Kapitel 11

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Mein Wochenende verbringe ich damit, zu arbeiten. Gestern war Samstag und ich hatte den ganzen Tag im Café ausgeholfen und heute sah es nicht anders aus. Da heute Sonntag war, war auch ganz schön viel los. Seitdem ich hier angekommen war, bin ich nur am rumlaufen. Von der Theke zu einem der Tische und da es auch noch gutes Wetter war, waren die Tische draußen auch noch aufgebaut. Also noch mehr Kundschaft.

Ich stand gerade an der Theke und stellte die Bestellungen auf das Tablett, als ich sah, dass sich draußen an dem letzten freien Tisch noch zwei Personen hinsetzten. Gut, dann kann ich die Bestellung jetzt erst wegbringen, dann den einen Tisch hier drinnen abkassieren und dann zu den beiden neuen Gästen da draußen gehen. Somit haben die beiden genug Zeit, um sich die Karte anzuschauen. Wunderbar. Das Tablett war schwer, als ich es anhob. Es war voll, ich hätte kein einziges Glas mehr darauf quetschen können. "So, hier wären einmal ihre Bestellungen." Der Tisch vor mir war gefüllt mit einer Familie. Zumindest schätze ich das mal, denn es waren eine Frau, ein Mann und vier Kinder, wovon eins wahrscheinlich so im Alter von 14 oder so war und sich mehr für sein Smartphone interessierte als für das Geschehen am Tisch. Die drei jüngeren Kinder fingen total an zu kreischen und wurden hibbeliger, als ich ihnen ihren Kuchen vor die Nase stellte. Ich wünschte ihnen noch einen guten Appetit und wand mich ab. Der Tisch, der abkassiert werden musste, war direkt daneben. Angekommen, druckte ich ihnen die Rechnung aus, übergab sie der Frau und nannte ihr den Preis. Sie zahlte den genauen Preis und steckte mir dann noch mit einem Zwinkern 2€ zu. "Kauf dir davon was Schönes", meinte sie dabei noch. Ich dankte ihr und steckte das Geld in mein Portmonnaie, mit dem Wissen, dass ich die 2€ nicht ganz behalten werde. Bei uns ist es leider so geregelt, dass all das eingenommene Trinkgeld gesammelt wird und dann unter den Mitarbeitern aufgeteilt wird. Das ist oft so, aber ich weiß, dass Stacy mal einen Job hatte, bei dem sie ihr Trinkgeld behalten durfte und nur 20% davon abgeben musste.

Bevor ich zu den Kunden im Außenbereich ging, brachte ich noch schnell das Tablett zur Theke. Als ich durch die Tür ging, konnte ich meinen Augen nicht trauen. An dem verdammten Tisch saß Dain mit irgendeinem kleinen Jungen. Was macht der denn schon wieder hier? Wenn er von seinem Weingut kommt, dann ist das Café hier doch viel zu weit weg. Warum sucht er sich nicht ein anderes? Ich ließ einen überforderten Seufzer über meine Lippen gleiten und strich mir über die Schürze, bevor ich mich dann zu deren Tisch begab. "Guten Tag, haben sie sich schon entschieden?"

"Ja, wir- Oh, Kylie. Arbeitest du heute wieder?" Warte, was? Hat er gerade... Das war mein Name. "Natürlich arbeitet sie hier, sonst würde sie uns doch nicht bedienen", kam es als patzige Antwort von dem kleinen Jungen. Erst jetzt löste ich mich aus meiner Schockstarre. Der Junge hatte pechschwarze Haare und genau dieselben eisblauen Augen wie Dain. Er sah ihm aus dem Gesicht geschnitten ähnlich und irgendwie kam der Kleine mir bekannt vor, aber von wo? "Tut mir leid. Jedenfalls hätten wir gerne einen schwarzen Kaffee, einen heißen Kakao und ein Stück Schokoladentorte."

"Gut, bringe ich ihnen sofort. Einen Moment bitte." Und damit ging ich wieder rein. Die Bestellung gab ich an eine meiner beiden Kolleginnen hinter der Theke weiter und ging in den Gemeinschaftsraum. Es musste gerade keine Bestellung zu einem Tisch gebracht werden und es wollte auch keiner bezahlen, also hatte ich jetzt eine kleine Pause. Ich setzte mich auf einen der Stühle, die dort standen, und atmete kurz durch. Kurz bevor ich wieder in den Hauptraum ging, begab ich mich noch kurz auf Toilette, um meine Frisur im Spiegel zu richten. Meine Schürze band ich mir auch noch einmal neu, damit alles besser und ordentlicher aussah. Die Bestellung von Dain und dem Jungen war fertig und ich stellte sie Stück für Stück auf das Tablett. Als ich den Kuchen in der Hand hatte, spürte ich einen stechenden Blick auf mir. Ich sah auf und sah direkt Dain in die Augen. Er starrte mich an und ich schätze mal schon etwas länger. Der Junge schien ununterbrochen zu reden und ob Dain ihm wirklich zuhörte, wusste ich nicht. Ich stellte den Kuchen auf das Tablett und sah noch einmal auf. Dains Blick lag immer noch auf mir und auch der Junge schaute sich um, wo Dain denn die ganze Zeit hinschaute. Als er mich entdeckte, schaute er Dain ganz schnell wieder an und sagte irgendwas. Dain drehte sich zu ihm und schüttelte den Kopf, dabei schmunzelte er leicht. Verwirrt schüttelte ich nun den Kopf, hob das Tablett an und trug es nach draußen. An deren Tisch angekommen stellte ich, nach kurzem Vergewissern, Dain den Kaffee vor die Nase und dem Jungen den Kakao. Den Kuchen konnte ich keinen der beiden geben, da der Junge ihn mir schon vom Tablett gerissen hatte und sich ein Stück davon mit der Gabel in den Mund schob. Das Stück schob er sich dann genüsslich in den Mund und lächelte. Warte, ich weiß woher ich den Jungen kenne! Er war der Kleine, den ich in der Buchhandlung das eine Mal angestarrt hatte. Ich wünschte den beiden noch einen guten Appetit und verschwand dann wieder. In welcher Verbindung der Junge wohl mit Dain stand. War er sein Kind? Obwohl ich glaube, der Junge ist dafür zu alt, aber was ist, wenn er der Sohn von Dains Freundin oder Frau ist? Aber dann sähe der Junge ihm doch nicht so ähnlich, oder? Vielleicht ist er auch sein Bruder. Dann lag zwischen Dain und dem Jungen, aber so ein großer Altersunterschied.

Warum zerbreche ich mir deswegen denn jetzt so den Kopf? Das interessiert mich doch gar nicht. Wir kennen uns, haben aber keine Verbindung mehr miteinander. Das hatte Dain das eine mal mehr als nur klargemacht. Aber warum ist der dann heute plötzlich so nett? Oh Gott, das bringt mich alles hier durcheinander. Ich sollte über sowas eigentlich gar nicht nachdenken.

Ein Pfiff riss mich aus meinen Gedanken. Ein Kunde im Innenraum des Cafés wollte bezahlen. Ich eilte zu ihm und entschuldigte mich kurz. Er war etwas genervt, da er ja noch einen wichtigen Termin hatte und ich ihn somit aufgehalten hatte. "Wie wäre es, wenn sie vielleicht mal etwas runterkommen? Ich habe mich bei ihnen doch schon entschuldigt und wenn sie sich jetzt noch weiter so stur stellen, dann sitzen wir noch morgen hier und sie kommen nicht zu ihrem Termin." Ich lächelte den Mann dabei an, auch wenn ich ihm am liebsten eine geklatscht hätte. Warum müssen sich manche Menschen denn nur so anstellen? Er klatschte mir das Geld passgenau auf den Tisch, stand auf und ging. "Idiot", flüsterte ich zu mir selbst. "Wer ist hier ein Idiot?", kam es von einer kindlichen Stimme hinter mir. Als ich mich umdrehte, sah ich dem kleinen Jungen, der mit Dain hier war, ins Gesicht. "Ach niemand", versuchte ich abzuwinken. "Aber du hast doch gerade 'Idiot' gesagt."

"Ja, da hast du recht." Der kleine Junge wirkte recht stolz auf meine Aussage. "Der Mann, der hier vorhin saß, war nur ein wenig... Sagen wir mal, gemein zu mir. Deswegen habe ich ihn einen Idioten genannt."

"Aber mein Bruder sagt mir immer, dass man das nicht sagen darf."

"Ach ich weiß, aber ich bin heute etwas sehr durcheinander. Es ist mir einfach so rausgerutscht. Tut mir leid, kleiner."

"Ich bin nicht klein!" Er wirkte recht beleidigt über diese Aussage. "Mein Bruder sagt mir immer, dass ich schon ein großer Junge bin. Ich bin nämlich schon 10"

"Da hat dein Bruder dann wohl recht", kicherte ich leise. "Ich hab aber noch eine Frage", fing der Kleine wieder an. "Wo ist denn hier die Toilette?"

"Warte, ich zeige sie dir." Ich brachte den Kleinen zu seinem gewünschten Ziel. Als er mir versicherte, dass er jetzt alleine klarkommt, machte ich mich wieder auf den Weg zu dem Tisch des Kunden vorhin. Ich räumte das Geschirr zusammen und brachte es zur Theke. Danach nahm ich mir noch einen leicht feuchten Lappen, um den Tisch noch einmal abzuwischen. Der kleine Junge rannte währenddessen an mir vorbei und setzte sich zu Dain an den Tisch. Die beiden saßen dort noch eine Weile, bis Dain sich dazu entschied, zu zahlen. Ich eilte hin und gab ihm die Rechnung. Der Kleine war davon nicht sonderlich erfreut. "Dain, warum müssen wir denn jetzt schon gehen?", den Namen seines Gegenübers zog er dabei bewusst in die Länge. "Weil ich jetzt gleich noch ein sehr wichtiges Meeting mit einem potenziellen Kunden habe und du später auch noch zum Fußballtraining musst."

"Och man, warum muss ich denn ausgerechnet heute Training haben?" Er schob dabei die Unterlippen nach vorne und fing an zu schmollen. Dain seufzte bei dem Anblick ein wenig und bezahlte mit einem kleinen Trinkgeld. "Ich danke dir für den guten Service. Hab noch einen angenehmen Tag", sagte Dain noch zu mir kurz bevor er und der kleine Junge gingen. "Dankeschön, dann hoffe ich mal, dass dein Meeting gut läuft." Er sah sehr überrascht aus, als ich das aussprach, nickte aber und ich glaube, er lächelte auch ein wenig. Ich machte mich wieder auf den Weg ins Café. Er schien jetzt irgendwie so nett, wenn ich das mit unserem ersten Treffen vergleiche. Er hat mich rausgeschmissen und jetzt lächelt er mich sogar leicht an. Was hat sich in diesen paar Tagen denn geändert? Oder war das wegen des kleinen Jungen?

Der Arbeitstag ging recht friedlich zu Ende. Es kamen nicht mehr viele Menschen. Die meisten holen sich nur noch ihren Kaffee zum Mitnehmen. Meine Chefin ließ mich schlussendlich dann früher nach Hause gehen, da sie und meine beiden Kolleginnen das alleine hinbekommen.

Ich will dich nicht verlierenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt