Kapitel 41

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𝐌𝐄𝐑𝐋𝐈𝐀𝐇

Das Essen verlief still, vielleicht etwas zu still. Mein Plan, dass Sienna und Jack sich vielleicht in eine angeregte Unterhaltung verwickelten, scheiterte. Was wiederum an der stotternden Sienna lag, die kein Wort herausbringen konnte, aber auch an Jack, der nicht mal für fünf Minuten versuchte, sie zu verstehen.

Also übernahm ich das Reden mit meiner Freundin und Jack unterhielt sich über Morde, Kopfgelder und Waffen quer über den Tisch. Dabei blieb seine arrogant angehauchte Aura nicht außen vor, die jüngeren Mädchen, ungefähr so alt wie ich selber, fuhren total auf sein Gelaber mit den anderen Jungs ab.

Als ich damals für Justin Bieber und Mike Singer geschwärmt habe, hätte ich es sicher nicht anziehend und sexy gefunden, wenn das ihre Gesprächsthemen wären.

Schlussendlich richtete sich die Aufmerksamkeit des Mannes aber doch wieder auf uns.
„Wir sollten gehen, Liam wartet unten schon."

Nickend warf ich ein: „Aber Sienna kommt mit. Es muss schließlich ausgeglichen sein."

Worauf ich damit abspielte, schien keiner von den beiden zu verstehen, es wurde aber auch nichts hinterfragt.

Zu dritt fuhren wir ganz unten in den Keller. Der erste Eindruck des Trainingsraumes war erschlagend. Es erinnerte mich ein wenig an ein Boxstudio, nur mit mehr Kram halt.

Alles war in schwachen Farben wie beige und weiß gehalten, wobei die Boxsäcke in dem tiefen Schwarz sehr eindrucksvoll erschienen.

Liam kam direkt auf uns zu und empfand es anscheinend nicht für nötig, Sienna und mich zu begrüßen. Stattdessen richtete er das Wort direkt an Jack.

„Ich werde hier mit Merliah trainieren, check die Kameras im Nebenraum, Amina schafft das heute nicht mehr", teilte Liam seinem Kumpel mit.

„Wenn das so ist", erhob ich vor Jack das Wort, „kann Sienna dir ganz bestimmt behilflich sein!"
Kündigte ich begeistert an und schob die eben erwähnte näher zu Jack und stellte mich selber mehr zu Liam, gegen meinen Willen.

Die Jungs tauschten einen verwirrten Blick, bis Jack Sienna andeutete, ihm zu folgen. Sie warf mir einen wütenden Blick über die Schulter zu und ich konnte mir ein Kichern nicht verkneifen.

Die beiden verschwanden hinter einer massiven Metalltür und ich trottete Liam hinterher.

„Das ist ein Boxsack", erklärte er mir und zeigte auf eines der schwarzen Teile.

Mit verschränkten Armen und gehobener Braue sah ich ihm verärgert entgegen.
„Ich bin nicht blöd."

„Ich wollte nur wissen, wie viel du weißt, schließlich kannst du nicht mal ein Handy bedienen", verteidigte er sich mit erhobenen Händen und sprach das Wort „Handy" so lächerlich einfach aus, wie es nur ging.

„Warum die schlechte Laune?", fragte ich misstrauisch nach und bin der Meinung, ihn durchschaut zu haben.

Er grinst zufrieden.
„Damit ich umso bessere habe, nachdem du völlig fertig auf dem Boden liegst."

„Ich hasse dich", grummelte ich und platzierte die Hände an der Hüfte, um auf seine Anleitung zu warten.

„Worauf wartest du?", war dementsprechend seine nächste Frage, was mich fast zur Weißglut trieb.

„Dass mich ein pinkes Einhorn abholt und in den Himmel fliegt, weit, weit weg von dir", trage ich theatralisch vor und bewege meine Arme passend zu der Aufführung.

Verwirrt glotze Liam mich an und ich fragte mich, ob das Wort „Humor" in seinem Leben wirklich so gar keine Bedeutung hat.

„Ich warte darauf, dass du mir sagst, was ich zu tun habe. Und glaube mir, den Satz hast du das letzte Mal von mir gehört", bringe ich trocken hervor und sehe ihm erwartungsvoll entgegen.

Etwas scheint in seinem Kopf zu klicken, denn leichte Röte steigt ihm wieder in die Wangen, vielleicht ein Zeichen dafür, dass er tatsächlich nachdenkt.

„Ach so", sagt er lachend, „ deine Aufgabe ist einfach Boxen zu lernen. Es ist die schnellste und effizienteste Methode in der Unterwelt. Wenn du das beherrscht gehen wir in den Ring, dann üben wir ausweichen und angehöriges."

„Du sagst mir also in diesem Moment, ich soll meine Zeit damit verbringen auf diesen Sack einzuschlagen?", hacke ich ungläubig und ziemlich angefressen nach.

„Richtig, du hast es begriffen. Ich zeige es dir einmal, dann übst du es, bis es sitzt. Außerdem solltest du auch außerhalb unserer Trainingszeiten üben, umso schneller du es kannst, umso besser kannst du dich selbst schützen", erklärte Liam mir.

Wobei sich das Argument, dass ich mich selber beschützen könne, verlockend anhört. Auf andere und ihren Schutz angewiesen zu sein, liegt mir nicht. Auf der Akademie habe ich gelernt, dass es mich einengt und zerstört.

„Dann zeig mal her", fordere ich motiviert und begebe mich in einen Winkel, in dem ich Liam gut beobachten kann.

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Es sind zwei Stunden vergangen, in denen ich Liam ungefähr jede zehn Minuten gefragt habe, wie lange ich das denn noch machen muss.

Meine anfängliche Motivation schwand schon nach den ersten zwei Minuten. Diese Scheiße ist unfassbar anstrengend, mehr als ich jemals gedacht hätte.

Allein der Fakt, dass es in einer Stunde Abendbrot gab, schien mich und meinen schweißgebadeten Körper in dieser Sekunde zu retten.

„Da ich glaube, dass du niemals in diesem Aufzug etwas essen wirst und dich nicht in zehn Minuten fertigmachen kannst, darfst du für heute gehen", erlöst mich Liam, der ebenfalls trainiert hat.

Nur bei ihm sah es deutlich eleganter und einfacher aus, als bei mir. Ich war dagegen eine Seerobbe, die sich immer wieder gegen den Boxsack schmiss.

„Erwarte kein Dank schön fürs Quälen", sprach ich hechelnd zu Liam, bevor ich mich umdrehte und ging.

Ich nahm sein teuflisches Grinsen wahr und die Antwort: „Für den Muskelkater darfst du dich morgen gerne bedanken."

Dafür wäre ich ihm liebend gerne an die Gurgel gegangen, aber da meine Kraft für keine Argumentation der Welt mehr reichte, beließ ich es einfach dabei und fuhr schwer atmend im Fahrstuhl hoch in die Zentrale.

You're my overdoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt