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Der letzte Brief von Silly ist in der letzten Woche vor Weihnachten angekommen. Zum Glück, so muss ich nicht ganz so lang warten, bis ich meine Infos bekomme. Es ist zwar nicht sicher, dass Silly etwas herausfindet, aber meine Familie hat gute Kontakte.

Natürlich freue ich mich nicht nur deswegen auf Weihnachten. So lange war ich noch nie von meiner Familie weg, und ich vermisse sie. Nur Seth war die letzten Jahre so selten zuhause, weil er noch in Hogwarts war. Außerdem wird der Stoff immer schwerer und ich muss mich ganz schön ranhalten, um mitzukommen. Ich bin zuhause zwar gut unterrichtet worden, aber durch die vielen Zusatzfächer, die ich als Mitglied einer Adelsfamilie hatte, sind die Schulfächer manchmal etwas kurz gekommen. Die Ferien sind also sehr willkommen, bevor es danach in doppelter Geschwindigkeit weitergeht, weil die ZAG-Prüfungen nahen.

Zuhause angekommen, bringe ich erstmal den Koffer in mein Zimmer. Dann laufe ich über die Treppe wieder ein Stockwerk nach unten ins Wohnzimmer. Kurz begrüße ich meine Familie, dann öffne ich die Balkontür und springe hinaus. Im Sprung verwandle ich mich in einen Wolf, danach laufe ich erstmal eine Weile durch den Wald. Das ist wahrscheinlich das, was ich am meisten vermisst habe. Bisher habe ich noch nicht die Möglichkeit gefunden, das Porträt aufzusuchen, von dem Silly mir geschrieben hatte, also musste ich mich weiterhin heimlich im Badezimmer verwandeln. Es war nicht wirklich schlimm, schlafen konnte ich dort genauso und die Gefahr, beim Hinein- oder Hinausschleichen erwischt zu werden, war praktisch nicht vorhanden. Außerdem waren insgesamt nur drei Vollmonde bisher, weil im November eine Mondfinsternis war. Bei dieser konnte ich zwar nicht schlafen, aber ich musste mich nicht verwandeln.

Im nächsten Jahr will ich auf jeden Fall einen Weg finden, um unbemerkt nach draußen zu kommen. Die vier Monate ohne eine Möglichkeit, mich zu verwandeln, waren fast nicht auszuhalten. Ich muss meine Wolfsseite öfter nach außen kehren. Vor allem, weil ich das Gefühl habe, dass ich weniger Mensch als Wolf bin. Deshalb ist es umso schöner, jetzt endlich wieder frei durch den Wald zu streunen.

Nach einigen Kilometern im Laufschritt kehre ich wieder um und mache mich etwas gemächlicher auf den Weg zurück nach Hause. Wieder springe ich durch die offene Balkontür hinein. Das ist zwar nicht ganz einfach, weil er einen Meter über dem Boden ist, aber als Wolf habe ich ganz schön starke Hinterbeine. Nach der Landung verwandle ich mich wieder zurück, stehe auf und gehe in die Küche. Grandma steht am Herd und sorgt dafür, dass das Abendessen nicht anbrennt, Grandpa, Silly und Mum sitzen schon am gedeckten Tisch. Ich setze mich auch dazu, nachdem ich einen kurzen Blick in Richtung Essen geworfen habe. Leider konnte ich nicht sehen, was es gibt, aber normalerweise gibt's am Abend vor Weihnachten irgendetwas Einfaches. Wahrscheinlich einen Riesentopf Nudeln mit Fleischbällchen oder einer Fleischsoße.

In dem Moment höre ich Seth die Treppe hinunterpoltern. Wie üblich ist er dabei viel zu schnell, meistens kracht er dann gegen die Küchentür, um sich abzubremsen. Aber nicht heute. Genau im richtigen Moment geht die Tür auf, Seth stolpert in Höchstgeschwindigkeit herein und läuft gegen den Tisch. Empört dreht er sich um und schaut zu Dad, der grinsend in der Tür steht. Offensichtlich hat Dad die Tür aufgemacht, sodass Seth sich nicht mehr bremsen konnte. Nicht nur ich muss jetzt lachen.

Erst als das Essen auf den Tisch kommt, hören wir auf. Augenblicklich herrscht gefräßige Stille, während die Töpfe immer leerer werden. Als wir fertig sind und die Töpfe und Teller Richtung Waschbecken fliegen, ist der Lautstärkepegel sofort wieder oben. Ich muss schmunzeln. Regel Nummer Eins bei Familie Luna: Egal was passiert, gib uns Essen, und wir sind ruhig. Das liegt vor allem daran, dass wir als Wölfe Riesenportionen verdrücken können und es schnell wieder verbrennen. Wenn wir also die Gelegenheit haben, viel zu essen, dann wird diese auch genutzt. 

Wölfe wie wirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt