Kapitel 21

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Es war Samstag und ich stand gerade in unserem Aufenthaltsraum im Café. Meine Haare sahen aus wie ein Vogelnest und ich versuche gerade alles, damit sie einigermaßen besser aussehen. In den letzten Wochen war ich so gut wie kaum hier. Die meiste Zeit brauchte ich nicht hier zu sein und einen Teil hatte sogar Urlaub. Stacy war mit mir zu meiner Chefin gegangen und hat sie darum gebeten, mir unbedingt Urlaub zu geben. Ich verstehe bis jetzt nicht, warum ich das nicht alleine machen konnte. Generell war sie in den letzten Wochen immer an meiner Seite gewesen. Sie hat mich richtig gut von dem Vorfall mit Dain abgelenkt. Sie hatte sich sogar einen Account auf Instagram erstellt und ihn gefunden, nur um ihm dauerhaft auf die Nerven zu gehen. Alleine der Gedanke daran bringt mich zum Lächeln. Jedes Mal, wenn wir, oder besser gesagt, sie blockiert wurde, wurde einfach ein neuer Account erstellt und das Ganze fing von vorne an. Stacy weiß allerdings nicht, wann sie stoppen sollte, denn sie verschwendete jetzt immer noch ihre Zeit damit und mich fing es an zu nerven. Ich weiß, Dain hat sich Scheiße verhalten, aber es wird sich jetzt auch nichts mehr daran ändern, wenn sie ihm dauerhaft schreibt. Leicht seufzte ich. Meine Haare saßen immer noch nicht perfekt, aber es sah schon einmal besser aus. Ich sah mich noch einmal im Spiegel an und entschied dann, dass es so passt und ich nichts mehr ändern muss. Mein Blick blieb an meinem Brustbein hängen. Es war seltsam, die Kette nicht mehr zu tragen. Manchmal erwische ich mich sogar dabei, wie ich aus Gewohnheit an ihr herumspielen möchte, aber ich griff immer ins Leere. Ich sollte mir einfach eine neue kaufen.

Ein wenig später verließ ich den Raum und legte mir noch meine Schürze um. Es war nicht viel los. Vereinzelt saßen ein paar Kunden im Außenbereich, hier im Innenbereich saß nur ein Paar. Die beiden konnten die Hände nicht voneinander lassen. "Kann ich irgendwas rausbringen oder gibt es jemand Neues?", fragte ich meine Kollegen, die hinter der Theke standen. "Eh, ja, das Tablet dort muss zu Tisch 10." Mehr brauchte sie nicht zu sagen. Ich huschte hinter die Theke, nahm mir das Tablet und ging aus. Tisch 10 stand im Außenbereich und an ihm saß eine ältere Frau mit zwei jungen Kindern. Ich schätze mal, dass sie die Großmutter der beiden ist. Freundlich begrüßte ich die drei, da ich sie noch nicht gesehen hatte, und stellte ihre Bestellung auf den Tisch. Bevor ich ging, wünschte ich ihnen noch einen guten Appetit und verschwand wieder rein.

Über die Zeit kamen immer mehr Kunden, aber andere verschwanden auch wieder. Es war also nie wirklich komplett voll, was wahrscheinlich daran lag, dass heute nicht dauerhaft die Sonne schien. Gerade als ich eines der Tablets wieder zur Theke brachte und eine Bestellung abgab, hörte ich meinen Namen. Ich drehte mich um und sah einen kleinen Jungen mit leuchtend blauen Augen und schwarzen kurzen Haaren. Noah. "Hey, kleiner, was machst du denn hier." Ich lächelte ihn freundlich an. Wenn Noah hier war, kann es nur bedeuten, dass Dain auch hier ist. Und als würde ich gerade vom Teufel sprechen, steht auf einmal besagter Mann vor mir. Er hatte keinen Anzug an, wie sonst immer, als ich ihn gesehen habe, sondern er trug eine helle, ausgewaschene Jeans mit einem schwarzen T-Shirt. Er sah gut aus. Verdammt gut, das Shirt spannte um seine Arme herum und man konnte eindeutig erkennen, dass er trainierte. Verdammt noch mal, Kylie, er soll dir nicht gefallen, nicht wenn er so mit dir umgeht, wie er es immer getan hat! "Hallo, Kylie." Er lächelte mich zaghaft an. "Hi", war alles, was ich herausbrachte, bevor ich seinen kleinen Bruder noch einmal anlächelte, ihm durch die Haare wuschelte und mich anschließend umdrehte und wieder zur Theke ging. Ich zog eine meiner Kolleginnen zur Seite. "Sag mal, kannst du dich vielleicht um die beiden da vorne kümmern? Ich übernehme so lange deinen Posten."

"Klar, kein Ding", antwortete sie. Sie gab den beiden etwas Zeit, sich die Karte anzusehen und ging dann zu ihnen, ich brütete währenddessen Kaffee auf. Zwischenzeitlich sah ich immer mal wieder auf und beobachtete sie. Dains Blick lag die meiste Zeit auf mir und Noah plapperte ununterbrochen vor sich hin. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Dain seinem kleinen Bruder nicht einmal zuhörte. Als der Kaffee fertig war, machte ich mich dran, ein paar Tische abzuräumen und wieder sauberzumachen. Das Paar von vorhin hat eine ganz schöne Sauerei hinterlassen, weil sie sich gegenseitig Sahne auf die Nase und sonst wohin schmierten. Der Tisch der beiden klebte dementsprechend auch. Genervt wischte ich den Tisch ab, nachdem ich die Gläser und Teller abgeräumt hatte. Wie aus dem Nichts stand plötzlich eine Person hinter mir zu stehen. "Sag mal, Kylie", fing er an. Ich sah Dain ins Gesicht. "Könnten wir vielleicht mal zusammen unter vier Augen sprechen?"

Ist das sein Ernst?

"Nein, ich bin gerade am Arbeiten, das siehst du doch, oder?"

"Ja, schon, aber-"

"Nichts aber. Du hattest deine Chance, mit mir zu sprechen, Dain. Du wolltest sie aber nicht nutzen." Ich sah ihm direkt in die Augen. "Ich wollte nicht-"

"Es ist mir egal, was du wolltest und was nicht. Du hattest deine Chance und ich habe keine Lust mehr darüber zu diskutieren. Lass mich in Ruhe." Er öffnete seinen Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn dann aber wieder. Stattdessen nickte er einfach nur und kehrte an seinen Tisch zurück. Was denkt der sich eigentlich? Seine Stimmungsschwankungen sind schlimmer als von einer schwangeren Frau und selbst die haben sich zumeist besser unter Kontrolle. Er bringt mich noch zur Weißglut. Hinter der Theke bekam ich komische Blicke von meinen Kollegen. "Was?", fragte ich in die Runde. "Der Typ war letztens schon hier. Der hatte nach dir gefragt."

"Wenn er meint, das noch einmal zu tun, bitte gib ihm keine Auskunft", bitte ich. "Natürlich nicht, aber wäre es nicht besser, ihm einfach Hausverbot zu geben? Ich meine, der kommt dir ja schon ziemlich nahe." Ich winke ab. "Ach nein, sein kleiner Bruder ist gerne hier und zudem kann ich ihn dann jedes Mal aufs Neue zurückweisen und ich glaube, das könnte mir auf Dauer echt Spaß machen." Meine Kollegen lachten kurz. "Wenn es dir trotzdem zu viel wird, dann sag einfach Bescheid."

"Mache ich, danke."

Es war gerade nicht wirklich viel los, weswegen ich mir eine kleine Pause gönnte. Dain starrte mich immer noch an. Sein Bruder hatte inzwischen etwas schlechte Laune bekommen, denn das Lächeln, das seine Lippen umspielte, ist verschwunden. Wahrscheinlich, weil sein großer Bruder mir lieber seine Aufmerksamkeit schenkt, als etwas mit ihm zu machen. Ich starre zurück, vielleicht werde ich ihn so los. Ich versuchte sehr stark darauf zu achten, dass mein Gesicht keinerlei Emotionen preisgibt, denn das hat ihn absolut nicht mehr zu interessieren. Was er gerade dachte, wusste ich auch nicht. Seine Augen sind dunkler als sonst und ich war nicht nahe genug, um sie genauer sehen zu können. Ab einem bestimmten Punkt wandte Dain seinen Blick ab und sprach mit Noah, hören tue ich sie allerdings nicht. Da ich nun keinen Wettbewerb, wer kann am längsten den anderen anstarren, mehr am Laufen hatte und inzwischen wieder Gäste gegangen waren, machte ich mich mit meinem Tablet auf, das leere Geschirr einzusammeln und den Tisch abzuräumen. Draußen saß jetzt keiner mehr und es wurde langsam dunkler. Eigentlich war es relativ gemütlich hier, es war nie zu laut und gleichzeitig war der Platz hier windgeschützt. Ich hatte das Tablet gerade aufgefüllt und drehte mich um, um es wegzubringen, da rannte mir Noah in die Arme. "Wir gehen jetzt, hab noch einen schönen Tag, Kylie." Ich bedankte mich und wuschelte ihm noch einmal durch die Haare, ehe ich an den Brüdern vorbeiging und das Tablet wegbrachte. Seit wann war Noah so anhänglich? Der Kleine kennt mich nicht einmal. Versuchte Dain mich jetzt mit Noah zu ködern?

Ich will dich nicht verlierenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt