Kapitel 8

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Ich wachte viel zu früh auf. Heute habe ich mir vorgenommen, zu dem Weingut zu fahren und zu schauen, ob Dain da wirklich arbeitet oder ich mich nur verguckt habe. Das Weingut, welches ich gestern auf dem Foto gesehen habe, sah genauso aus wie das von seinem Vater damals. Ich weiß noch, wie Dain und ich immer verstecken zwischen den Weinreben gespielt haben und Ärger bekommen haben, wenn sein Vater uns dabei erwischt hat. Ich glaube immer noch, dass sein Vater mich nicht mochte. Er hatte bei mir damals immer so einen wütenden Ausdruck und hatte mir und Dain oft verboten uns überhaupt zu sehen, da Dain sich auf seine Zukunft hätte vorbereiten sollen. Dain hatte sich dann immer rausgeschlichen und mit Sicherheit verdammt viel Ärger bekommen, wenn er aufgeflogen wäre.

Während meines Frühstückes war ich total in Gedanken versunken. Das Brot, welches ich mir geschmiert habe, schmeckte nach nichts und ich bekam kaum einen Bissen runter. Dafür war ich einfach viel zu aufgeregt. Ich kann all das einfach immer noch nicht glauben und vielleicht will ich das auch nicht. Das Brot würgte ich irgendwie herunter und schnappte mir dann noch eine Flasche Wasser aus der Küche. Zusammen mit dieser ging ich in mein Zimmer und stopfte ein paar Sachen, die ich brauchen könnte, in einen Jutebeutel. Dazu zählten die Flasche Wasser, mein Portemonnaie, ein Deo und mein Planer. Zudem griff ich noch nach ein paar Bonbons, die auf meinem Schreibtisch lagen. Ich glaube, ich könnte nämlich ein wenig Zucker über den Tag hinweg brauchen, um mich in Fahrt zu halten und nicht einfach im Weingut umzukippen. Das wäre mehr als nur peinlich. Ich habe auch das Gefühl, dass ich nicht so nervös sein sollte, aber irgendwie bin ich es schon. Ich werde heute Dain wiedersehen... Also vielleicht. Ich hoffe es.

Die Fahrt zum Weingut dauerte nicht lange, aber der genaue Weg dorthin war etwas schwierig zu finden, denn das Gebäude liegt inmitten von mehreren Feldern, die alle Weinstöcke übersehen waren. Überall, wo man hinblickt, nur Weinstöcke. Es gab zwar eine kleine geteerte Straße, die zum Weingut führte, aber die war so eng, dass sie manchmal einfach nicht zu sehen war, insbesondere wenn man um eine Kurve fahren musste. Oft genug hatte ich das Gefühl, dass gleich die Straße aufhören würde und ich nicht mehr weiter komme. Den Weg habe ich zum Glück auch nur durch Google Maps gefunden, ich hätte sonst nicht weiter gewusst. Das Weingut lag oben auf einem Berg und dadurch, dass ich so langsam fuhr, um einen Überblick zu haben, schaffte mein Opel Karl es kaum diesen Berg hoch. Oben, aber angekommen, gab es einen großen Parkplatz, auf dem mehrere Autos standen. Ich parkte meinen Wagen und machte den Motor erstmal aus. Ich habe es tatsächlich hierhin geschafft. Erst jetzt, da der Wagen steht und durch den Motor keine Vibrationen durch meinen Körper gingen, merkte ich, wie verschwitzt meine Hände und auch das Lenkrad waren. Angewidert verzog ich das Gesicht und schnappte mir die Packung Taschentücher aus dem Handschuhfach. Mit zitternden Händen fummelte ich ein Taschentuch aus der Packung und trocknete damit mein Lenkrad und meine Hände. Es war nicht viel Schweiß, aber es war dennoch genug, um mich zu ekeln. Bevor ich das Auto verlasse, holte ich noch die Wasserflasche aus meiner Tasche und trank ein Schluck, denn so trocken wie meine Kehle war, würde ich gleich kein Wort rausbekommen. Ich stieg aus und schloss mein Auto ab. Mein Aussehen checkte ich noch einmal mit der Innenkamera meines Handys und dann bewegte ich mich auf das Weingut zu.

Die anderen Wagen, die hier standen, sahen alle ziemlich teuer aus. Auffallend hier war besonders der SUV, der mit Abstand der höchste Wagen hier war. Welches Auto hiervon wohl Dain gehört? Die Eingangstür war aus dunklem Holz und war definitiv höher als 2 Meter, aber als ich gerade an den Türgriff fassen wollte, hielt ich inne. Sollte ich das hier wirklich tun? Was ist, wenn man mich für eine Stalkerin oder so hält? Ich drehte mich langsam um und war schon bereit wieder zu gehen. Kylie, du kannst jetzt nicht einfach gehen! Ich schaffe das! Ich stehe jetzt schon vor dieser Tür und werde da jetzt auch reingehen, sonst war alle Mühe umsonst! "Ich kann das!" flüsterte ich mir motivierend noch einmal zu und dann drehte ich mich wieder zur Tür. Meine Hand zittert immer noch, als sie sich auf die Türklinke legt und sie nach unten drückt. Langsam zog ich die Tür auf und trat ein. Das Weingut war anders als ich es in Erinnerung hatte. Mein Blick fiel sofort auf eine große Sitzecke zu meiner rechten Seite. Eine schwarze Ledercouch, die übers Eck ging, stand dort und war umgeben von ein paar weiteren Ledersesseln. Zusammen bildeten sie ein Rechteck, das durch den darunter liegenden Teppich noch mal deutlich wurde. In der Mitte stand ein kleiner Tisch mit Zeitschriften drauf, genau konnte ich das allerdings nicht erkennen. Vorsichtig schob ich mich weiter in das Gebäude rein und schloss die Tür hinter mir. Genau gegenüber von mir gab es zwei Treppen. Die auf der linken Seite schien nach oben zu führen und die auf der rechten Seite nach unten. Die Wände und der Boden bestanden immer noch, genauso wie damals, als Holz, es wirkte nur etwas neuer. Es leuchtete mehr als damals, wenn man das so nennen konnte. Links an der Wand war so etwas wie ein Empfang. Hinter dem hohen Tresen saß eine Frau, die auf dem Computer etwas zu tippen schien. Ich ging zu ihr, in der Hoffnung, dass sie mir weiterhelfen konnte. "Entschuldigung?" Die Frau schaute mich an. Sie trug eine Weiße Bluse und hatte eine schmale Brille auf der Nase. Ich würde sie vielleicht auf Mitte oder Ende dreißig schätzen. "Wie kann ich ihnen helfen?"

"Ich hätte da mal eine Frage. Arbeitet hier zufällig ein gewisser Dain Lindström? Ich hatte auf ihrer Internet-", die Frau brach in ein schallendes Gelächter aus. Habe ich was Falsches gesagt? "Der Herr Lindström ist der Besitzer dieses Weinguts und somit auch mein Chef." Es sah so aus, als würde sie sich nicht mehr einkriegen können. "Wie kann ich dir denn helfen?" Sie lächelte mich nett an. "Oh ähm, ich wollte fragen, ob ich ihn vielleicht kurz sprechen könnte, weil, wissen sie, ähm, er ist mäßig ein Freund von mir aus der Kindheit und ich dachte mir, es wäre vielleicht nett, wenn wir uns mal wieder sehen würden."

"Du hast nicht zufällig einen Termin, oder?" Ich schüttelte mit dem Kopf. "Dann wirst du ihn leider auch nicht sprechen können. Zudem scheint das etwas ziemlich Privates zu sein und ich glaube nicht, dass Herr Lindström sich dafür während der Arbeitszeit Zeit nehmen wollen würde. Du solltest ihn für sowas vielleicht eher in seiner Freizeit antreffen." In ihrem Gesicht lag ein entschuldigender Ausdruck. "Wann macht er denn heute Feierabend?"

"Wahrscheinlich erst um 20 Uhr." Verdammt, es war gerade mal zehn nach zwölf, solange kann ich doch nicht warten. "Vielleicht hast du aber auch Glück und kannst ihn nach seinem jetzigen Termin abfangen, er hat dann etwas Pause bis zum nächsten Termin."

"Wirklich? Das wäre schön." Sie wollte gerade wieder das Wort ergreifen, als sie von zwei Stimmen unterbrochen wurde. Zwei Männer kamen die Treppe hinunter. Beide hatten einen Anzug an. Der größere von den beiden hatte einen grauen Anzug, braune Haare, die an den Seiten kurz und oben zurückgekämmt waren. Der Anzug des anderen war schwarz und sein Kopf war eher kahl. Er strahlte aber über beide Ohren. Vor der Treppe blieben sie stehen und drehten sich zueinander. Der kleinere von beiden fing wieder an zu reden. "Es hat mich wirklich gefreut, mit ihnen Geschäfte zu machen, Herr Lindström."

"Die Freude ist ganz meinerseits, Herr Saxon." Als er ein leichtes Lachen von den Lippen kommen ließ, lief mir ein Schauer über meinen Rücken. Seine Stimme ist über die Jahre ziemlich tief geworden. Herr Saxon verabschiedete sich und ging an mir und der Empfangsdame vorbei. Danach sah Dain zu mir. "Herr Lindström, schön, dass Sie ein Geschäft machen konnten. Diese junge Dame ist hier", dabei wurde auf mich gedeutet. "Sie wollte gerne mit ihnen reden." Dain musterte mich. Sein Blick blieb dann auch an meinem Ausschnitt hängen. Meine Hand wanderte daraufhin augenblicklich zu der Kette, die ich von ihm bekommen hatte. Ich schaffte es immer noch nicht, ein Wort über die Lippen zu bekommen. Seine Augen wanderten dann wieder hoch und blickten genau in meine. Dieses Blau, es wirkte so distanziert und kalt. Ich öffnete den Mund, schloss ihn dann wieder, nur um ihn sofort wieder zu öffnen. "Dain, ich-"

"Verschwinde." Was? "Aber Herr Lindström...", fing seine Empfangsdame an, aber Dain drehte sich um und ging die Treppe wieder hoch. Sie folgte ihm, blickte aber noch einmal zu mir zurück und sah ziemlich verzweifelt aus.

Mein Blick war wie gebannt auf den Punkt geheftet, auf dem Dain gerade noch stand. Er wollte mich nicht sehen. Was hätte ich schon erwarten sollen? Ich hätte wissen sollen, dass es kein in die Arme fallen und Freudentränen weinen werden würde. Trotzdem hätte er mir auch netter sagen können, dass er mich nicht sehen will. Er scheint mich ja erkannt zu haben. Meine Wangen wurden warm und ich merkte eine Träne. Sie traf auf meine Lippen und schmeckte salzig. Ihr folgten weitere, bis meine Schultern anfingen zu beben. Was habe ich in der Vergangenheit falsch gemacht, um so einen Schlag ins Gesicht von ihm zu bekommen? Ich machte auf dem Absatz kehrt und rannte fast wieder zu meinem Auto. Ich will nur noch hier weg. Kaum hatte ich mich hingesetzt, war auch schon der Motor gestartet und ich fuhr los. Immer mehr Tränen rannten über meine Wangen. Bevor ich den Parkplatz verließ, schaute ich noch einmal in den Rückspiegel. Die Empfangsdame kam gerade aus der Tür und lief mir ein Stück hinterher. Ich trat auf Gas. Einfach nur hier weg!

Als ich weit genug vom Weingut entfernt war, fuhr ich rechts ran und hielt an. Wie konnte ich nur so dumm sein und denken, dass Dain mich wiedersehen wollte? Er ist damals plötzlich verschwunden. Ich ließ meinen Kopf verzweifelt auf das Lenkrad sinken und versuchte mich zu beruhigen. Es tat einfach weh, so von jemandem, der dir damals mehr als alles andere bedeutet hatte, abgelehnt zu werden. Er hat mich mit seinen kalten Augen nur gemustert und dann nur ein Wort gesagt, aber es tut einfach weh. Als ich wenigstens die Tränen in den Griff bekommen hatte, griff ich wieder zu meiner Taschentuch-Packung und putzte mir die Nase. Mit einem weiteren Taschentuch tupfte ich mir die Augen trocken. Ich trank noch einen Schluck Wasser aus der Flasche und atmete tief durch. Ich musste jetzt nur noch nach Hause kommen. Der Motor heulte auf, als ich den Schlüssel im Zündschloss drehte und ich wieder auf die Straße fuhr. Einfach nur noch nach Hause.



Ich will dich nicht verlierenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt