39. Landung

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Wir waren bereits einige Minuten unterwegs. Der kalte Wind fuhr mir ununterbrochen unter die dünne Kleidung und kühlte mich bis auf die Knochen aus. Virno versuchte zwar, das Tempo und die Schwankungen möglichst gering zu halten, doch der unstete Nachtwind machte einen ruhigen Flug so gut wie unmöglich. Ich zitterte am ganzen Körper. Zum Glück hielten mich die Riemen am Klippendrachen fest. Ansonsten wäre ich nicht in der Lage gewesen, mich festzuhalten.

Faryd meldete sich hinter mir. Er musste schreien, damit ich ihn verstand. „Hoffentlich geht die ganze Katastrophe nicht schon heute los. Ich bin todmüde."

Ich lächelte. „Schlaf doch jetzt.", versuchte ich ihn ein wenig aufzuziehen. Natürlich war an Schlaf in diesem eisigen Sturm nicht zu denken.

Ein kalter Windstoß peitschte mir direkt ins Gesicht, sodass ich den Kopf zur Seite drehen musste. Ich hörte ein raues Lachen. „Du siehst auch nicht mehr ganz fit aus.", bemerkte der Mann.

Ich nickte einfach. Dann herrschte Stille, die aus dem Tosen des Windes und meinen klappernden Zähnen bestand. Bis Faryd das Schweigen brach, war ich in eine leichte Trance gefallen, die mich die Kälte leichter ertragen ließ. Seine dunkle Stimme holte mich zurück in die Wirklichkeit. „Ich muss die ganze Zeit an das Pärchen denken. Esra und Kethert... woher kennst du sie noch gleich?"

Ich drehte mich zu Faryd um, soweit ich konnte, damit er mich verstand. „Wir sind zusammen geflohen. Aus Nurvia. Haben eine Zeit lang zusammen im Wald verbracht..." Bis ich vom Baum gestürzt und spurlos verschwunden war.

Faryd nickte. „Die beiden können froh sein, dass sie einander haben. In der Wildnis allein zu sein, ist sicher ein furchtbares Gefühl."

Da hatte er Recht. Das Gefühl hatte ich bereits kennenlernen müssen. Es war nicht nur, dass es unglaublich gefährlich war, ohne Unterstützung und Schutz in der Wildnis zu leben. Es machte einen psychisch fertig. Das Wissen, dass man ganz auf sich allein gestellt war und niemand einem zur Hilfe eilte, wenn man in Gefahr war, war eine ungeheure Belastung. Bis ich Thunder an meiner Seite gehabt hatte, hatte ich Höllenqualen ausgestanden.

Meine Aufmerksamkeit schwang zurück zu unserem eigentlichen Thema – Esra und Kethert.

„Die beiden haben sich noch nie nahe gestanden.", rief ich. „Die Gefahr muss sie irgendwie zusammen geführt haben." Ich musste meine Haare nach hinten ziehen, die durch die neue Position direkt in mein Gesicht wehten.

„Ich denke schon, dass man sich unter den Umständen irgendwann zueinander hingezogen fühlt.", erwiderte Faryd nachdenklich. „Irgendwann spielt man sich aufeinander ein. Man verbringt beinahe jede Minute miteinander und vertraut dem anderen täglich aufs Neue sein Leben an."

Er beugte sich ein wenig vor, sodass er direkt neben meinem Ohr war und nicht schreien musste, damit ich ihn verstand.

„Ich fühle mich zu dir hingezogen, Jule..."

Sein warmer Atem strich an meinem Hals vorbei in meine Haare. Obwohl mir in meiner Magengegend auf einmal ganz warm wurde, liefen mir Schauer über den Rücken. Heftiger, als sie es ohnehin schon taten. Faryds Hand strich mir sanft ein paar Strähnen aus der Stirn, die sich mutig wieder zurück gewagt hatten. Er lehnte sich etwas zur Seite, sodass er mir ins Gesicht sehen konnte.

In dem Moment, in dem seine dunklen Augen direkt vor mir waren, blendete ich alles andere aus. Den schneidenden Wind, der mir den Rücken peitschte, bemerkte ich kaum noch. Meine gesamte Rückseite schien eingefroren und abgestorben zu sein, während mein Bauch und meine Brust vor Leben pulsierten.

Faryds tiefe Augen nahmen meine gefangen. Seine Hand strich sachte über meine Wange, in der es angenehm prickelte. Seine Lippen zitterten vor Kälte, während sie immer näher kamen und sich sanft auf meine legten.

Hunters 2 - der Pfad des JägersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt