Prolog

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„Ich habe immer geglaubt, dass ich genau weiß, was ich will. Heute bin ich 183 und sonst nicht besonders viel. Mein Leben lang habe ich gesucht und gegraben, zugeschüttet und verdrängt. Zeit zum Zurückdrehen habe ich nicht, und schon gar keine Kraft. Darum würde ich mich freuen, wenn du mich eine Minute reden lässt. Ich weiß, ich habe viel falsch gemacht, und ich weiß, das tut dir weh. Aber zurückkommen werde ich nicht.

Deswegen, hör mir jetzt gut zu, denn morgen ist es vielleicht schon zu spät: Bitte geh deinen Weg. Wenn jemand meint, dass du das nicht packst und das nichts wird, dem sagst du: Schön, dass du heute schon weißt, was morgen vielleicht passiert. Egal, ob du Drachenforscher oder Zauberstabmacher wirst, steh zu dir, zu deinen Fehlern und auf beiden Füßen.

Ich glaube ja, dass es doch so einfach ist, wie es immer klingt. Nur manchmal braucht es jemanden, der es dir sagt. Frei bist du nur dann, wenn du nicht weißt, wie es wird. Akzeptier, dass du am Schiff nur mitfahren kannst. Du wirst es nicht steuern".

Langsam schwindet meine Kraft, aber es gibt noch etwas, dass ich meinem Urenkel geben muss. Das, was mir auch meine Urgroßmutter an ihrem Sterbebett gegeben hat, bevor sie mich vor fast 170 Jahren für immer verlassen hat. Wobei – für immer? Bald werde ich sie ja wiedersehen. Ich spüre, dass der Tod nach mir greift. Aber er muss noch warten. Bald werde ich mit ihm gehen, aber es gibt noch etwas, das ich zu erledigen habe. Also erhebe ich meine Stimme wieder: „In der Mansarde ist eine kleine Holzkiste. Du hast mich immer gefragt, was ich darin verstecke. Diese Kiste ist schon alt, musst du wissen. Meine Urgroßmutter hat sie mir bei ihrem Tod vermacht, und sie hat sie von ihrem Großvater bekommen. Alle unsere Vorfahren haben sie bei ihrem Tod an ihren jüngsten Nachfahren gegeben. Du musst diese Tradition nicht fortführen. Aber du hast die Möglichkeit dazu. Ich schenke dir meinen Schlüssel".

Mit diesen Worten streife ich mir die lange Kette über den Kopf, an der ein kleiner, silberner Schlüssel baumelt. Ein letztes Mal lächle ich meinem Urenkel zu, bevor ich endlich die Hand des Todes ergreife, um ihn zu begleiten. 

Wölfe wie wirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt