fertigsandwiches aus Tesco und – «

»Oh mein Gott, ist ja geil.«, unterbrach ich ihn und langte zu der Tüte. »Und Kakao, als Nachtisch auch noch Pudding.«

»Das ist wie Weihnachten im Juni!«, verkündete ich.

»So Scheiße?«

»Das Kind hört dich.«, sagte ich schon fast reflexartig. »Sagen wir mal, es ist wie normales Weihnachten, das ganz weit von unserer Familie entfernt gefeiert wird. Mein Weihnachten letztes Jahr war sehr schön.«

Klaus nahm mir die Tüte ab, streifte seine Schuhe ab und folgte mir in die Küche. »Mit wem hast du gefeiert?«

»Mit der Familie des Vaters.«, antwortete ich und reckte meine Arme in die Luft um zwei Tassen herauszuholen. Klaus trat hinter mich und erledigte holte die gewünschten Objekte hinunter. »Danke, es war wirklich das friedlichste Weihnachten, das ich je erlebt habe. Natürlich habe ich ihnen das nicht verraten, aber es war echt angenehm.«

»Dein Leben scheint sich ja gefügt zu haben.«

Ich erstarrte mitten in der Bewegung, ehe ich die Stirn kraus zog und mich wieder fasste. Während ich uns Teller auf dem Tisch ausbreitete, leerte Klaus die Tüte. Ich war ein riesen Fan von Fertigessen, vor allem diese idiotischen Sandwiches, die es auch im Flugzeug gab. Sie waren ein Traum und weit oben in Bennys Liste. »Ich weiß echt nicht, wie ich dir danken soll.«

»Du solltest eher Josephine danken, ohne ihr wäre ich bloß hier reingeschneit und hätte ein Paar schlechte Witze gerissen.«

Ich biss in mein Sandwich hinein und schloss genüsslich die Augen »So schlecht sind sie gar nicht.«, behauptete ich und kaute entzückt auf dem Toast herum.

»Meine Witze?«

»Die Sandwiches.«, erwiderte ich darauf. »Natürlich, Klaus, was denn sonst?« Wir aßen eine Weile schweigend. Ich war so begeistert davon, dass er hier war, dass ich wieder in Tränen ausbrechen wollte. Der Kakao, die Sandwiches, Klaus. Es kam alles ganz gelegen und der Drang mein Kind zum Mittäter und Augenzeuge bei einem Mord zu machen, verschwand. »Im ernst, ich bin deiner Frau zu Ewigem Dank verpflichtet, dieses Zeug rettet mich.«

»Josie tut zwar auf scheinheilig, aber glaub ihr kein Wort, wenn sie behauptet, dass sie auf Schokolade und Sushi verzichtet hätte, genauso wenig war Anastasia eine Heilige während ihrer Schwangerschaft und Mum hat geraucht während jeder ihrer Schwangerschaften.«

»Wow... vielleicht werde ich doch nicht so eine schlechte Mutter.«, überlegte ich. »Megan behauptete ständig, ich hätte ein Alkoholproblem, das ist bestimmt Mutters Schuld.«

»Unsere Eltern haben vieles falsch gemacht, aber wir waren auch nicht die leichtesten Kinder.«

»Ich bin pflegeleicht.«

»Du hast mit zwölf deine Sachen gepackt und für einen Monat in einem Studentenheim gelebt. Mit zwölf.«

»Ich hoffe, mein Kind wird sich niemals aus dem zweiten Stock schleichen müssen.«, gab ich zu bedenken und Klaus prustete los.

»Ich glaube, allein deine lockere Art mit Dingen umzugehen wird dich schon zu einer besseren Mutter machen, als Mum es war.« Und genau das waren die Worte, die ich gebraucht hatte. Jemand, der mir mit einem guten Argument versichern würde, dass ich nicht so schrecklich wie Mum werden würde.

»Danke.«, hauchte ich, dann genossen wir unser Festessen weiter.


Couple in a roundabout wayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt