Kapitel 32

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𝐌𝐄𝐑𝐋𝐈𝐀𝐇

Die Hoffnung darauf dass Jaxon doch ein besserer Mensch sein wird, verpufft mit jeder einzelnen Träne die in diesem Moment über meine Wange fließt.

May ist schon länger zurück ins Hauptgebäude verschwunden und ich sitze schon wieder wie ein einziger Trauer Kloß, auf dieser morschen Holzbank und zweifle alles in meinem Leben an.

Wie könnte ich das auch nicht?
Meine Situation ist wohl so ein Ausnahmezustand, dass ich mehr als verletzlich sein darf, zumindest rein rhetorisch.

Ich wische mir mit meinem Ärmel die tränenüberströmten Wangen ab und schlage das Buch auf. In Gedanken blättere ich darin herum und stoße zum Ende hin wieder auf das Handy.
Vorsichtig streifen meine kalten Finger die glatte, glasige Oberfläche, es fühlt sich an als könnte ich dieses Gerät mit einer einzigen falschen Ausführung zerstören.

Es juckt mir in meinen Fingerkuppen das Handy rauszunehmen und so weit wegzuwerfen wie es nur geht, einfach um diese neu gewonnene Last wieder loszuwerden.

Seufzend schlage ich das Buch dann aber doch wieder zu, da es mir nicht sonderlich schlau erscheint die einzige Möglichkeit auf Kommunikation von außerhalb wegzustoßen.

Gerade bin ich dabei ebenfalls zurück ins Hauptgebäude zu schlendern, als ich ein komisches „psst" höre.
Es hört sich an wie von einem Menschen, weswegen ich mich zur Bank zurückdrehe und alles mit zusammen gekniffenen Augen absuche.
Allerdings ziemlich erfolglos, weswegen ich meinen Weg fortsetze.

„Hey!", zischt eine tiefe Stimme.
Das habe ich mir definitiv nicht eingebildet!
Hektisch drehe ich mich um meine eigene Achse und sehe eine Gestalt auf der Mauer sitzen, die den Innenhof umrundet.

„Komm her, los", ruft der in schwarz gekleidete Mensch.
Leicht zögernd trete ich von einem Fuß auf den anderen und drücke mit den Händen so fest in mein Buch, dass meine Handknochen weiß hervortreten.

Schlussendlich entscheide ich mich doch dazu der Person näher zu kommen und bin mir auf ungefähr zwei Metern Abstand sicher, dass es ein Mann sein muss.
Die maskulinen Hände und ziemlich großen Füße, die in schwarze Boots gehüllt sind, sprechen da für sich.

„Wer bist du?", wispere ich und schaue hektisch in Richtung Hauptgebäude, wenn uns jemand sehen sollte sind wir vielleicht beide tot.

„Nicht wichtig, ich soll nur den Laufburschen spielen und dich einsammeln", erläutert er mir schulterzuckend, als würde ich gerade meine englisch Note bekommen.

„Wie bitte?
Ich werde erstens, nicht mit einem Unbekannten mitgehen und zweitens für wen soll ich denn eingesammelt werden, wie du es so schön sagst", motze ich den Fremden an und stelle mich mit erhobenem Kinn protestierend vor ihn.

„Vielleicht bin ich dir gar nicht so unbekannt", murmelt der Fremde und hebt sich die schwarze Kapuze vom Kopf, die sein Gesicht vor kurzem noch in Schatten gehüllt hat.

Die Kapuze fällt und ich spüre wie meine Kinnlade runterfällt, wie in diesen ganzen Filmen.
Dieser Mann ist Jaxon wie aus dem Gesicht geschnitten!
Die rabenschwarzen Haare, die gerade Nase, die sinnlichen Lippen, allein seine Augen unterscheiden sich von seinen.

Die von Jaxon sind so blau wie Kristalle, so kalt wie der eisige Winter und so tief wie der pazifische Ozean.
Die Augen meines Gegenübers sind in ein so wunderschönes braun gehüllt, dass ich mich darin verlieren möchte und nie wieder auftauchen will.
Sie sind nicht so eisig wie die von Jaxon, dafür aber umso geheimnisvoller.

„Sag Bescheid wenn du fertig gestarrt hast, عروسک", haucht er mit einer Stimme, der ich stundenlang zu hören könnte, weswegen ich sein nicht identifizierbares Wort noch mehr verinnerliche.

„Hä?", frage ich mit hochgezogener Augenbraue nach.

Er sieht mich schmunzelnd an und antwortet : „Es ist Persisch."

„Schön, und was bedeutet es?", hacke ich ungeduldig nach.
Warum sagt er mir nicht einfach direkt was es bedeutet, dann müsste ich nicht normal so Dämlichkeit nachfragen.

„Lern die Sprache Prinzessin", gibt er schnippisch zurück und springt von der Mauer runter.

Ich verdrehe die Augen über seine Aussage, weiche aber kurz danach ängstlich zurück, da ich nicht erwartet hatte, dass er zu mir herunter kommt.

„Schluss mit den Albereien.
Entweder du wirst mit mir kommen oder weiter in diesem Gefängnis bleiben, deine Chance, entscheide schnell", befielt er mir beinahe und ich bin überrascht von dieser harten Stimmlage.

„Woher weiß ich, dass du mich nicht auch in ein Gefängnis steckst?", frage ich hartnäckig und blicke langsam zu ihm hoch.

Seine Gesichtszüge verziehen sich zu einem genervten Ausdruck.
„Ich habe gesagt eine schnelle Entscheidung", erläutert der Fremde mir nochmal, wobei er jetzt aber ziemlich sauer klingt.

Ich überschlage spontan meine Situation und überlege ob es besser wäre, mich den Szenarien hier zu stellen oder einfach mit einem gut aussenden Fremden abzuhauen, der Jaxon zwar verwechselnd ähnlich sieht, trotzdem aber ein Axtmöder sein könnte.

„Dein Name!", presse ich aus mir heraus, als er gerade wieder zurück über die Mauer klettern möchte.

„Was?", erkundigt er sich und dreht sich nur mit dem Gesicht wieder leicht zu mir nach hinten, sein Körper bleibt in Richtung Mauer gerichtet.

„Ich möchte nur deinen vollständigen Namen hören, dann werde ich dich begleiten", erwidere ich mutig und beobachte wie er sich Kopfschüttelnd wieder zu mir dreht.

Es sieht aus als würde in seinem Kopf so einiges passieren, bis er wieder zum sprechen ansetzt.
„Du kriegst den Vornamen und dann wirst du gehen", legt er fest, ohne mich noch einmal nach meiner Meinung zu fragen.

Nickend stimme ich seiner Aussage zu und trete näher an ihn heran, unwissend ob ich gerade den größten Fehler meines Lebens begehe oder alles besser wird.

„Komm her", winkt er mich streng zu sich und ich bin gezwungen mich direkt neben ihn an die Mauer zu stellen.

Sie ist ungefähr 1.50 hoch, weswegen ich leider überhaupt nicht ahnen was dahinter auf mich wartet.
Der Fremde hingegen, kann mit seiner Körpergröße von ungefähr zwei Metern fast so eine gute Aussicht erfassen, wie ein Vogel auf einem hohen Baum.

Er beugt sich in die Hocke und sagt : „Setzt dich auf meine Schultern, möglichst ohne Protest bitte."

Ich gebe bloß ein „mimimi" von mir und frage mich wie ich schon so vorlaut gegenüber einem Mann werden kann, den ich vor fünf Minuten kennengelernt habe.

„Ich heiße Liam", presst er hervor und im nächstes Moment sitze ich schon auf der roten Backsteinmauer.

You're my overdoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt