»Ich hätte niemals abhauen sollen?« Ich zog meine Augenbrauen verwirrt zusammen und starrte fassungslos an die Wand gegenüber von mir. »Ich kann mich nicht erinnern, dass du mich großartig davon abgehalten hattest.« Meine Stimme klang kühl, wie jedes Mal, wenn alle Schutzschilde hochfuhren und ich eine Mauer zwischen mich und die Umwelt zog.
»Weil man dich nun mal nicht abhalten kann!« Ich hatte noch nie erlebt, wie Megan ihre Stimme erhob. Sie wirkte für mich immer wie der ausgelassenste Mensch der Welt. Bis auf die Sache mit dem Essen, wenn es ums Essen ging, war Megan alles andere als Kontrolliert.
»Woher willst du bitte wissen, was ich zu dem Zeitpunkt gewollt habe?«, knurrte ich. Meine Geduld hing an einem eisernen Faden. Ich war ein Hitzkopf und das war wohl auch meine schlimmste Eigenschaft. Direkt neben dem Problem mit dem Alkohol, welches grade an meinem Gewissen zu nagen begann.
»Eve, ich habe echt keinen blassen Schimmer was du unter Freundschaft verstehst, aber ich höre dir zu, ich kenne dich, verdammte Scheiße nochmal!«, fluchte sie. Ich zuckte zusammen, griff instinktiv an meinen Bauch und strich darüber.
»Du denkst also, ich bin eine miese Freundin?«
»Ich denke, dass du ein egoistisches Arschloch bist.«
»Nun, sei beruhigt: Ich bin ein egoistisches Arschloch. Ich war immer eins und werde auch immer eins bleiben, ich dacht, das Thema hätten wir schon durch.«
»Ja, ich konnte damit leben, dass du ein Arschloch bist, aber was du zurzeit abziehst, ist zu viel, selbst für dich.« Sie holte tief Luft. »Weißt du, du bist von hier abgehauen, aus Gründen die ich sehr wohl verstehen kann, aber Eve, jetzt lebst du auf Kosten jemand anderes. Und das hast du nie gewollt.«
Ich zog die Stirn kraust, richtete mich auf und stand mühsam auf, ehe ich zu einer Antwort ansetzte: »Glaubst du mir ist nicht klar, was für eine miese Hure ich bin?«, kreischte ich. »Überhaupt was fällt dir ein, mit mir darüber zu streiten, während ich hoch schwanger bin? Ist dir überhaupt klar, was du tust?«
Megan atmete tief ein und aus. »Eve, ich mag dich wirklich gerne und ich wünschte mich nichts sehnlicher als unsere Treffen und Gespräche wieder zu erlangen.« Sie schwieg einen Moment. Mein Herz pochte unnatürlich schnell und mir wurde schlecht vor Aufregung. »Aber du hast eine Grenze überschritten, die du selbst nicht überqueren wolltest und das widert mich an. Du rufst mich nicht mehr an um zu quatschen, sondern um zu heulen und schieb es bitte nicht auf die Schwangerschaft, denn so ein brutales Ausmaß kann die gar nicht bewirken. Du bist faul geworden, nicht wie vorher, du bist wirklich faul, lebst du überhaupt noch?«
Noch bevor ich etwas erwidern konnte, legte Megan auf. Frustriert fluchte ich lautstark und warf einen Blick auf das Smartphone. So eine idiotische und beknackte Erfindung. Wutentbrannt tat ich das wohl unüberlegteste, was ich in den letzten Wochen hatte tun können: Ich warf es von mir, sah dabei zu wie es gegen die Wand prallte und schließlich zu Boden fiel.
Es war mir sowas von kack egal, ob das Ding noch funktionierte, dass ich in die Küche schritt, mir Cornflakes in eine Schüssel kippte und Milch dazu goss. Während ich auf einem der Barhocker saß und mein Essen schlürfte, grübelte ich über Megans Worte nach. Und über das dringende Verlangen, Alkohol zu trinken.
Ich hatte wirklich ein Problem damit, vielleicht sollte ich eine Anonyme Alkoholiker Gruppe besuchen? Vielleicht sollte ich auch alleine einen Entzug starten. Immerhin studierte ich Psychologie, ich könnte mich doch auch selbst therapieren?
Oder ich besuchte ein AA-Treffen als Ausrede, dass ich ein Praktikum machen wolle.
Oder ich überstand diese letzten Wochen mit Babybauch und begnügte mich mit Alkohol, sobald das Ding draußen ist.
Müde schob ich die Schüssel von mir und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Megan hatte Recht, sie hatte immer Recht. Jedes verdammte Mal.
Jura war genau das richtige für sie. Ich stützte meinen Kopf mit meiner Hand ab und wackelte mit dem Bein auf und ab. Was war bloß aus mir geworden? Ich hatte immer die bessere Mutter für meine Kinder sein wollen, als meine es für mich und meine Brüder gewesen ist. Ich wollte gesunde und glückliche Kinder. Doch zurzeit strebte ich ziemlich sicher das genaue Gegenteil für meinen Sohn an. Meinen Sohn.
»Du brauchst dringend einen Vornamen, Baby-Boy.«, murmelte ich und nutzte den Spitznamen den Aibileen den Kindern gab, auf die sie achtgegeben hatte.
Ich zog die Schale mit den Cornflakes wieder zu mir und löffelte weiter. Megans Anruf hatte den Wunsch nach einem berauschten Zustand nur noch verstärkt. Es war unverantwortlich, selbst für meine Verhältnisse. Es war ein schlechter Gedanke, einer den ich unbedingt loswerden sollte. Doch sobald ich aufgegessen hatte, stellte ich meine Schale in die Spüle und griff nach Bennys Laptop.
Mein Handy lag noch immer unberührt auf dem Boden, sollte es dort bis in alle Ewigkeiten schmoren, ich war noch nie ein Fan von diesen Dingern gewesen. Ich tippte die unterschiedlichsten Kombinationen in die Suche ein. Schwangerschaft + Alkohol 1.250.000 Ergebnisse in wenigen Sekunden. Alkohol kann die Entwicklung im Gesicht, Gehirn und in den Organen beeinträchtigen. Es kann das Nervensystem angreifen, was so viel bedeuten würde, dass Louis....
»Louis?«, fragte ich mich selbst und runzelte die Stirn. »Louis? Unter all den verdammten Namen, nehme ich den von einem Französischen König?« Da ich alleine in Bennys Wohnung saß, störte es niemanden, dass ich in Selbstgespräche verfiel. Obwohl mir Die Drei Musketiere immer gefallen hatten, zweifelte ich meine Wahl an. Ohne lange nach zu denken, öffnete ich ein neues Fenster und loggte mich bei Facebook ein um Fynn zu schreiben.
Findest du Louis Dunkens klingt fürchterlich?
Ich trommelte nervös mit meinen Fingern auf der Tischplatte herum und starrte auf den Bildschirm, während ich darauf wartete, dass er mir antwortete.
Wer sagt, dass er deinen Mädchennamen tragen wird?
Ich hob einen Mundwinkel an, senkte ihn allerdings wieder, als mir die tiefere Bedeutung seiner Worte klar wurde. Nervös zupfte ich mein T-Shirt zurecht und setzte zu einer Antwort an.
Du hast meine Frage nicht beantwortet.
Meine Finger zitterten, ich wollte solche Unterhaltungen nicht führen.
Louis klingt gut. Wie dieser Sonnenkönig-Trottel aus Frankreich.
Ich lachte leise, da er ebenfalls den französischen König ansprach. Mit dem Unterschied, dass Fynn mehr Allgemeinwissen besaß und mir vermutlich noch beantworten könnte, welcher Louis genau der Sonnenkönig gewesen war.
Magst du einen Zweitnamen für ihn?
Mein Atem ging unregelmäßig. Früher hätte ich so eine Unterhaltung niemals ohne einer Flasche Bier geführt. Ich klickte wieder zurück zu der Seite über den Alkoholkonsum. Scheinbar waren vor allem die ersten drei Monate am wichtigsten, grade in der Zeit sollte man unter keinen Umständen trinken, wobei ich haargenau das getan hatte. Unbewusst. Ahnungslos.
Ich atmete tief ein und verharrte in einer aufrechten Position, die Luft hielt ich an. Louis war gesund, die Teste beim Arzt hatten es bewiesen, alle möglichen erdenklichen Teste haben bewiesen, dass es meinem Kind gut geht.
Ein leises Klingeln deutete eine angekommene Nachricht an. Ich klickte wieder zu dem Chat mit Fynn. Fynn und ich. Es war unser Baby.
Lass uns darüber einander Mal reden, ich bin froh, dass du einen Namen gefunden hast. Einen perfekten Namen.
Ich lächelte, spürte aber gleichzeitig, wie mir Tränen die Wangen hinab liefen.
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Couple in a roundabout way
HumorLiebesgeschichten hören immer auf, wenn die Protagonisten ihren langen Weg zusammen finden. Doch keiner schreibt darüber, was danach passiert. Denn dann, kommen die wahren Probleme ins Spiel. Evelyn und Fynn, weniger geeignet für eine Lebenslangebin...