Kapitel 24

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Meine Eltern haben mich letztendlich doch dazu überredet oder besser gesagt gezwungen, mit ihnen zum Weinfest zu gehen. Ich kann es einfach nicht glauben, dass sie es geschafft haben. Ich sitze in unserem Familienauto hinten und schaue genervt aus dem Fenster. Mein Vater folgte ganz entspannt dem Navi und nickte dabei zu Rockstar von Nickelback. Meine Mutter hingegen konnte kein bisschen ruhig sitzen. Sie war, seitdem Dain bei uns aufgekreuzt ist, total aufgedreht und freute sich total auf das Fest zu gehen. Ich glaube, sie interessiert den Wein nicht einmal, es ist einfach nur, dass sie das Weingut wieder sehen kann. Sie war damals mit Dains Mutter öfter dort gewesen. Manchmal habe ich das Gefühl, sie vermisst die Zeit. Was mich aber mit am meisten nervt, ist die Tatsache, dass meine Mutter meinte, extra für den Anlass shoppen zu gehen. Sie hat mich von Laden zu Laden gezerrt, nur damit ich ein vernünftiges Kleid fand. Ich wollte eigentlich eine Jeans und ein hübsches Top anziehen, aber das war ihr zu langweilig. Stattdessen saß ich jetzt hier und ließ mir die Luft abschnüren von einem, ganz ehrlich, wirklich hübschen Kleid. Es war dunkelblau und ging bis kurz über meine Knie. Die Träger, wenn ich es so nennen kann, verliefen mir über meine Oberarme, sodass ich meine Schultern entblößte. Das Oberteil war recht eng geschnitten, aber was es wirklich erst richtig gut passend machte, war die Schnürung am Rücken. Es stand mir, das musste ich zugeben, aber ich hätte es mir nie von mir aus gekauft. Das Kleid zeigte recht viel von meiner Figur, hatte sogar einen schönen Ausschnitt, ohne zu viel zu zeigen. Meine Haare hatte mir meine Mutter gemacht. Es sieht aufwendig aus, ist aber recht simpel. Eigentlich waren es nur zwei Flechtzöpfe, die mir dann über den Kopf gelegt und festgesteckt wurden.

Meine Mutter ließ ein glückliches Quieken von sich kommen, als wir das Weingut erblickten. "Schatz, schau doch. Es sieht genauso aus wie damals." Sie fasste meinen Vater an die Schulter und zeigte auf unsere Aussicht. Irgendwo hatte sie recht, die Aussicht auf das Weingut war wunderschön. Die Sonne ging gerade unter und tauchte das Gebäude und die Felder um es herum in ein tiefes Orange. Die Weinreben auf den Feldern blühen in verschiedenen Farben. Bei einigen konnte ich erkennen, dass sie noch grün waren, andere wiederum waren ein zartes Rosa. Mein Vater parkte sein Auto auf dem großen Parkplatz. Sobald das Auto stand und der Motor keine Geräusche mehr von sich gab, sprang meine Mutter aus dem Auto. Mein Vater und ich folgten ihr. Ich hatte meine Mutter lange nicht mehr so aufgeregt gesehen. Sie ist wie ein kleines Kind, das weiß, dass es gleich ein Eis bekommt. "Jetzt kommt schon ihr beiden", winkte sie uns rüber. "Ich will hier nichts verpassen." Wir folgten den Schildern, die uns hinter das Weingut führten. Der, sagen wir mal Garten, war festlich geschmückt in einem Mix aus cremefarbenen Girlanden, Tüchern und Ballons, die neben der goldfarbenen Deko ein freundliches, aber dennoch leicht luxuriöses Ambiente schaffen. Neben einem der Tische erkannte ich ein bekanntes Gesicht wieder. Es war die Empfangsdame, mit der ich gesprochen hatte, als ich das erste Mal hierherkam. Sie schien mich auch zu entdecken, denn ihr Gesicht hellte sich schlagartig auf und sie kam auf mich zu. "Kylie, schön, dass du heute gekommen bist. Ehrlich gesagt, hätte ich nicht damit gerechnet, aber sie einer an." Sie strahlte förmlich. "Dain hatte erwähnt, dass er dich und deine Eltern eingeladen hat, aber er wusste nicht, ob du kommst. Es wird ihn sicherlich freuen zu hören, dass du doch da bist." Ich wusste nicht was ich sagen soll und sah verlegen auf den Boden. Meine Füße taten schon leicht weh in den hohen Schuhen. "Oh warte, ich habe mich gar nicht vorgestellt. Ich heiße Joann." Sie hielt mir ihre Hand hin, die ich lächelnd nahm. "Freut mich, Joann."

"Gut, ich muss dann jetzt aber noch ein paar Sachen vorbereiten. Amüsiere dich", sagte sie und verließ mich kurz danach. Ich weiß noch nicht ganz genau, wie ich auf sie reagieren soll. Sie ist nett und gibt gleichzeitig eine sehr freudige Energie von sich. Sie erinnert mich ein wenig an Livia, Stacys Zimmergenossin, aber ganz so aufgedreht ist Joann nun auch wieder nicht. Ich sah mich nach meinen Eltern um, aber wie ich leider feststellen muss, sind sie verschwunden. Na toll, erst zwingen sie mich hierhin und dann lassen sie mich alleine. Ich hoffe nur, dass ich sie am Ende wiederfinde und wir dann genüsslich wieder nach Hause fahren können, weil gerade würde ich mir nichts mehr wünschen. Um mich herum waren einige ältere Personen. Alle sahen recht schick aus in ihren Anzügen und Kleidern, aber ich sah keine Person, die vielleicht annähernd mein Alter sein könnte. Die einzige Person, die mir einfiel, war wohl oder übel Dain, aber ich habe keine Lust, mit ihm zu reden. Ich verstehe ihn immer noch nicht. Erst will er mich aus seinem Leben ausstoßen und dann tut er alles Erdenkliche, um mich wieder in seinem Leben zu haben. Wie oft er in der letzten Zeit an meiner Arbeit war und dann auch noch bei mir zu Hause aufkreuzt. Ich verstehe es einfach nicht. Als wüsste er, dass ich gerade an ihn denke, trat er wie selbstverständlich auf eine kleine Anhöhe und bekam ein Mikrofon in die Hand gedrückt. Er trug wieder einen seiner schwarzen Anzüge, aber diesmal war auch das Hemd schwarz. Dain trug keine Krawatte und der Blazer war zugeknöpft. Seine braunen Haare fielen ihm heute mehr ins Gesicht als die letzten Male und insgesamt sah er eigentlich recht gut aus. Sein Gesicht war entspannt und er blickte seelenruhig durch die Menge, während er redete. Seine Augen blieben allerdings an einer Person hängen. An mir. Meine Ohren fingen an zu rauschen und ich konnte mich kaum bewegen. Zwischen uns bildete sich eine Anspannung, die kein anderer zu bemerken schien. Letztendlich brach ich den Augenkontakt und sah mich weiter nach meinen Eltern um. Dain redete immer noch, aber ich verstand nichts. Ich weiß nicht warum, ob es nun daran lag, dass ich es nicht hören wollte, aber meine Ohren waren immer noch so laut am Rauschen, dass ich kein Wort von ihm verstand. Warum mussten meine Eltern nur ausgerechnet jetzt verschwinden? Ich könnte meine Mutter jetzt gerade gut gebrauchen. Ihre aufgeregte Stimmung würde mich gerade von Dains Blick, der brennend auf mir lag, ablenken. Ich schaute wieder zu ihm hoch. Er sah mich immer noch an. Ich weiß nicht, was in seinen Augen lag, aber ich glaube, er war ein wenig fasziniert und gleichzeitig starrte er mich an, als wäre er ein hungriges Raubtier und ich seine Beute. Gott, ich muss hier weg. Irgendwie versuchte ich einen Ausweg zu finden und kam schlussendlich an einer kleinen Bank, abgelegen vom Hintergarten des Weinguts, an. Ich hörte noch ganz leicht die Musik vom Fest. Ich hatte nicht einmal wahrgenommen, dass Musik gespielt wurde. Vorsichtig setzte ich mich auf die Bank. Von hier aus hatte ich einen wunderbaren Ausblick über den Großteil der Weinreben. Von näherem sahen sie sogar noch schöner aus. Ich wünschte mir, dass ich diesen Anblick öfter sehen könnte. Der Sonnenuntergang ließ die blühenden Reben richtig leuchten. Das tiefe Orange mischte sich zusammen mit dem zarten Rosa.

Ich will dich nicht verlierenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt