Nachdem mir Lily den Weg von der großen Halle zu den Klassenräumen für Verwandlung und Zauberkunst gezeigt hat, gehen wir auf dem möglicherweise kürzesten Weg zum Gemeinschaftsraum. Durch die sich bewegenden Treppen kann man das nicht so genau sagen, aber Remus scheint sich im Schloss gut auszukennen. Ich weiß nicht, warum er uns gefolgt ist, allerdings ist es definitiv kein Nachteil, auch wenn Lily ihn nicht besonders zu mögen scheint.
Vom Gemeinschaftsraum führt Lily mich gleich hoch in unseren Schlafsaal. Sie hatte Recht mit ihrer Vermutung, mir gehört das Bett, das bisher in ihrem Zimmer noch frei war.
Als wir eintreten, blicken drei Mädchen gespannt auf. Zwei hocken an ein Bett gelehnt auf dem Boden und haben wahrscheinlich gerade ihre Ferienerlebnisse ausgetauscht, die dritte liegt mit dem Bauch auf ihrem Bett, hat die Beine in der Luft gekreuzt und sieht immer wieder interessiert zu mir, während sie zugleich die Augen nicht ganz von ihrem Buch lassen kann.
„Leute, das ist Rachel. Rachel, das sind Alice, Dorcas und Mary", stellt Lily uns einander vor, bevor sie sich auf ihr Bett plumpsen lässt und sich ebenfalls ein Buch schnappt. Etwas unsicher murmle ich „Hi" und gehe auf das einzige Bett zu, das noch nicht entweder besetzt ist oder wie ein Schlachtfeld aussieht. Scheinbar bin ich nicht die einzige Unordentliche hier. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob das gut oder schlecht ist, aber zumindest Lily und Alice wirken, als könnten sie den Überblick behalten. Das muss fürs erste reichen.
Unschlüssig sehe ich mich um. Lily und Alice sind bereits in ihre Bücher vertieft, Mary und... äh... Dora oder so fangen wieder leise an zu tuscheln. Etwas unbehaglich sitze ich auf meinem Bett und versuche krampfhaft so zu tun, als wäre ich nicht supernervös.
Einige Augenblicke später wendet Mary sich an mich: „Also, erzähl mal. Warum bist du erst jetzt in Hogwarts, was hast du vorher gemacht, welche Fächer hast du, was..." „Lass sie doch mal antworten!", unterbricht die andere sie lachend. „Oh, stimmt. Sorry, Rachel. Passiert mir manchmal, aber Dorcas kann mich ja bremsen", erklärt Mary entschuldigend. „Schon okay", meine ich. Kurz muss ich nachdenken, dann beantworte ich ihre Fragen: „Ich bin zuhause unterrichtet worden, ist in meiner Familie so üblich. Meine Fächer sind Wahrsagen, PmG, Alte Runen und Arithmantik. Und du kannst gern weiterfragen, was willst du wissen?" „Du bist zuhause unterrichtet worden?" mischt sich jetzt auch Alice ein. „Ja, genau. Ich komme aus einer der ältesten Reinblutfamilien Europas, und es gibt einige Dinge, die ich zusätzlich zum normalen Unterricht lernen musste. Etikette natürlich, aber auch einiges über die Familiengeschichte. Nebenbei hatte ich noch die normalen Fächer, die auch auf Hogwarts unterrichtet werden. Letztes Jahr hab ich bei den Abschlussprüfungen mitgemacht, sonst hätte ich gar nicht herkommen dürfen. Es hätte ja sein können, dass ich im Stoff weiter hinten bin als ihr", erkläre ich. Dorcas kneift misstrauisch die Augen zusammen: „Das hört sich ja sehr nach den Slytherins an". Da muss ich ihr rechtgeben: „Nicht alle Reinblutfamilien bilden sich auch etwas darauf ein. Trotzdem ist es für alle wichtig, dass sie sich zu benehmen wissen. Die meisten lernen das schon von klein auf und fangen normal in Hogwarts oder einer anderen Zauberschule an. Ich habe zwar auch schon früh angefangen, aber ich musste auch mehr lernen. Zum einen das richtige Verhalten auf ausländischen Veranstaltungen, da wir zu den wenigen europäischen Adelsfamilien gehören. Zum anderen aber auch einiges an Familiengeschichte. Davon haben die meisten viel weniger, aber ich kann meine Vorfahren bis lange vor der Gründung Hogwarts' zurückverfolgen". „Das ist etwas, was ich nie verstanden habe", Mary schüttelt den Kopf, „warum müssen Reinblüter ihren Stammbaum auswendig können? Es wäre ja sinnvoll, die nächsten Verwandten zu kennen, damit man Inzucht vermeiden kann, aber die meisten Familien machen ja das genaue Gegenteil, um ihr Blut „rein" zu halten. Aber wozu musst du deine Vorfahren aus dem Mittelalter kennen?" Darüber muss auch ich erst nachdenken. Schließlich versuche ich, es ihr zu erklären, ohne mein Geheimnis zu verraten: „In vielen Familien tauchen Blutflüche oder besondere Fähigkeiten auf, die vererbt werden. Diese überspringen manchmal mehrere Generationen, manchmal ist jeder davon betroffen. Es ist also wichtig, die Familiengeschichte zu kennen und weiterzugeben, damit man die Betroffenen unterstützen kann. Es ist auch wichtig, die Entstehungsgeschichte zu kennen. Blutflüche können sich verstärken, wenn man mit jemandem Kinder hat, dessen Familie an der Entstehung schuld ist. Das ist auch ein Grund, warum ein Blutfluch zwei Familien für immer in Feindschaft leben lässt. Besondere Fähigkeiten sind oft durch Abmachungen mit mächtigen magischen Wesen entstanden und fordern meistens einen Tribut. Es kann hunderte von Jahren dauern, bis dieser bezahlt werden muss. Deswegen muss man die Geschichte weitergeben. Damit alle wissen, was sie erwarten kann", schließe ich meine Erzählung. Die Mädchen nicken nachdenklich, nur Lily fragt noch nach: „Was ist ein Blutfluch?" Das ist eine der Infos, die ich schon früh gelernt habe. In meiner Familie gibt es zum Glück keinen, aber es ist wirklich wichtig, darüber Bescheid zu wissen. Also kann ich es Lily schnell erklären: „Das ist ein Fluch, der weitervererbt wird. Meistens hat er zur Folge, dass man geschwächt wird und früher stirbt, es können aber auch noch andere Wirkungen dazukommen. Ich hab von einer Familie gehört, in der jedes Mitglied irgendwann zu einer Riesenschlange wurde. Es gibt sehr viele verschiedene Varianten, aber es ist nie gut und es gibt keinen Gegenfluch". „Es ist also wie eine Erbkrankheit bei Muggeln", stellt Lily fest. Ich zucke mit den Schultern. Meine Familie ist zwar sehr aufgeschlossen, aber sehr gut kenne ich mich in der Muggelwelt trotzdem nicht aus.
Normalerweise rede ich nicht so viel, vor allem nicht mit Leuten, die ich kaum kenne. Aber mir ist es wichtig, dass sie mir vertrauen, obwohl ich aus einer uralten Reinblutfamilie stamme. Ich weiß, dass die Gryffindors ihre Vorurteile überwinden können, schließlich habe ich die Geschichte von Sirius Black gehört und heute habe ich ihn selbst als Teil der Gemeinschaft gesehen. Aber wenn ich offensichtlich Geheimnisse vor den anderen habe, dann werden sie mir nicht so leicht vertrauen.
Meine Rede hat die vier Mädchen offensichtlich zufriedengestellt, auch wenn Lily mich noch etwas unsicher ansieht. Ich schätze, ich werde ihr einfach beweisen müssen, dass ich wegen ihrer Herkunft wirklich nichts gegen sie habe.
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Wölfe wie wir
FanfictionRachel Kathleen Luna ist ein Werwolf. Obwohl, eigentlich ist sie keiner. Es ist kompliziert. Trotzdem hilft ihr diese Geschichte dabei, Anschluss zu finden, als sie nach einigen Jahren Privatunterricht in der fünften Klasse einsteigt. Nicht leicht f...